Asylindustrie: Wer von den Asylmillionen des Bundes profitiert

Nr. 51 –

Neue Zahlen aus dem Asylbereich zeigen: Die Betreuungsfirma ORS erhielt 2011 vom Bund zehn Millionen Franken – die Securitas sogar achtzehn Millionen. Das Missverhältnis zwischen Betreuung und Sicherheit wird harsch kritisiert.

Alles lief wie geschmiert. Zwanzig Jahre lang verrichtete die Firma ihre Arbeit ohne grosses Aufhebens. Im Gegenzug erhielt sie regelmässig und ohne bürokratischen Umweg einen Auftrag nach dem anderen. Bis ein frisch gewählter SVP-Nationalrat aus dem Bündnerland mit seinem ersten parlamentarischen Vorstoss eine Bombe zum Platzen brachte: Das Bundesamt für Migration (BFM) hatte es während zwei Jahrzehnten versäumt, die Aufträge für die Betreuung der bundeseigenen Asylunterkünfte alle fünf Jahre öffentlich auszuschreiben, wie es das Gesetz vorschreibt. Stattdessen vergab es den Auftrag immer an das Zürcher Dienstleistungsunternehmen ORS AG.

Versagen beim BFM

Bislang war unklar, wie viel Geld dank dieser Vorzugsbehandlung in die Kassen der ORS gespült wurde. Neue Zahlen, die der WOZ vorliegen, zeigen: Die ORS erhielt in den letzten fünf Jahren mindestens 41,2 Millionen Franken für die Betreuung in den fünf Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes. Allein im Jahr 2011 vergütete der Bund die Dienstleistungen der ORS mit 10,4 Millionen Franken.

Jetzt muss die grösste Asylbetreuungsfirma in der Schweiz um ein einträgliches Geschäft bangen. Die Sorge der Asylprofiteure aus Zürich ist begründet: Der Zehn-Millionen-Auftrag macht rund ein Fünftel des Jahresumsatzes des Schweizer Geschäfts der ORS aus (die aktuellste verfügbare Umsatzzahl stammt aus dem Jahr 2010). Nachdem der jahrelange Gesetzesverstoss der Migrationsbehörde im März dieses Jahres aufgeflogen war, versprach der Bund, den Auftrag bis Ende Jahr auszuschreiben. Im Oktober hiess es, die Unterlagen lägen bereit, noch im Herbst werde der Millionenauftrag ausgeschrieben.

Doch dann kam der Fall Eigenthal: In der gleichnamigen temporären Asylunterkunft des Bundes beim luzernischen Kriens wurden Ende September Vorwürfe aus der Bevölkerung gegen die ORS-Zentrumsleitung laut: Die Asylsuchenden würden schikaniert, der Zugang zu ärztlicher Versorgung sei eingeschränkt, es fehle an Kleidung und Essen für Kinder. Bundesrätin Simonetta Sommaruga wiegelte in einer Fragestunde im Nationalrat zuerst ab, es gebe «von den rund zwanzig Familien» keine Klagen, sie stammten «ausschliesslich von einer Familie». Amnesty International stattete der Asylunterkunft einen Kontrollbesuch ab, bald musste die ORS eingestehen, dass vieles schieflief. Sie beauftragte die Schweizerische Flüchtlingshilfe mit einer externen Untersuchung, das Ergebnis war vernichtend. ORS und BFM gestanden Fehler ein, der kritisierte Zentrumsleiter wurde entlassen.

Für die ORS war der Fall Eigenthal ein Ärgernis, weil das BFM der Truppenunterkunft asylsuchende Familien mit Kleinkindern zuwies, wofür die Militärbaracken überhaupt nicht eingerichtet waren. Die ORS kassierte viel Kritik – teilweise zu Recht, aber auch, weil das BFM bei der Planung versagt hatte.

Für das BFM hatte der Fall weiter reichende Folgen. Amnesty International führte die Mängel im Eigenthal unter anderem auf den unklaren Betreuungsauftrag und das mangelnde Controlling des BFM zurück und forderte Präzisierungen in der neu auszuschreibenden Rahmenvereinbarung für das Bundesmandat. Das BFM musste die Ausschreibung kurz vor der Veröffentlichung stoppen. Erst hiess es, sie erfolge bis Ende Jahr, diese Woche sagte das BFM der WOZ: «Rechnen Sie mit der Ausschreibung bis Ende des ersten Halbjahrs 2013.»

Im BFM sieht man sich mit rechtlichen Problemen konfrontiert, die man bisher offensichtlich vernachlässigt hat. In den letzten zwanzig Jahren war man diesen Fragen bequem aus dem Weg gegangen. Der ORS droht nicht nur wegen des politischen Drucks und der immer wiederkehrenden Vorwürfe das Mandat abhandenzukommen. Erstmals hat das BFM nun zwei temporäre Unterkünfte – Les Pradières in Neuenburg und Nottwil in Luzern – an die private Konkurrenzfirma ABS vergeben.

27 Prozent für die Sicherheit

70 Millionen Franken gab der Bund 2011 insgesamt für den Betrieb von Bundeszentren und Notunterkünften aus. Im nächsten Jahr dürfte dieser Betrag gemäss Budget 2013 auf 85 Millionen Franken steigen. Die grösste Profiteurin im Geschäft mit den Asylsuchenden ist allerdings nicht die ORS. Die Betreuung macht lediglich 15 Prozent der Kosten aus (81 Vollzeitstellen), ganze 27 Prozent dafür die Sicherheit (120 Vollzeitstellen). Mit Abstand grösste Nutzniesserin der extensiven Sicherheitsausgaben ist die private Firma Securitas. Sie und zu einem minimalen Anteil auch weitere Sicherheitsfirmen kassierten vom Bund im Jahr 2011 18,8 Millionen Franken.

An diesem Missverhältnis stört sich Denise Graf von Amnesty International Schweiz: «Es ist ein grosses Problem, dass fast doppelt so viel Geld für die Bewachung ausgegeben wird wie für die Betreuung. Die Minimalbetreuung wird ersetzt durch maximale Sicherheit. Das kriminalisiert die Asylbewerber.» Derzeit fehle es vielerorts an Beschäftigungsprogrammen für Asylsuchende. «Dabei könnte man damit die Sicherheitsausgaben verringern.»

Das wird auch von der staatlichen Antifolterkommission NKVF bestätigt, die in regelmässigen Abständen die Asylunterkünfte des Bundes unter die Lupe nimmt. In einem Bericht vom November kritisiert sie, dass das Sicherheitspersonal in den Bundeszentren vom privaten Unternehmen Securitas gestellt wird: «Generell ist festzuhalten, dass die Auslagerung staatlichen Handelns in einem so sensiblen Bereich problematisch erscheint.» Es fehle an einer «formell-gesetzlichen Grundlage», die den Auftrag der Securitas regelt und «deren Kompetenzen hinreichend definiert».

Im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) in Basel stehen gemäss der NKVF gerade mal 3000 Franken pro Jahr für ein Beschäftigungsprogramm zur Verfügung – und das bei 320 Plätzen oder 127 436 Aufenthaltstagen im Jahr 2011. In den Bundeszentren Vallorbe und Chiasso würde den Asylsuchenden hingegen die Möglichkeit geboten, gemeinnützige Arbeit zu verrichten – «was sehr zum Spannungsabbau in den Zentren beigetragen hat». Mittlerweile sind in Chiasso rund dreissig bis vierzig Personen in einem Beschäftigungsprogramm, wodurch sich auch der Patrouillendienst faktisch erübrigt hat. Antonio Simona, Leiter des Zentrums in Chiasso, erklärt dazu: «Seit wir unsere Beschäftigungsmöglichkeiten ausgebaut haben, hat sich die zuvor angespannte Lage stark verbessert. Es ist weitgehend Ruhe eingekehrt.»

Beat Meiner, Generalsekretär der Flüchtlingshilfe, ist erstaunt über die Höhe der Sicherheitskosten: «Dieses Verhältnis ist grotesk! Es ist Ausdruck einer grundsätzlich falschen Konzeption dieser Aufgabe. Viel wichtiger wäre die professionelle Betreuung durch qualifiziertes Personal. Damit würde man sich viele Probleme, die man heute hat, ersparen. Respekt und Menschlichkeit sind bei dieser Arbeit das A und O.» Die Asylsuchenden seien in den Unterkünften «zu tödlicher Langeweile, zur totalen Untätigkeit verdammt». Die martialische Sicherheitskultur schaffe ein schlechtes Klima und wecke Widerstand und Aggressionen, was noch mehr Repression nach sich ziehe – ein Teufelskreis.

Denise Graf von Amnesty International hält fest, dass dort, wo die Zivilgesellschaft präsent ist, die Sicherheitsaufwendungen verkleinert werden können: «Wo Dialog und Zuhören von grosser Wichtigkeit sind, ist das Verhältnis zwischen Sicherheit und Betreuung eins zu eins – und nicht zwei zu eins.»

In dieser Hinsicht müssten die künftigen Rahmenvereinbarungen des Bundes mit Auftragnehmerinnen wie ORS und Securitas klare Anforderungen stellen: «Es braucht ein umfassendes Unterbringungs- und Integrationskonzept», sagt Denise Graf – auch von den angestellten Sicherheitsfirmen. Sie verlangt, dass die Sicherheitsfirmen ihre MitarbeiterInnen richtig ausbilden und darlegen, welche ethischen Grundsätze, welche Prinzipien des Konfliktmanagements sie verfolgen. Zudem müssten die Anbieterfirmen den Betreuungsschlüssel offenlegen und ein Konzept zur Qualitätssicherung vorlegen. Da in der Vergangenheit auch über lückenhaftes Controlling geklagt wurde und künftig noch mehr Akteure ins Asylsystem involviert sein werden, fordert Graf, dass das BFM die Einführung einer Ombudsstelle prüft.