«Paradies: Liebe» und «Paradies: Glaube» : Dieses Paradies hat auch seine komischen Seiten

Nr. 15 –

In Ulrich Seidls Trilogie «Paradies: Liebe», «Paradies: Glaube» und «Paradies: Hoffnung» stehen drei Frauen im Zentrum, die auf der Suche nach ihrem Glück sind.

«Paradies: Glaube»: Bei den Züchtigungen vor diesem strengen Gott schmerzt schon das blosse Zusehen. Still: ulrichseidl.com

Er verlangt alles. Von seinem Publikum, von seinen Mitarbeitenden und von sich selbst. Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl dreht Filme, für die er kompromisslos seinen Weg geht. Er dringt in die Privatsphäre der Menschen ein und scheut sich nicht, auch deren ungemütliche und hässliche Seiten zu zeigen.

Nun kommen mit der «Paradies»-Trilogie gleich drei neue Seidl-Filme in die Kinos. Das – vermeintliche – Paradies in Seidls Filmen sind die Liebe, der Glaube und die Hoffnung. In jedem der Filme zieht sich eine Frau in eines dieser Paradiese zurück – was sie dort findet, gleicht jedoch zum Teil eher der Hölle.

Hartnäckig recherchiert

Auftakt der Trilogie – die ursprünglich als ein Film konzipiert war – macht «Paradies: Liebe». Die übergewichtige fünfzigjährige Teresa (Margarethe Tiesel) reist nach Kenia. Dort sucht sie gegen Bezahlung sexuelle Erfüllung bei jungen «Beachboys», gleichzeitig träumt sie jedoch von der echten Liebe. Als sie herausfindet, dass «ihr» Beachboy sie belügt und nur hinter ihrem Geld her ist, bricht ihre kleine Welt zusammen – und sie rächt sich auf ihre Art.

In «Paradies: Glaube» kriecht Teresas Schwester, die strenggläubige Katholikin Anna Maria (Maria Hofstätter), auf den Knien durch ihre Wohnung, den Rosenkranz betend. Beladen mit einer «Wandermuttergottes» unter dem Arm, besucht sie «Ungläubige» und «Sünder» zu Hause, um für sie zu beten und sie auf den richtigen Weg zu bringen. Als ihr muslimischer Ehemann, der seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist, überraschend zu ihr zurückkehrt, wird ihr Alltag kompliziert. In «Paradies: Hoffnung» schliesslich kämpft Teresas übergewichtige Tochter Melanie (Melanie Lenz) in einem Diätlager gegen ihre überflüssigen Kilos und erlebt ihre erste grosse Liebe – zum über vierzig Jahre älteren Lagerarzt.

Seidl ist ein genauer Beobachter und ein hartnäckiger Rechercheur, für seine Filme braucht er jeweils eine ausgedehnte Vorbereitungszeit. Die vorgefundenen Wirklichkeiten zeigt er nüchtern, zugespitzt und ohne zu moralisieren. Es ist diese Mischung aus dokumentarischem Zugang und inszenierter Wirklichkeit, die Seidls Filme auszeichnet.

So auch in «Paradies: Liebe»: Seidl reiste vor dem Dreh während zweier Jahre mehrmals nach Kenia und recherchierte das Milieu der Beachboys und jenes der «Sugarmamas», der europäischen Sextouristinnen, aufs Genauste. Alle Sugarmamas besetzte er mit Profischauspielerinnen, alle Beachboys werden von Männern gespielt, die auch im wirklichen Leben als Beachboys tätig sind. Das riskante Vorhaben ist gelungen, und die Leistung sowohl der Laien wie auch der Schauspielerinnen grossartig. Auch von ihnen verlangte Seidl alles: echter Sonnenbrand, echte Nacktheit, echte intime Berührungen. Dies schaffen die DarstellerInnen mit einer unverkrampften Natürlichkeit, die fasziniert. Wenn Teresa ihrem Beachboy ihre riesigen Brüste präsentiert und ihn lachend instruiert, wie er sie berühren soll und wie eben nicht («Nicht so zwicken!»), ist dies eine beinahe schon zärtlich wirkende Liebesszene. Gleichzeitig demonstriert die Szene aber auch subtil die klaren Machtverhältnisse: Die weisse, reiche Frau sagt, wo es langgeht. So auch, als Teresas Freundinnen ihr einen Beachboy zum Geburtstag schenken: Im Hotelzimmer macht er einen Striptease für die vier kreischenden Frauen, die sich jedoch daran stören, dass er keine Erektion bekommt – egal wie sehr sie sich auch darum bemühen. Schliesslich schmeissen sie ihn kurzerhand raus. Seidl zeigt die Beachboys allerdings nicht einfach als Opfer. Auch sie haben ihre Strategien entwickelt, um im «System Sextourismus» zu profitieren.

Von der Symmetrie besessen

Ist es in «Paradies: Liebe» Margarethe Tiesel, die als dickbeinige, sonnenverbrannte Teresa in farbigen Kleidern und grossen Sonnenhüten den Film prägt, so ist es in «Paradies: Glaube» Maria Hofstätter. Als strenggläubige Katholikin Anna Maria scheut die Schauspielerin, die schon in Seidls «Hundstage» (2001) als leicht irre Autostopperin überzeugte, keinerlei Strapazen. Wenn sie sich vor dem Kreuz Christi den Rücken peitscht oder wenn sie auf den Knien durch ihre Wohnung robbt, schmerzt schon das reine Zuschauen. Mehr noch als in «Paradies: Liebe» wird in «Paradies: Glaube» Seidls Besessenheit für die Symmetrie sichtbar. Jede Einstellung ist genau durchkomponiert, fast jedes Bild ein symmetrisch inszeniertes Tableau.

Vor allem aber ist «Paradies: Glaube» ein überraschend lustiger Film. Wenn der penetrante Gutmensch Anna Maria die «Gefallenen» in deren Wohnung aufsucht, um sie aus ihrem Elend zu retten, kommt es zu absurden Begegnungen und witzigen Dialogen. O ja, man kann lachen mit Ulrich Seidl – und es ist kein bösartiges Lachen.

«Paradies: Liebe». Österreich 2012. Regie: 
Ulrich Seidl. Ab 11. April 2013 in den Kinos.

«Paradies: Glaube». Ab 9. Mai 2013 in den Kinos.

Der dritte Teil, «Paradies: Hoffnung», wird ab 
20. Juni 2013 in den Kinos zu sehen sein.