Wirtschaftstheorie: Der Staat soll die Marktwirtschaft retten
Die wirtschaftlichen Zeichen stehen auf Sturm, doch noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr: Das ist der Appell, den fünf renommierte ÖkonomInnen aus drei Kontinenten diese Woche veröffentlicht haben.
«Die Meisten haben noch nie etwas von Bilanzrezessionen gehört.» Und: «Leider ist vielen europäischen Politikern noch nicht bewusst, dass es eine ökonomische Krankheit gibt, die man Bilanzrezession nennt», moniert der taiwanesische Ökonom Richard C. Koo in seinem Beitrag eines ökonomischen Manifests, das fünf renommierte ÖkonomInnen vorgelegt haben.
So fachtechnisch die Kritik des Chefökonomen des Nomura Research Institute in Tokio auch daherkommt, die Aussage ist brisant. Und sie ist nur ein Einwand unter vielen, die zeigen, wie wenig sich die gängigen Debatten zur Wirtschaftskrise um die realen wirtschaftlichen Abläufe kümmern. Mit fatalen Folgen, wie die sich seit Jahren vertiefende Krise belegt.
Eine Bilanzrezession ist mehr als ein vorübergehender Einbruch der Wirtschaft. Während einer Bilanzrezession, so Richard C. Koo, versuchen die privaten WirtschaftsakteurInnen ihre Schulden zu reduzieren. Statt dass die Unternehmen Kredite aufnehmen, um damit die Produktion zu finanzieren und so die Profite zu maximieren, werden die Schulden minimiert.
Entsprechend gelingt auch der Versuch der Zentralbanken nicht, die Wirtschaft mit dem Angebot von billigem Geld wieder in Fahrt zu bringen. Selbst Nullzinsen vermögen die UnternehmerInnen und Haushalte nicht zum Investieren zu verführen.
Das ist das grosse Problem, vor dem die NotenbankerInnen weltweit seit Monaten stehen. Ihre Grosszügigkeit ist grenzenlos, genauso wie ihre Machtlosigkeit. Das billige Geld versickert irgendwo auf den Finanzmärkten, wo es zu neuen Blasen führt.
Die Liberalisierung des Arbeitsmarkts
Die Konsequenzen sind überall zu besichtigen – in den USA, in Japan, in Britannien, in Irland oder Spanien, wo die Krise sich immer weiter vertieft. Wie dramatisch sich eine Bilanzrezession auswirken kann, zeigt aber vor allem die grosse Depression der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts, die Nordamerika und Europa ins Elend stürzte. Und hier liegt auch, so Koo, die Warnung an die Politik: Die Länder, die in der Krise stecken, riskieren den Kollaps ihrer Wirtschaft oder eine lang andauernde wirtschaftliche Talsohle mit hoher Arbeitslosigkeit und weiteren massiven Schulden.
Nach Einschätzung der ÖkonomInnen, die das Manifest verfasst haben, ist die Bilanzrezession nur eines vieler Probleme, die sich derzeit an den verschiedensten Stellen der globalen Wirtschaft stellen.
Heiner Flassbeck, ehemaliger Chefökonom der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung Unctad, stellt seinerseits die Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit am Beispiel des Arbeitsmarkts bloss. Dieser funktioniere nicht wie andere Märkte – und auch anders als die Mainstreamökonomie behaupte. Auf den Gütermärkten führten sinkende Preise zu einer grösseren Nachfrage. Nicht jedoch auf dem Arbeitsmarkt. Sinkende Löhne hätten nicht – wie seit Jahrzehnten behauptet – zu mehr Beschäftigung geführt.
Im Gegenteil. Die Lohnflexibilisierung bremse die Nachfrage nach Gütern und führe schliesslich zu mehr Arbeitslosigkeit. Flassbeck: «Trotz des niedrigsten Anteils der Löhne am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit dem Zweiten Weltkrieg in allen Industrieländern ist die Arbeitslosigkeit nach der Finanzkrise 2008/2009 auf neun Prozent hochgeschnellt, das ist das höchste Niveau der letzten sechzig Jahre.»
Das Gebot der Stunde
Die Krise macht deutlich, wie wenig die Funktionsweise des marktwirtschaftlichen Systems verstanden wird. Das ist der tiefere Grund, weshalb die Krise sich weiter verschlimmert, die Arbeitslosigkeit steigt und die Kluft zwischen Reichen und Armen grösser wird. So die Hauptbotschaft des Manifests.
«Handelt jetzt!» propagiert nicht den Umsturz. Die AutorInnen legen mit unterschiedlichen Argumenten das Versagen der Wirtschaftspolitik bloss und sind sich einig in ihrem Plädoyer gegen den schrankenlosen Kapitalismus. Es brauche den aktiven Staat. Er müsse eingreifen, damit die Marktwirtschaft überhaupt wieder funktionieren könne.
Das Gebot der Stunde ist für die AutorInnen die «sofortige Beendigung der Austeritätspolitik». Denn solange die Wirtschaft nicht investiere, müsse der Staat in die Bresche springen. Ansonsten seien mehr als nur Einkommen und Arbeitsplätze gefährdet, nämlich auch der über Jahrzehnte aufgebaute Wohlstand und die demokratische Ordnung.
Revolutionär tönt das nicht. Mehrheitsfähig ist der Aufruf trotzdem noch lange nicht.
Heiner Flassbeck, Paul Davidson, James K. Galbraith, Richard Koo und Jayati Ghosh: Handelt jetzt! Das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft. Westend Verlag. Frankfurt 2013. 206 Seiten. Fr. 25.90