Durch den Monat mit Kurt Marti (Teil 4): Wie würden Sie das Wallis verändern?

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Der Journalist Kurt Marti sieht in seinem Buch zum Walliser Filz auch eine historische Dokumentation – damit HistorikerInnen einmal nicht nur das geschönte Bild des «Walliser Boten» als Quelle zur Verfügung steht.

Kurt Marti im Bahnhofbuffet Brig: «Wer ins Wallis zurückkehrt und hier bleiben will, muss sich gut überlegen, ob er das Maul aufmacht.»

WOZ: Herr Marti, zehn Jahre lang haben Sie das Wallis journalistisch aufgemischt. Was war die heftigste Geschichte, die Sie aufgedeckt haben?
Kurt Marti: Es gab mehrere krasse Geschichten, etwa den «Spitalreport». Darin habe ich aufgezeigt, wie Chefärzte im Spitalzentrum Oberwallis gepfuscht haben. Als Folge ist heute eine Frau querschnittgelähmt und bleibt ihr Leben lang an den Rollstuhl gefesselt. Die verantwortlichen Chefärzte nahmen sie nicht ernst und ignorierten einen Darmverschluss.

Diesen Fall schildern Sie in Ihrem Buch. Es wird einem übel, wenn man das liest. Die Patientin hat am Ende ihren eigenen Kot erbrochen, weil sie nicht behandelt wurde. Erstaunlich, dass sie überlebt hat.
Das ist sehr erstaunlich und wohl nur auf ihren grossen Überlebenswillen und die Verlegung ins Berner Inselspital zurückzuführen.

Hat Sie sich nicht gewehrt?
Sie hat eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung eingereicht. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der zuständige Chefarzt in der Zwischenzeit verstorben war. Ich kenne auch mehrere Fälle von Patienten, die wegen der haarsträubenden Verhältnisse im Spitalzentrum Oberwallis gestorben sind. Die Angehörigen wollten aber nicht an die Öffentlichkeit, deshalb konnte ich diese Fälle nicht publizieren.

Die Geschichten in Ihrem Buch haben Sie schon in der «Roten Anneliese» veröffentlicht, die fünfmal pro Jahr erscheint. Wozu noch ein Buch daraus machen?
Viele Geschichten wurden totgeschwiegen. Ziel des Buchs ist es, sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zudem ist es wichtig, dass das Buch auch in den Bibliotheken und Archiven verfügbar ist, damit sich künftige Historiker nicht nur auf das Archiv des «Walliser Boten» verlassen müssen.

Anfang März sind im Wallis Kantons- und Staatsratswahlen statt. Wird die SVP die mächtige CVP ernsthaft bedrängen?
Wahrscheinlich wird die CVP erstmals seit 1857 im Kantonsparlament die absolute Mehrheit verlieren, die SVP wird die verlorenen CVP-Sitze erben. Aber die SVP steht nicht wirklich in Opposition zur CVP. Das ist ein Scheingefecht, um die katholisch-konservative Mehrheit weit ins 21. Jahrhundert hineinzuretten. Die SVP ist ein zusätzlicher Kopf der CVP-Hydra, zu der auch die Christlich-Sozialen (CSP) gehören. Die Walliser SVP reichert das ausländerfeindliche Gedankengut der SVP Schweiz noch mit katholisch-konservativem Gedankengut an.

Zum Beispiel?
Sie verteidigt Kruzifixe in den Schulen, kämpft gegen den Sexualunterricht und gegen die Abtreibung. Mit diesem Mix werden die SVP-Leute gewählt. Erst kürzlich ist bei den Gemeindewahlen in Visp ein engagierter Mann der SP Oberwallis von einem Vertreter der Jungen SVP aus dem Exekutivamt gedrängt worden. Dieser Jungpolitiker schaffte auf Anhieb den Sprung in den Gemeinderat, ohne besonderen Leistungsausweis. Die SP hingegen verlor ausgerechnet in der Lonza-Stadt Visp ihren einzigen Sitz. Die Gewerkschaften hatten jahrzehntelang erfolgreich für höhere Löhne in der Chemiefirma gekämpft. Das ist sehr bitter.

Wie kommt das?
Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass das Wallis unter einem Braindrain leidet. Die Jungen studieren auswärts, und die kritischen, weltoffenen Leute kommen nicht mehr zurück, weil sie sich nicht in dieses verfilzte Politsystem und die Vetternwirtschaft einpassen wollen. Und wer ins Wallis zurückkehrt und hierbleiben will, muss sich gut überlegen, ob er das Maul aufmacht.

Was kann einem dabei passieren?
Zum Beispiel wird man fristlos entlassen, wie der Lehrer Valentin Abgottspon, oder man wird kaltgestellt, wie der Zermatter Hotelier Jürg Biner. Aber es gibt auch subtilere Methoden, um jemanden loszuwerden. Beispielsweise unter dem Vorwand, man müsse sparen und folglich die Stellenprozente reduzieren.

Wenn Sie die Macht hätten, was würden Sie tun, um das Wallis zu verändern?
Ich würde eine unabhängige Zeitung gründen, die zweiwöchentlich oder sogar wöchentlich erscheint. Die Frage aber wäre: Wo bekomme ich die kritischen Journalisten und Journalistinnen her? Als ich bei der «Roten Anneliese» aufhören wollte, hatte ich die grösste Mühe, einen Nachfolger zu finden.

Gibt es zu wenig Journalisten im Wallis?
Nein, im Wallis hat es noch nie so viele Journalisten und Medien gegeben wie heute. Im Regionaljournalismus sind aber vor allem junge Leute tätig. Sobald sie etwas können, verlassen sie den Kanton. So ist es im Journalismus: Die Profis werden Korrespondenten, die Praktikanten machen Lokaljournalismus. Aber es müsste andersherum laufen: Die erfahrenen Journalisten müssten im Lokalen arbeiten, weil man da am meisten exponiert ist und folglich das stabilste Rückgrat braucht. In jeder Journalistenausbildung wird das Hohelied auf den Lokaljournalismus gesungen, doch in der Realität lassen die gestandenen Profis vornehm die Finger davon.

Kurt Marti (52) ist freier Journalist und Mitglied der Redaktionsleitung der Internetzeitung «Infosperber». Im letzten Herbst ist im Rotpunktverlag sein Buch «Tal des Schweigens. Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» erschienen.