Familienartikel: Für das grosse Miteinander

Nr. 6 –

Es ist ja nicht so, dass der Familienartikel, über den die SchweizerInnen am 3. März auch noch abstimmen, ein wirklich grosser Wurf wäre. Er hält lediglich fest, was im Jahr 2013 längst selbstverständlich sein müsste: Bund und Kantone sollen zwecks Vereinbarkeit von Beruf und Familie dafür sorgen, dass ein «bedarfsgerechtes» Angebot an Plätzen für die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Und der Bund soll die Kompetenzen erhalten, den Kantonen Feuer unter dem Hintern zu machen, wenn diese sich nicht genügend engagieren.

Während in Schweden allenfalls noch darüber diskutiert wird, ob Eltern die Windeln in der Kita selbst bezahlen müssen, ist hierzulande bei den GegnerInnen der Vorlage, vornehmlich aus den Reihen der SVP, von «Planwirtschaft» und dem «Angriff auf die freiheitliche Schweiz» die Rede. Es sei nicht Aufgabe des Staats und der (kinderlosen) SteuerzahlerInnen, für Krippenplätze zu sorgen, dafür gebe es ja die Privatwirtschaft. Die ist da allerdings nicht ganz billig – so kostet eine vollumfängliche Betreuung in der von SVP-Nationalrätin Nadja Pieren gegründeten Krippe satte 2500 Franken im Monat, während Eltern für die teuersten Krippenplätze im Vorbildland Schweden nicht einmal 200 Franken im Monat zahlen müssen.

Und dann beschwören die GegnerInnen wieder einmal ein Familienbild herauf, das irgendwo anno 1870 in einem Albert-Anker-Gemälde stecken geblieben ist: die Mutter im trauten Heim am Herd, um deren Beine die pausbackigen Kindlein wuseln. Und das, obwohl ebenjene Familie so kaum noch irgendwo existiert. Dabei ist den rechtskonservativen StrippenzieherInnen durchaus bewusst, dass staatliche Krippenplätze nicht in erster Linie karriereambitionierten DoppelverdienerInnen zugutekämen, die sich dem Familienmodell à la Anker-Gemälde verweigern – sondern jenen Menschen, mitunter Migrantenfamilien, die auf ein Einkommen beider Elternteile angewiesen sind. Die Botschaft lautet: Wer kein Geld hat, der soll gefälligst keine Kinder bekommen. Der Feldzug der selbst ernannten KämpferInnen gegen den «schrankenlosen Sozialausbau» ist das zynische Bekenntnis zur Zweiklassengesellschaft. Nur noch den Kurzsichtigsten unter ihrer Klientel lässt sich diese gesellschaftsschädigende Haltung unter dem Deckmäntelchen der heilen Familie verkaufen.

Dabei wäre es höchste Zeit, sich Gedanken zu machen, wie eine zeitgenössische Familienwelt aussehen könnte. Mit einem vagen Verfassungsartikel ist es keineswegs getan, selbst dann nicht, wenn er tatsächlich dereinst dazu führt, dass ein flächendeckendes und vor allem bezahlbares Kita-Angebot vorhanden ist.

Gefragt ist ein tief greifender struktureller Wandel. Noch immer sind Teilzeitjobs für Männer schwer zu bekommen, im europäischen Vergleich belegt die Schweiz in Sachen Teilzeitarbeit für beide Elternteile die hintersten Ränge, wie eine Studie des Bunds belegt. Noch immer verdienen Frauen für dieselbe Arbeit weniger als Männer, und noch immer bestehen riesige Defizite in Sachen Vaterschaftsurlaub und Elternzeit. Vonseiten der Unternehmen hört man bezüglich all dieser Missstände viel gute Absichtserklärungen – denen jedoch kaum Taten folgen. Weder in Bezug aug zeitgemässe Arbeitsmodelle noch in Sachen betriebsinterne Kitas.

Doch nicht nur in der Arbeitswelt sind Veränderungen vonnöten: Der jungen, urbanen Familie mit mittlerem Einkommen bleibt kaum eine Alternative zum Reiheneinfamilienhaus am Stadtrand und damit auch immer ein Stückchen zur gesellschaftlichen Isolation.

Stattdessen wären neue Formen des Zusammenlebens gefragt, wie sie mancherorten in Wohnbaugenossenschaften zaghaft zu keimen beginnen. An Orten jenseits von Kitas und Kombis, wo Menschen, Junge, Alte, Familien wie Singles zusammenleben, sich untereinander organisieren und gegenseitig unterstützen, wo es Platz für das Unter-sich-Sein ebenso gibt wie Räume für ein grosses Miteinander, wo zusammen gekocht und betreut, gespielt, gelernt und gearbeitet werden kann – fast so, wie es in früheren Zeiten in heilen Grossfamilien gewesen sein könnte.