Durch den Monat mit Kurt Marti (2): Was haben Sie im Gefängnis getan?

Nr. 3 –

Der Journalist Kurt Marti hat seine Recherchen zum Walliser Filz zwischen Politik, Wirtschaft und Justiz in einem Buch veröffentlicht. Einen seiner ersten Berichte schrieb er aus der Isolationszelle eines Walliser Gefängnisses.

Kurt Marti vor dem Stockalperschloss in Brig: «25 Jahre später sind die Verhältnisse in den Walliser Gefängnissen immer noch miserabel.»

WOZ: Kurt Marti, Sie sind in einer Bauernfamilie im Goms aufgewachsen. Wie wurden Sie eigentlich politisiert?
Kurt Marti: Die Rekrutenschule war schwierig auszuhalten, diese tägliche Vernichtung der Vernunft. Am letzten Tag des zweiten Wiederholungskurses war der Kommandant der Meinung, meine Haare seien zwei Millimeter zu lang. Da wusste ich: So geht das nicht mehr weiter mit diesem traurigen Trachtenverein und mir. Das nächste Aufgebot habe ich verweigert, und dann musste ich nach Zürich vors Militärgericht. Das war 1986, das Sowjetsystem bröckelte, Michail Gorbatschow sprach von Glasnost und Perestroika, in Polen ging die Solidarnosc auf die Strasse. In den USA hingegen rüstete Ronald Reagan mit seinem Star-Wars-Programm auf. Ich habe den Richtern in Zürich eineinhalb Stunden lang die Leviten gelesen, habe ihnen ein Denken in der Logik des dialektischen Materialismus vorgeworfen … vermutlich haben sie nicht alles verstanden.

Wie haben die Richter reagiert?
Ich konnte davon ausgehen, dass sie mir Schmarotzertum vorwerfen würden: an der Uni studieren und dann noch kritisieren. Als der Vorwurf kam, ging ich nach vorne zu den Militärrichtern und zeigte ihnen die rechte Handfläche, wo ich eine Schramme hatte, die ich mir tags zuvor beim Pflügen der Kartoffeln auf dem elterlichen Hof zugezogen hatte. Ich fragte die Richter, ob sie auch selber pflügten, um ihre Subsistenz zu sichern. Da war es dann aber totenstill im Saal.

Und wie fiel das Urteil aus?
Die Richter taten, was sie tun mussten, und verurteilten mich zu sechs Monaten Gefängnis.

Die sassen Sie im Wallis ab?
Ja. Die Verhältnisse in den dortigen Gefängnissen waren erschreckend. Ich hatte schon vorher mit dem «Walliser Boten» abgemacht, dass ich aus dem Gefängnis den einen oder anderen Bericht schreiben würde. Dass es dann aber so schlimm werden würde, hätte ich nicht gedacht. Gut, um möglichst nahe an die Wirklichkeit heranzukommen, habe ich die Verantwortlichen mit gezielten Provokationen herausgefordert. Und sie sind mir in die Falle gelaufen.

Was haben Sie getan?
Die Maschinen in der Gefängnisschreinerei waren eine Gefahr für Leib und Leben. Wir mussten an veralteten Maschinen ohne die vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen arbeiten. Als eine Hobelmaschine einem Gefangenen die Hand zerfetzte, habe ich die Arbeit zusammen mit zwei anderen Häftlingen demonstrativ verweigert, worauf der Gefängnisdirektor uns für zwanzig Tage in die Isolationshaft steckte.

Das beschreiben Sie im Buch und auch, wie ein weiterer Häftling für Sie Papier und Stift in die Zelle schmuggelte, damit Sie einen Bericht schreiben konnten.
Dieser Gefangene hat den Bericht dann auch dem «Walliser Boten» zukommen lassen. Zu meinem grossen Erstaunen hat die Zeitung meinen kritischen Text unverändert abgedruckt. Durch die Publikation dieses Artikels hat sich meine Situation im Knast natürlich nicht verbessert. Aber es war mein Einstieg in den Journalismus.

Wie endete das Ganze?
Nach der Isolationshaft ging die Repression weiter: Zusammen mit den beiden anderen Häftlingen musste ich in eisiger Kälte Steine aus einem Acker pickeln. Nach einer Woche war ich allein auf dem Acker, weil die beiden anderen ins Lazarett mussten; ihre Arme waren dick angeschwollen, und sie litten an Durchfall. Es war ein beinharter Kampf gegen die Kälte, die Müdigkeit und die Zeit. Der Gefängnisdirektor wartete nur darauf, bis auch ich einbrechen würde. Wochenlang liess er mich im November und Dezember auf dem Acker malochen. Es war ein eigentlicher Machtkampf, aber ich gab nicht auf. Kurz vor Weihnachten holte er mich vom Feld und steckte mich in eine Einzelzelle im berüchtigten Untersuchungsgefängnis in Sitten. Dann übernahm ein neuer Gefängnisdirektor. Dieser versuchte, mich möglichst schnell loszuwerden. Schliesslich wurde ich wegen «guter Führung» vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Im Klartext: Sie warfen mich hinaus.

Was hat sich seither geändert?
Nicht viel – auch heute, 25 Jahre später, sind die Verhältnisse immer noch miserabel. Alle paar Jahre sind Berichte von renommierten nationalen und internationalen Organisationen und Experten erschienen, die die Situation in den Walliser Gefängnissen scharf kritisierten, ohne dass sich viel geändert hat. Vor kurzem hat aber die SP-Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten eine grundlegende Reform eingeleitet.

Warum geschah denn bis jetzt nichts?
Es war für die vorherrschende CVP politisch nicht opportun, im Strafvollzug mehr finanzielle Mittel und mehr Personal einzusetzen. Hier zeigte die sogenannte «christliche» Werthaltung ihr wahres Gesicht. Zudem sitzen heute in den Walliser Gefängnissen vor allem Ausländer, die sich schlecht artikulieren können und keine Lobby haben.

Kurt Marti (52) war von 2000 bis 2010 Redaktor der «Roten Anneliese». Heute ist er freier Journalist und Mitglied der Redaktionsleitung 
der Internetzeitung «Infosperber». Letzten Herbst 
ist im Rotpunktverlag sein Buch «Im Tal des Schweigens. Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» erschienen.