Porträt: «Plötzlich war es eine Art Beweismittel»

Nr. 11 –

Caspar Schmidlin staunte nicht schlecht, als die WOZ seine Zeichnungen zum Economiesuisse-Film gegen die Abzockerinitiative veröffentlichte. Mit dem Skript von Michael Steiner habe er nichts zu tun, sagt er.

Plötzlich stand seine Arbeit, die sonst kaum jemand zu Gesicht kriegt, im Zentrum der Aufmerksamkeit; und alles, was Caspar Schmidlin in diesem Moment dachte, war: «Die Bildqualität ist beschissen.»

Schmidlin hatte den Anruf in Abwesenheit bemerkt, und als er Michael Steiners Namen auf dem Display leuchten sah, freute er sich schon auf den nächsten Auftrag. «Wann? Wo?», schrieb er dem Regisseur, für den er schon oft und gerne gearbeitet hatte. Aber es ging nicht um einen neuen Job, sondern um einen, den er kürzlich erst erledigt hatte. Das Telefon klingelte. Es war Steiner: «Hast du gesehen? Dein Storyboard ist draussen. Jemand hat es rausgegeben.»

Die WOZ hatte die Zeichnungen zum Werbefilm von Economiesuisse veröffentlicht, den der Wirtschaftsverband gegen Thomas Minders Abzockerinitiative hatte drehen lassen und dann nach einer internen Kontroverse der Öffentlichkeit vorenthalten wollte. «Jetzt sieht mal jemand meine Zeichnungen», dachte Schmidlin, «und dann erscheinen sie in einer so miesen Fotokopiequalität.» 

Filme allein reichen nicht

Caspar Schmidlin (43) ist einer der wenigen Storyboardzeichner in der Schweiz. In der Woche nach der Abstimmung über die Minder-Initiative meldete er sich bei der WOZ. Er schien verunsichert, er hatte die Kontrolle über seine eigene Arbeit verloren: «Plötzlich war mein Storyboard kein Bildmaterial mehr, sondern ein Dokument, eine Art Beweismittel.» Schmidlin befürchtete, dass er verdächtigt würde, das Storyboard herausgegeben zu haben. Deshalb wolle er festhalten, sagte er, dass er damit nichts zu tun hatte. «Das ist ja nicht gerade ein Auftrag gewesen, mit dem ich überall hausieren würde.» Aber die Schweiz sei nun mal ein kleines Filmland, und es gebe nicht laufend Jobs für grosse Kinoproduktionen. «Da kann man nicht wählerisch sein bei den Aufträgen.»

Nach Weihnachten hatte Schmidlin einen Anruf von der Werbefirma erhalten, die den Economiesuisse-Spot mit Michael Steiner drehen sollte. Sie fragte ihn für ein Storyboard an. Weil Schmidlin glaubte, es handle sich um einen gewöhnlichen Werbespot, sagte er zu. In Steiners Büro erfuhr er dann, dass es ein Politfilm werden sollte. Das Skript stand schon, Schmidlin besprach mit Steiner bloss noch die «visuelle Auflösung» der Geschichte und lieferte zwei Tage später das Storyboard ab. Er hatte ja auch schon Autowerbungen gezeichnet, obwohl er keinen Führerschein hat – so führte er auch diesen Auftrag aus: «Die Schweiz nach einer Katastrophe, das ist ein spannendes Szenario – ob wegen Minder oder Godzilla, spielt für mich als Zeichner keine Rolle.»

Caspar Schmidlin stammt aus einer Künstlerfamilie, seine Mutter war Kinderbuchillustratorin, der Vater Kunstmaler. Nach der Lehre arbeitete Schmidlin zwei Jahre als Grafiker. Dann verreiste er, der vom Hongkongkino fasziniert war, nach Asien. Als er in Hongkong war, spazierte er bei einer Filmproduktionsfirma herein und bat um Filmplakate. Dabei fragte er auch gleich, ob es hier einen Job für ihn gebe. Dann ging es schnell: Schmidlin zeichnete ein paar Tage Probe. Sie fanden ihn gut, fragten ihn, ob er nächste Woche anfangen könne. Er arbeitete eineinhalb Jahre in Hongkong, sechs Tage die Woche, und zeichnete bei einem Trickfilm von Tsui Hark mit. Das war seine «Filmschule».

In der Schweiz zeichnete Schmidlin sein erstes Kinostoryboard für Michael Steiner, als dieser vor knapp zehn Jahren «Mein Name ist Eugen» drehte. Drei Monate lang arbeitete Schmidlin daran, dafür erhielt er 6000 Franken. Seither hat er für ein Dutzend Kinoproduktionen Storyboards gezeichnet. Und auch wenn die Löhne etwas gestiegen sind, vom Film allein lässt es sich nicht leben. Schmidlin sichert sein Einkommen hauptsächlich mit Fernsehspots – über zwanzig waren es letztes Jahr.

«Nicht mal ich habe ihn gesehen»

Schmidlin blättert im Storyboard, das er zum Treffen mitgebracht hat, und zeigt dann die Szene aus «Mein Name ist Eugen», in der sich drei Kinder aus einem Fenster abseilen. «Das skizzierst du rasch auf einem A4-Blatt – und dann stehst du später am Set und schaust zu, wie ein Dutzend Leute versucht, diese Szene so hinzukriegen, wie du sie gezeichnet hast, und denkst: Was habe ich für ein Monstrum geschaffen.»

Beim Film für Economiesuisse war das nicht anders. Schmidlin ahnte zwar, dass der Film für Wirbel sorgen würde, aber er dachte, kaum jemand würde sein Storyboard je zu Gesicht bekommen. Er fand es abgefahren, dass so viel über einen Film geredet wurde, den niemand gesehen hatte. «Schade eigentlich, nicht mal ich habe den Film gesehen.»

Wie er bei der Abzockerinitiative gestimmt hat, will Schmidlin für sich behalten. Er hätte sich jedenfalls nie so politisch exponiert, wie das Regisseur Steiner getan hat. Ihm ist wohler, wenn er im Hintergrund bleiben und mit dem Stift neue Welten erschaffen kann. «Ich bin froh, wenn ich mich nicht mit Budgets und dem Casting rumschlagen muss.» Manchmal will Schmidlin doch sehen, was aus seinen Skizzen geworden ist. Dann macht er einen Besuch am Set – und wird schon mal als Statist engagiert.