NGOs: Die Multis und der grüne Mantel

Nr. 4 –

Die Konzerne wollen mit freiwilligen Vereinbarungen ihren sozialen und ökologischen Ruf verbessern. Die NGOs wetteifern um Geld für ihre Kampagnen. Peter Niggli, Geschäftsleiter von Alliance Sud, über den Kampf ums öffentliche Image.

WOZ: Peter Niggli, am Weltwirtschaftsforum in Davos palavern diese Woche einmal mehr Konzernvertreter mit Politikern. In den Leitbildern der Multis begegnet man immer häufiger Begriffen wie «Nachhaltigkeit» oder «Corporate Social Responsibility». Sind die Multis tatsächlich ein bisschen grüner und sozialer geworden, oder ist alles doch nur PR?
Peter Niggli: Einige Konzerne waren unter öffentlichem Druck gezwungen, ihre Praktiken zu verbessern. Andere zogen daraus die Lehre, dass die Firma zumindest in der PR ein grünes und soziales Mäntelchen braucht – sie können damit allerdings nicht verhindern, weiter zur Zielscheibe öffentlicher Kritik zu werden. In einigen Unternehmen kommt es schliesslich mehr als früher zu Auseinandersetzungen zwischen Kadern, denen soziale und ökologische Aspekte am Herzen liegen, und «Betonköpfen» in der obersten Führung, die Veränderungen ablehnen.

Was bringt es, wenn in den Chefetagen noch immer die Gewinnmaximierer sitzen?
Weil der Druck zu Veränderungen gewachsen ist, haben sich in den letzten fünfzehn Jahren Unternehmen freiwilligen Vereinbarungen zur Einhaltung ökologischer und menschenrechtlicher Standards angeschlossen. Wie ernst eine Firma solche Vereinbarungen nimmt, zeigt sich daran, ob sie die postulierten Ziele in die lohnwirksame Kaderbeurteilung aufnimmt, wenn sie also zum Beispiel eine Senkung des Nutzwasserverbrauchs oder der elektrischen Energie als Jahresergebnis vorschreibt. Soziale Vorgaben sind anspruchsvoller. Aus den Menschenrechten folgt etwa, dass ein Konzern in allen Ländern existenzsichernde Löhne zahlen und dasselbe auch von seinen Unterlieferanten einfordern müsste. Er hat dazu einen betriebswirtschaftlichen Spielraum, der aber durch das Interesse der Kapitaleigner an hohen Renditen und durch den Wettbewerb begrenzt wird.

Genügen freiwillige Vereinbarungen?
Der Spielraum wird dadurch weiter eingeengt, weil sich nach wie vor Tausende von Konzernen um solche freiwilligen Verpflichtungen foutieren und damit «Wettbewerbsvorteile» erzielen. Deshalb haben NGOs in der Schweiz die Kampagne «Recht ohne Grenzen» lanciert. Die freiwilligen Massnahmen einzelner Unternehmen müssen unseres Erachtens durch gesetzlich verbindliche Verpflichtungen ergänzt werden. Für die Minderheit der Unternehmen, die ihre grünen und sozialen Verlautbarungen praktisch umgesetzt haben, würden sich dadurch keine neuen Verpflichtungen ergeben. Doch die grossen Wirtschaftsverbände schiessen dagegen. Im Parlament Mehrheiten dafür zu finden, ist nicht ganz einfach.

Von 2006 bis 2011 führte Alliance Sud, die Lobbyorganisation der grossen Schweizer Hilfswerke, einen Dialog mit dem Nahrungsmittelmulti Nestlé über sein Wirken in Kolumbien. Hat dieser Dialog nur der PR von Nestlé genützt?
Nestlé hatte sich bis dahin gegen alle Kritik von NGOs eingebunkert und in der Regel jedes Gespräch verweigert. Deshalb war der Dialog für Nestlé neu und ist in der Folge von jenen Kadern benutzt worden, die eine «Öffnung» des Konzerns für externe Anliegen und Kritik für nötig hielten. Nestlé Kolumbien war im ersten Durchgang ziemlich erschrocken über die negativen Rückmeldungen, die unsere Delegation nach den Gesprächen mit Gewerkschafts- und GemeindevertreterInnen gab. Nestlé erklärte sich bereit, eine ganze Reihe unserer Empfehlungen umzusetzen, nur jene nicht, die sich auf Löhne und Anstellungsverträge bezogen – die also mehr gekostet hätten. Wir sind für diesen Dialog von all jenen getadelt worden, die ein «militanteres» Vorgehen gegen Multis wollen. Ich meine, dass sich die Methoden ergänzen – Konzerne wie Nestlé bewegen sich unter äusserem Druck, Konsumentenkampagnen, Gewerkschaftsaktionen und durch Dialoge. Die NGOs sollen das tun, was sie jeweils am besten können.

Sind denn die Praktiken der NGOs selbst über alle Zweifel erhaben? Sie wirken zusehends wie hochprofessionalisierte PR-Maschinen.
PR ist interessengeleitete Öffentlichkeitsarbeit, also Aufgabe der NGOs. Tatsächlich hat aber das Fundraising an Gewicht gewonnen. Auf dem Schweizer Spendenmarkt ist ein harter Wettbewerb in Gang. Alle NGOs haben massiv aufgerüstet, um mitzuhalten. Die Stiftung Zewo gibt dabei bei ihrem Zertifizierungsverfahren vor, welchen Anteil das Fundraising gegenüber Spenden für den propagierten Zweck ausmachen darf.

Erhalten die NGOs nicht auch Spenden von denjenigen, gegen die sie vorgehen sollten? Korrumpieren sie sich damit?
Die meisten NGOs haben Richtlinien, wie mit grossen Spenden umzugehen ist und von wem keine angenommen werden dürfen. Daneben gibt es Partnerschaften zwischen NGOs und Konzernen, an denen sich Letztere finanziell beteiligen. Pauschal lässt sich darüber nicht urteilen, es kommt auf den Einzelfall an. So sind Schweizer Hilfswerke für Biobaumwollprojekte, die sie in Entwicklungsländern fördern, Partnerschaften mit Unternehmen eingegangen, die Baumwolle verarbeiten. Andere Partnerschaften haben sie abgelehnt, weil sie den betreffenden Unternehmen nicht trauten.

Peter Niggli (62) ist seit 1998 Geschäftsleiter von Alliance Sud, der Lobbyorganisation der sechs grossen Schweizer Hilfswerke.