Kommentar : EU-Forschung setzt auf Wunder

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Seit Montagmittag ist es offiziell: Die beiden Flagship-Projekte «Graphene» und «Human Brain Project» werden mit je einer Milliarde Euro Forschungsgeldern unterstützt. Von ihnen erwartet die Europäische Kommission, dass sie «Wellen technologischer Innovationen generieren», die Europa an die Spitze der Informations- und Kommunikationstechnologien katapultieren. Wer so konsequent auf eine Ökonomisierung öffentlicher Forschung drängt, muss das Projekt «Graphene» zum Sieger küren. Es verspricht nichts weniger, als die Industrie mit dem Wundermaterial auf Kohlenstoffbasis zu revolutionieren und das Wirtschaftswachstum zu beflügeln. Graphen werde Silizium ersetzen und Europa Kaliforniens Silicon Valley mit einem «Graphene Valley» den Rang ablaufen, verkündete Kommissionsvizepräsidentin Neelie Kroes an der Medienkonferenz in Brüssel.

Solcherlei Versprechen irritieren selbst Forschende, die am Projekt mitwirken. «Graphen ist ein tolles Material, wird aber Silizium nicht ersetzen», sagt der ETH-Physiker Klaus Ensslin. Ausserdem lasse sich eine industrielle Revolution nicht planen.

Die Europäische Kommission hingegen ist überzeugt, Forschung steuern und Resultate erzwingen zu können: Weil die «aktuell stark fragmentierte Forschungslandschaft» in Europa (man könnte sie auch breit gefächert nennen) verhindere, «aus den Forschungsinvestitionen das Maximum herauszuholen», will sie die Flagship-Projekte «mit einer Flotte zusätzlicher Projekte begleiten».

Das bestätigt Befürchtungen vieler ForscherInnen. Wie viele öffentliche Fördergelder wird es künftig für Projekte ausserhalb des Big-Science-Fahrwassers geben?

Noch ist die Finanzierung der Milliardenprojekte nicht gesichert. Fest steht nur, dass die Projektverantwortlichen mindestens die Hälfte selbst auftreiben müssen. Ob dies den Entscheid beeinflusst hat, das umstrittene «Human Brain Project» zu unterstützen, darüber lässt sich nur spekulieren. Bisherige Versuche, das Gehirn zu simulieren, generierten wenig mehr als Hirnströme einer Katze im Koma.

Tatsache ist indes: Patrick Aebischer, Präsident der ETH Lausanne, wo die Projektleitung angesiedelt ist, hat bereits im Vorfeld dafür gesorgt, dass das Projekt zu einem der drei strategischen Förderbereiche des ETH-Bereichs gehört und deshalb mit rund zwanzig Millionen jährlich rechnen darf. Der Medienkonferenz in Brüssel hat Aebischer in der ersten Reihe beigewohnt.