Zu den Abstimmungen: Lasst die lauen Kompromisse!

Nr. 9 –

Das ist ein dringlicher Aufruf: Gehen Sie abstimmen! Noch vor einigen Wochen hätte man vermuten können, dass die wirklich wegweisenden Vorlagen des Bundes – das Raumplanungsgesetz (RPG) und der Familienartikel – im Schatten der breit und kontrovers diskutierten Abzockerinitiative leichtes Spiel haben würden. Nun zeichnet sich ab, dass dem kaum so sein wird. Die Zustimmung für den Familienartikel bröckelt. Auch das neue Raumplanungsgesetz ist nicht im Trockenen, obwohl die Umfragen nach wie vor einen Trend zum Ja ausmachen.

Dabei sind die beiden Vorlagen mitnichten revolutionär. Vielmehr hat sich das nationale Mitte-rechts-Parlament zu Minimallösungen durchgerungen. Das RPG sieht unter anderem vor, was eigentlich schon länger gesetzliche Gültigkeit hätte: dass die Bauzonen nur so viel Land umfassen dürfen, wie in den nächsten fünfzehn Jahren voraussichtlich benötigt wird. Und mit der Anpassung der familienpolitischen Verfassungsgrundlagen wird lediglich eine Basis für das geschaffen, was in den meisten europäischen Ländern seit Jahren gang und gäbe ist (siehe WOZ Nr. 6/13 ).

In beiden Vorlagen findet sich ein heimtückisches Wort: «bedarfsgerecht». Wie sich der Bedarf an Bauzonen für die nächsten fünfzehn Jahre genau kalkulieren lässt, ist unklar, denn es spielt eine Rolle, ob die erwartete Bautätigkeit linear nach den Werten der Vergangenheit berechnet wird oder ob berücksichtigt wird, dass künftig vielleicht nicht überall so viel gebaut werden muss wie bis anhin. Hinzu kommt: Es ist unklar, dass der Bund künftig kontrollieren wird, ob die kantonalen Richtpläne den Vorgaben entsprechen, und ob er diese Pläne wirklich zurückweist, wenn dem nicht so ist.

Trotzdem ist die Revision des RPG wichtig und schafft gute Grundlagen für nachhaltigere Siedlungspolitik. Im Übrigen ist es nachgerade zynisch, wie das Gegenkomitee die Angst vor «Horrormieten auf engstem Raum» schürt, sind es doch dieselben Kräfte – etwa Hauseigentümer- oder Gewerbeverband –, die den überteuerten Wohnraum mitverantworten.

Das Wort «bedarfsgerecht» taucht auch im Verfassungsartikel über die Familienpolitik auf. Von der Schaffung eines «bedarfsgerechten Angebots an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen» ist da die Rede. Was das heisst und wie es umgesetzt werden soll, liegt in der Kompetenz der Kantone. Damit der Bund überhaupt eingreifen könnte, wenn diese sich zu wenig engagieren, müsste das Parlament erst ein entsprechendes Gesetz verabschieden – gegen das das Referendum ergriffen werden könnte. Ein solches hätte wohl gute Chancen, wenn schon der vorliegende und harmlose Verfassungsartikel dank SVP-«Staatskinder»-Propaganda auf der Kippe steht.

Wer die letzte Trendumfrage eingehender betrachtet, stellt fest, dass vor allem diejenigen den Familienartikel ablehnen, die kaum vom Ausgang der Abstimmung betroffen sind: Männer und RentnerInnen. So sei an dieser Stelle den FDP-Frauen ein Kränzlein gewunden, die sich der Parole ihrer männlichen Parteikollegen widersetzt haben und deutlich für ein Ja werben.

Es ist bedenklich, dass zwei Vorlagen, die Selbstverständliches einfordern, gefährdet sind. Doch selbst wenn sie angenommen würden, liesse sich nur verhalten jubeln. Denn sind Bundesgesetz und Verfassungsänderung erst mal in Kraft, wird der Antrieb für weiter gehende Vorstösse bei den bürgerlichen BundesparlamentarierInnen gering sein. Im Sinn von: «Man hat ja jetzt mal etwas gemacht, irgendwann ist auch mal gut, nun sollen es die Kantone richten.» Deshalb ist die Linke – auf kantonaler ebenso wie auf nationaler Ebene – künftig umso mehr gefordert, eine dezidierte Politik zu betreiben, die mehr will, als laue Kompromisse auszuhandeln, die dann am Ende vielleicht doch nicht mehrheitsfähig sind. Erst gilt es jedoch, die bestehenden Minimallösungen durchzubringen, denn die Ablehnung der Vorlagen wäre ein gefährliches Signal an Kantone und Gemeinden.

Gehen Sie abstimmen! Denn dank der emotional aufgeladenen Abzockerinitiative werden die ewiggestrigen NeinsagerInnen an den Urnen zahlreich auftauchen.