Konzernverantwortung: Eine globale Wirtschaft ohne globale Gesetze
Seit Jahrzehnten wird darüber gestritten, wie global tätige Firmen bei Menschenrechts- und Umweltschutzverstössen zur Rechenschaft gezogen werden können. Doch die Konzerne und viele Regierungen ziehen weiterhin alle Register, um eine griffige Regelung zu hintertreiben.
Bangladesch gehört nicht nur zu den Ländern mit den tiefsten Löhnen der Welt, auch punkto Arbeitssicherheit liegt das Land mit seinen 160 Millionen EinwohnerInnen ganz weit hinten. Vergangenen Samstag ereignete sich nahe der Hauptstadt Dhaka erneut ein schwerer Arbeitsunfall. In der Verpackungsfabrik Tampaco Foils explodierte ein Boiler. Schnell breitete sich ein Feuer aus, später stürzte das ganze vierstöckige Gebäude in sich zusammen. Rund 100 Beschäftigte befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion in der Fabrik, 33 kamen ums Leben, viele andere wurden schwer verletzt.
Tampaco Foils hat Nahrungsmittel und Tabakwaren für grosse Konzerne verpackt, so etwa Maggi-Nudeln für den Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé und Zigaretten für den britischen Tabakmulti British American Tobacco (BAT). Inzwischen ermittelt die Polizei gegen den Eigentümer der Firma, den früheren Parlamentsabgeordneten Syed Mokbul Hossain, sowie sieben Manager wegen Mord. Alle sollen untergetaucht sein. Nestlé zeigte sich in einer ersten Stellungnahme «schockiert und traurig». Der Konzern betont, er habe 2012 eine externe Firma mit der Überprüfung von Tampaco Foils betreffend Feuersicherheit und Präventionsmassnahmen betraut. Dabei seien keine Verfehlungen festgestellt worden.
Lasche Gesetze, gutes Geschäft
Das aktuelle Ereignis in Bangladesch wirft erneut ein Schlaglicht auf die Verantwortung globaler Konzerne. Unternehmen wie Nestlé und BAT lassen weltweit produzieren und profitieren ganz direkt von den tiefen Preisen ihrer Zulieferer und Auftragnehmer. Die Grosskonzerne sehen sich primär im Wettbewerb mit anderen Grossunternehmen. Bei diesem Wettkampf geht es um Umsatzzahlen und die Höhe der Profite und nicht um die Zufriedenheit und Sicherheit von Beschäftigten irgendwo in der Lieferkette.
Grosse Konzerne praktizieren so in Ländern mit laschen Gesetzen oder überforderten Aufsichtsbehörden mehr oder weniger systematisch ein Geschäftsmodell, für das sie andernorts bestraft würden. Am Tag, an dem diese Ausgabe der WOZ erscheint, macht die nichtstaatliche Organisation Public Eye (vormals: Erklärung von Bern) einen weiteren solchen Skandal publik und enthüllt dabei ein «unbekanntes wie illegitimes Geschäftsmodell der Schweizer Rohstoffhandelsbranche».
Gehandelt wird meist nur bei grossem öffentlichem Druck. Vor dreieinhalb Jahren hatte der Einsturz des Textilfabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch für weltweites Entsetzen gesorgt. Damals verloren 1138 Beschäftigte ihr Leben. Danach unterzeichneten die globalen Kleiderfirmen zusammen mit lokalen Textilunternehmen, Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften eine rechtlich verbindliche Vereinbarung zur Erhöhung der Gebäudesicherheit. Jetzt werden die Textilfabriken von unabhängigen InspektorInnen kontrolliert.
Imagepflege statt Verbesserungen
Doch eigentlich bräuchte eine globale Wirtschaft auch ein globales Justizsystem, um Arbeits-, Umwelt- und Konsumentenschutz sicherzustellen und Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Konzerne zu ahnden. Aufsichtsbehörden wie im Fall von Bangladesch sind überfordert, und Regierungen von sogenannten Entwicklungsländern schauen oft weg, weil sie die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes nicht mit Vorschriften und Kontrollen hemmen wollen. Diskussionen innerhalb der Uno über global verbindliche Standards für die grossen Konzerne sind in den siebziger und achtziger Jahren von westlichen Industriestaaten abgeblockt worden. Sie pochten auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Konzerne würden schon von alleine Gutes anstreben. 1999 lancierte dann der damalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan am Weltwirtschaftsforum in Davos den sogenannten Global Compact. Dieser sieht eine freiwillige Absichtserklärung der Konzerne vor, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten.
Doch damit haben die grossen Unternehmen vor allem eine Möglichkeit erhalten, sich in ein gutes Licht zu stellen und ihr Image aufzupolieren. Corporate Social Responsibility (CSR), also die soziale Verantwortung der Unternehmen, ist zur Phrase verkommen. Um CSR ist eine ganze Industrie von externen Beratungs-, Evaluations- und Prüfungsfirmen entstanden, denen es im Kern oft nicht darum geht, die Risiken der lokalen Bevölkerung zu minimieren, sondern darum, den Konzernen einen Imageschaden zu ersparen. Das ist namentlich für Unternehmen existenziell geworden, die von ihrem guten Namen leben, weil sie etwa Markenprodukte verkaufen.
Alle sind ein bisschen zufrieden
Dass es mit Freiwilligkeit allein nicht getan ist, hat man inzwischen auch innerhalb der Uno gemerkt. 2011 verabschiedete der Uno-Menschenrechtsrat Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Diese vom Politologieprofessor John Ruggie ausgearbeiteten Prinzipien basieren auf einem «klugen Mix» aus Freiwilligkeit und Verbindlichkeit. So müssen nicht nur die Staaten, sondern auch die Konzerne die Menschenrechte weltweit respektieren, unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft der Staaten, ihre eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dies müssen sie auch belegen. Dabei haben sie eine Sorgfaltspflicht, die sich auch auf ihre Lieferanten und Auftragsfirmen erstreckt. Stellen sie Menschenrechtsverletzungen fest – worunter auch grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit verstanden werden –, so müssen sie Massnahmen zu deren Beendigung treffen. Möglichen Opfern ist Wiedergutmachung zu leisten.
Ruggie hat das Kunststück geschafft, einen Text zu formulieren, mit dem alle ein bisschen zufrieden sind. «Damit haben wir jetzt zumindest einen Minimalstandard», sagt auch Urs Rybi, der bei Public Eye für das Thema zuständig ist. Es ist ein Standard, der von allen Mitgliedstaaten des Menschenrechtsrats angenommen wurde und den auch alle grossen Unternehmensverbände akzeptieren.
Allerdings sind diese Leitprinzipien noch nirgends umgesetzt. Die einzelnen Staaten müssen sie in Absichtserklärungen, Verordnungen und Gesetze giessen, was ein langwieriger und für MenschenrechtsaktivistInnen frustrierender Prozess zu werden scheint. Die bisher öffentlich gewordenen Umsetzungspläne einzelner Staaten zeigen, dass Verbindlichkeiten vermieden und auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt wird.
In der Schweiz soll die Umsetzung in einem Nationalen Aktionsplan skizziert werden. Allerdings liegt dieser noch immer nicht vor. Rybi sagt: «Da wird aufs Gröbste blockiert.» Offenbar herrscht bei den Bundesstellen Uneinigkeit über die Ausgestaltung. Die Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Swiss Holdings und der Schweizerische Arbeitgeberverband pochen in einer gemeinsamen Stellungnahme auf möglichst wenig staatliche Regulierung und warnen vor «Aktivismus». Ihnen geht es um ein Regelwerk, bei dem sie nicht an den Pranger gestellt werden, sondern im Gegenteil ihre positive Arbeit gewürdigt wird. Überhaupt sei CSR von «strategischer Bedeutung und im ureigenen Interesse der Unternehmen».
Science Industries, der Wirtschaftsverband der Schweizer Chemie-, Pharma- und Biotechunternehmen, schränkt in einem Positionspapier noch weiter ein: «Die primäre Funktion eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft liegt in ihrer wirtschaftlichen Wertschöpfung.» Die weltweite Wettbewerbsfähigkeit müsse erhalten bleiben, die «CSR-Massnahmen» fänden an diesem Punkt «eine praktische Grenze».
Volksinitiative will klare Regeln
Die Schweizer Konzerne sehen sich derzeit allerdings weniger vom Nationalen Aktionsplan bedroht als von der Konzernverantwortungsinitiative. Diese wird am 10. Oktober eingereicht und kommt frühstens im Winter 2018 zur Abstimmung. Die Initiative greift einen Teil von John Ruggies Prinzipien auf und will diesen verbindlich machen: Schweizer Unternehmen sollen auch im Ausland eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht haben und bei Verstössen haften.
Rahel Ruch, Koordinatorin der Initiative, hofft darauf, dass die Initiative nicht nach dem üblichen Rechts-links-Schema wahrgenommen wird. Deshalb sind im Initiativkomitee auch keine Parteien vertreten, sondern rund achtzig nichtstaatliche Organisationen. Ruch zählt darauf, dass die Initiative auch von UnternehmerInnen unterstützt wird, «trotz des Gruppendrucks» durch die Wirtschaftsverbände. Schliesslich soll es ja auch Unternehmen geben, die sich freiwillig an die Standards halten und von der Konzernverantwortungsinitiative nichts zu befürchten haben.