Fussball und andere Randsportarten: Ringen ist schwul

Nr. 8 –

Etrit Hasler über Homophobie, das IOK und einen irren Russen

Als alter Kampfsportfan bin ich es ja gewohnt, dass ich mit meinem Enthusiasmus häufig etwas allein dastehe. Sportarten, die darin bestehen, dass sich Menschen so lange auf die Schnauze hauen, bis einer umfällt, wirken auf viele Menschen etwas abschreckend. Denn obwohl wir schon so abgestumpft sind von Explosionen und Schiessereien am Bildschirm, dass wir echte Kriegsbilder oder etwa die brennenden Twin Towers kaum mehr als Realität erkennen, so selten sehen wir echt aussehende physische Gewalt. Oder wie es die einzige Zürcher Intellektuelle, Elisabeth Bronfen, in einer Filmkritik zu David Finchers «Fight Club» einmal sagte: «Es gibt nichts Brutaleres als eine Faust, die auf ein Gesicht trifft.»

Doch nicht alle Kampfsportarten sind ein so primitives Draufhauen wie Schwergewichtsboxen – Muay Thai, in unseren Landstrichen als Thaiboxen bekannt, ist beispielsweise eine hoch spirituelle Angelegenheit mit einer endlosen Kette von Ritualen, die es zu befolgen gilt. Doch eine der spannendsten Kampfsportarten ist für mich immer die olympischste aller Sportarten geblieben: das Ringen.

Zugegeben, ich weiss nicht sehr viel über modernes Ringen, ausser, dass die lustigen Kappen, die dabei getragen werden, dazu dienen, die Ohren zu schützen. Auch wenn die sogenannten Blumenkohlohren – auf-, halb oder ganz abgerissen – ein unvermeidliches Erkennungszeichen für Ringer untereinander sind. Aber die Geschwindigkeit, mit der zwei ProfiringerInnen über die Matte flitzen und innert Sekunden Dutzende von Stellungswechseln vollführen können, beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue. Mag sein, dass das nichts mehr mit dem Ringen der mythischen Olympischen Spiele vor zweieinhalbtausend Jahren zu tun hat, bei dem sich eingeölte nackte Männer mit strammen Muskeln und schwingenden … Ich schweife ab. Das muss wohl daran liegen, dass derzeit alle über schwule Sportler reden.

Ganz nebenbei: Ringer scheinen nicht so ein arges Coming-out-Problem zu haben wie Fussballer. Schwule Ringer gibts zuhauf. In Zürich gibt es sogar einen schwulen Ringerklub. Falls sich an dieser Stelle jemand zu dem Satz hinreissen lässt, Ringen sei ja auch einfach ein schwuler Sport, dem stelle ich gerne einmal meinen US-amerikanischen Highschool-Buddy (und Schulchampion im Freistil) Craig vor. Ich wäre gern dabei, wenn er diesem Jemand Blumenkohlohren verpasst.

Zurück zum olympischen Ringen: Ringen gehörte in der Antike, seit 708 vor unserer Zeitrechnung, zu den Wettkampfdisziplinen. In den Olympischen Spielen der Neuzeit wurde es an allen Spielen praktiziert, und seit 2004 dürfen endlich auch Frauen mitringen. Die zweite Strophe der olympischen Hymne beginnt mit: «Beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf». Man würde denken, etwas Olympischeres als Ringen gäbe es nicht.

Letzte Woche hat die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) beschlossen, dass Ringen ab 2020 nicht mehr olympische Disziplin sein soll. Beziehungsweise dass es sich zusammen mit Baseball, Karate, Wushu und anderen Randsportarten um einen Platz erneut bewerben muss. Auch wenn keine formelle Begründung gegeben wurde, ist klar, dass – gleich wie die Winterspiele mit so Kindergärtnereien wie Freestyle-Skiing aufgemotzt werden – die Sommerspiele Sportarten, die kein breites Publikum vor die Bildschirme zu zerren vermögen, zunehmend aus dem Programm kippen werden. Wieso, ist klar: Es geht um Einschaltquoten und damit um verdammt viel Geld. Überraschend ist das vielleicht nicht, mir jedoch würde das Ringen fehlen.

Eine ganz andere Erklärung für die Entscheidung hatte jedoch der russische Ringtrainer Wladimir Uruimagow: Das IOK werde von «sexuellen Minderheiten» angeführt, die damit einen «Schlag gegen die Maskulinität» führen. Anscheinend gibt es eben doch nicht nur im Fussball noch einiges zu tun.

Etrit Hasler ist definitiv hetero, aber auch definitiv zu wenig Mann, um selbst ringen zu können.