Margaret Thatcher (1925 – 2013): «Möge die Eiserne Lady in Frieden rosten»
Keine andere politische Figur Europas hat in den letzten Jahrzehnten das Denken weit über das eigene Land hinaus so geprägt wie Margaret Thatcher. Und so viel Verheerendes angerichtet.
Sie behielt ihr Ziel stets im Auge und zeigte sich zuweilen pragmatisch. Sie war entschlossen und hatte gleichwohl manchmal Mitgefühl. Sie verfolgte strikt eine Mission und legte trotzdem eine überraschende Flexibilität an den Tag. Es gibt durchaus Positives zu sagen über die erste Premierministerin des Vereinigten Königreichs, die am Montag einem Schlaganfall erlag. Aber nicht viel.
Denn Margaret Thatcher hat vor allem zerstört und das Neue, das sie schuf, ausschliesslich den Reichen und Mächtigen zukommen lassen. Sie hat das Sozialgefüge Britanniens demontiert, die Wirtschaft deindustrialisiert, Kriege vom Zaun gebrochen, die Demokratie ausgehöhlt, Millionen ins Elend gesetzt, ganze Landstriche entvölkert, sich mit den falschen Leuten verbündet (der chilenische Diktator Augusto Pinochet war für sie «ein guter Freund», Nelson Mandela hingegen «ein Terrorist»), den Londoner Finanzplatz dereguliert (die Folgen sind angesichts von Offshore-Leaks gerade wieder zu besichtigen), die Eliten verhätschelt, einen permanenten Klassenkrieg von oben geführt – und all jene kollektiven Organisationen zerstört, die ihr im Weg standen. Und sie hat polarisiert, bis über ihren Tod hinaus. Während die politische Klasse ihr Hinscheiden bedauerte, kam es in zahlreichen Städten – von Bristol bis Glasgow, von London bis Derry in Nordirland – zu spontanen Freudenbekundungen. Vergleichbares war seit dem Sturz osteuropäischer Potentaten nicht mehr zu beobachten. «Die Eiserne Lady ist weg», jubelte einer auf dem Netz, «möge sie in Frieden rosten.» Und das war noch recht freundlich formuliert.
Glück und Wille
Wie aber hat es die Krämerstochter aus dem kleinen Örtchen Grantham geschafft, zur einflussreichsten Person an der Regierungsspitze seit Clement Attlee zu werden, jenem grossen Reformer kurz nach dem Krieg? Durch eisernen Willen, weil sie zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle war und mit viel Glück. In den siebziger Jahren steckte Britannien in einer Strukturkrise. Die alten Kolonien waren weggebrochen, der Nachkriegskonsens bröckelte, der Internationale Währungsfonds zwang der damaligen Labour-Regierung ein drastisches Sparprogramm auf, das nicht im Interesse der Lohnabhängigen war. Zudem waren die VertreterInnen des bisherigen paternalistischen und sozialpartnerschaftlichen Tory-Konservatismus verschlissen.
Margaret Thatcher trat gegen sie an, gewann 1974 die Wahl zur Tory-Vorsitzenden, dann 1979 die Unterhauswahl (bei der sie allerdings weniger Stimmen erhielt als frühere konservative Premierminister) und kam 1982 als überaus unpopuläre Premierministerin in den Genuss eines militärischen Abenteuers der damaligen argentinischen Militärjunta. Der Falklandkrieg – der auch politisch hätte gelöst werden können – rettete sie ebenso wie bei den nachfolgenden Wahlen die Spaltung der Opposition: Die Labour-Partei bekam in Form einer Sozialdemokratischen Partei Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Über elf Jahre lang regierte Thatcher das Land – bis ihr lange Zeit grosses politisches Gespür sie im Stich liess, sie eine Einheitssteuer, die sogenannte Poll Tax, durchpaukte. Es kam zu Rebellionen im ganzen Land, in deren Gefolge sie 1990 von den eigenen Leuten entmachtet wurde.
Gegen den «inneren Feind»
Diese elf Jahre nutzte Thatcher auf vielfältige Weise. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die Kapitalverkehrskontrolle abzuschaffen. Danach setzte die Anhängerin der marktradikalen Chicagoer Schule von Milton Friedman eine lange Reihe von Privatisierungen in Gang: Sie verhökerte die staatlichen Energiegesellschaften, das Nordseeöl, die Häfen, British Telecom, British Airways, die Strom- und die Wasserversorgung an die Banker, befreite 1986 deren City of London von bis dahin geltenden Auflagen und senkte den Spitzensatz der Einkommenssteuer schrittweise von 83 auf 40 Prozent. Das konnte sie jedoch erst tun, nachdem sie den Gegner beseitigt hatte, der ihre neoliberale Politik hätte stoppen können: die Gewerkschaften. Und insbesondere die NUM, die Organisation der damals rund 170 000 kampfstarken und selbstbewussten Bergarbeiter.
Nach langer Vorbereitung und einer Militarisierung der Polizei (die bis heute gegeben ist) gewann sie die epochale Auseinandersetzung 1984/85 gegen den «inneren Feind»; die lange Gegenwehr der «miners» prägt bis heute die Erinnerung an die Thatcher-Zeit. Es folgten Siege über die Drucker, die Docker, die EisenbahnerInnen und eine antigewerkschaftliche Gesetzgebung, die bis heute die Trade Unions lähmt. Doch Thatcher griff nicht nur zur schieren Gewalt – auch wenn die Polizeiübergriffe, die 1981 zu den Unruhen in den Ghettos von London, Bristol oder Liverpool führten, die Polizeieinsätze gegen die Friedensfrauen von Greenham Common oder die handstreichartige Abschaffung der demokratisch gewählten Metropolitan Councils in den Labour-dominierten Grossstädten dies vermuten lassen.
Individuum statt Gesellschaft
Margaret Thatcher hatte Grösseres im Sinn, als oppositionelle Bastionen aus dem Weg zu räumen. Sie wollte die britische Gesellschaft und deren etablierte Sozialstrukturen im Namen der Freiheit und zum Zweck der Umverteilung von unten nach oben umbauen. Die Ökonomie sei nur ein Mittel, sagte sie einmal; das Ziel sei, die Seelen zu verändern. Instinktiv setzte sie an einem Punkt an, den die traditionelle Linke zu lange vernachlässigt hatte – dass sich nicht alle Menschen per se am Gemeinwohl orientieren, sondern auch individuelle Bedürfnisse haben. Dass trotz aller positiven Erfahrungen kollektiver Anstrengungen (etwa im Sozialwohnungsbau oder beim Gesundheitswesen) viele Individuen auch eigennützig handeln und nach oben streben.
Sie hat diese Überzeugung politisch geschickt umgesetzt – indem sie etwa Gemeindewohnungen an besser verdienende Lohnabhängige verkaufte und sich so zu einer Basis in der Arbeiterklasse verhalf. «Es gibt keine Gesellschaft, sondern nur Individuen» lautete ihr Schlachtruf, mit dem sie die neoliberale Denkweise hegemonial verfestigte – nicht nur in Britannien, sondern (in Partnerschaft mit US-Präsident Ronald Reagan) weit darüber hinaus: Alle sorgen für sich. Jede gegen jeden. Heraus kam eine Ich-ich-ich-Ellenbogen-Konsum-Gesellschaft. Und ein betriebswirtschaftliches Budgetverständnis, das – siehe die Rezepte zur Bewältigung der Eurokrise – ganze Volkswirtschaften in den Ruin treibt; so wie Thatcher es während ihrer Amtszeit tat. Sie hat nicht «Britannien gerettet», wie es jetzt heisst. Sondern innerhalb weniger Jahre die industrielle Produktion um ein Viertel gesenkt, die Arbeitslosigkeit in die Höhe getrieben und die Kriminalität um siebzig Prozent gesteigert.
Gewonnen hat sie trotzdem. Auf die Frage, was denn ihr grösster Erfolg gewesen sei, antwortete Thatcher, als sie noch bei Sinnen war: «New Labour.» Damit hatte sie ausnahmsweise einmal recht: Ihre Nachfolger Tony Blair und Gordon Brown von der Labour-Partei haben durch noch weiter gehende Privatisierungen und Deregulierungen und den Verzicht auf eine Korrektur ihrer Entscheidungen den Thatcherismus überhaupt erst institutionalisiert. Thatcher hätte aber auch sagen können: «Die heutige Politik in Europa.» Denn der marktradikale Wahnsinn, dem sie zum Durchbruch verhalf, ist noch immer allgegenwärtig.