Fairness at work : Nicht nur «Putzfrau und fertig»

Nr. 17 –

Vor zehn Jahren erforschte die Geografin Pia Tschannen die Putzarbeit in Privathaushalten und fand skandalöse Verhältnisse. Sie wollte zeigen, dass es auch anders geht. Das tut sie – inzwischen mit mehr als 250 Putzfrauen.

Bratovanova (links) und ihre Kollegin Rebecca Musongay Kabanga.

Eine Wohnung zu putzen, kostet Zeit und Nerven. Asya Bratovanova putzt nicht nur eine, sondern 23 Wohnungen: 22 von KundInnen und ihre eigene. Bei der Sorgfalt macht sie keinen Unterschied: «Ich betrachte jede Wohnung als meine Wohnung», sagt die gebürtige Bulgarin, die in Hinterkappelen bei Bern lebt. Und jeden Abend, wenn sie nach Hause zu ihrem Mann und den beiden Katzen kommt, holt sie als Erstes den Staubsauger hervor – egal wie müde sie ist. Wegen der Katzenhaare.

Putzarbeit in Privathaushalten findet im Verborgenen statt. Als die Geografin Pia Tschannen vor gut zehn Jahren ein Buch zum Thema schrieb, fand sie zur Situation in der Schweiz wenig Literatur und kaum Zahlen. Sie interviewte achtzehn Putzfrauen, hörte Geschichten von enormer Arbeitsbelastung – manche Frauen arbeiteten sechzig Stunden pro Woche und verdienten doch kaum genug zum Leben –, von Villenbesitzern, die ihrer Putzfrau nicht einmal achtzehn Franken pro Stunde gönnten, und Vorgesetzten, die geleistete Arbeitsstunden systematisch «vergassen».

Alles klar geregelt

Nach der Veröffentlichung ihres Buchs «Putzen in der sauberen Schweiz» arbeitete Tschannen beim Bundesamt für Gesundheit. Immer wieder wurde sie von Bekannten auf ihr Forschungsthema angesprochen. Manche waren vom Putzen überfordert, aber schämten sich, eine Putzfrau zu suchen. Andere hatten Frauen in Schwarzarbeit angestellt und schämten sich auch. «Ist es in Ordnung, andere Leute den eigenen Dreck wegputzen zu lassen?», fragt Tschannen. «Diese Frage wurde in der Linken diskutiert, und ich finde sie durchaus legitim. Aber die Nachfrage ist offenbar da. Ich wollte beweisen, dass es auch im Niedriglohnbereich möglich ist, existenzsichernde Löhne zu bezahlen und die Leute anständig zu behandeln.»

«Proper job» nannte sie das Projekt, Teil einer GmbH namens Fairness at work, die sie 2005 gemeinsam mit dem Pädagogen und Berater Hansjürg Geissler gründete. Sie sind bis heute in der Geschäftsleitung. Faire Arbeitsbedingungen sollten das Thema der GmbH sein, «Proper job» eines von vielen Projekten. Heute bietet Fairness at work tatsächlich verschiedene Dienstleistungen dazu an: vom Coaching über Managementweiterbildungen bis zur Forschung über Arbeitsthemen. Doch «Proper job» ist mit Abstand die grösste Abteilung: Über 250 Putzfrauen und etwa fünf Putzmänner zwischen Freiburg und Thurgau, Luzern und Basel reinigen heute rund 1650 Privathaushalte.

Ein Superjob sei das, sagt Asya Bratovanova. Als die 44-Jährige vor zwei Jahren Arbeit suchte, schrieb sie Hunderte von Bewerbungen – erfolglos. Dann las sie im Internet von Fairness at work und ging gleich persönlich vorbei. Sie konnte sofort die ersten Einsätze übernehmen. Heute arbeitet sie hundert Prozent. Bei so vielen verschiedenen Arbeitsorten geht das fast nur mit einem eigenen Auto. Sie klingt glaubwürdig, wenn sie sagt, sie putze gern. «Aber für viele Leute sind wir nur die Putzfrau und fertig.» Diese Geringschätzung hat auch sie schon zu spüren bekommen. Bei der arroganten Professorengattin, die ihr klar zu verstehen gab, wie wenig sie von ihr hielt, arbeitet sie inzwischen nicht mehr. Von den jetzigen KundInnen fühlt sie sich respektiert, mit einer geht sie sogar in der Freizeit Kaffee trinken. «Und an Weihnachten, zum Geburtstag oder zwischendurch bekomme ich oft Geschenke.»

Geschenke können in diesem Beruf sehr zwiespältig sein. In illegalen Arbeitsverhältnissen werden sie manchmal zum Lohnbestandteil, zementieren so den tiefen Lohn und die Abhängigkeit. Nicht bei Fairness at work: Alles ist klar geregelt. Die Putzfrauen bekommen 28.70 Franken brutto pro Stunde und vorbildliche Sozialleistungen: Unfallversicherung, Pensionskasse und Kinderzulagen – die ihnen bei manchen Firmen vorenthalten werden – sind selbstverständlich, eine Taggeldversicherung gibt es für alle, auch wenn sie nur wenige Stunden arbeiten und unter die Grenze des Obligatoriums fallen würden. «Ganz wichtig ist: Die Leute haben ein Arbeitsverhältnis und nicht fünfzehn verschiedene», sagt Pia Tschannen. «Die ganze Administration läuft über uns. Wenn eine Kundin kündigt, finden wir meist einen Ersatz. Für selbstständige Putzfrauen bedeutet so etwas jedes Mal Stress.»

Die Reinigungsbranche hat seit 2005 einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Viel hilft das nicht: Der GAV-Stundenansatz liegt bei 17.60 Franken brutto, dazu kommt ein Betrag für den 13. Monatslohn, Feiertage und Ferien. Macht zusammen knapp zwanzig Franken brutto. Viele Firmen halten nicht einmal das ein. «Als wir anfingen, hörten wir oft: Die Putzfrauen wollen gar nicht legal arbeiten», sagt Pia Tschannen. «Kein Wunder, wenn sie für Schwarzarbeit 25 Franken in bar pro Stunde bekommen und legal oft weniger als 20.» Wer eine Putzfrau schwarz angestellt hat, kann sie bei Fairness at work «legalisieren» lassen. Das funktioniere meistens, sagt Tschannen, auch für Ausländerinnen mit F-Ausweis (vorläufige Aufnahme). Die Firma muss beweisen, dass keine Schweizerin den Job will. Aber in der Reinigungsbranche ist das nicht schwierig, hier sind Schweizerinnen in der Minderheit.

Schmerzen und Allergien

Hätte sie lieber eine andere Arbeit? Asya Bratovanova grinst. «Ja, Professorin!» Ihr bulgarisches Hochschuldiplom in Marketing ist in der Schweiz nicht anerkannt. Noch einmal zu studieren, kann sie sich nicht vorstellen. Aber lernen möchte sie, zuerst weitere Deutschkurse besuchen, dann etwa eine Weiterbildung in Informatik, um in einem Büro arbeiten zu können. Und irgendwann vielleicht nach Bulgarien zurück und dort etwas aufbauen. Ihr Schweizer Mann ist begeistert von Bulgarien: schöne Landschaften, tolles Essen. Er könnte sich vorstellen, nach der Pensionierung auszuwandern.

Putzen ist ein Knochenjob. Auch wer auf die Ergonomie achtet, riskiert Tennisarme, Gelenkprobleme, Allergien. «Ein Vollzeitpensum ist ungeheuer anstrengend», sagt Tschannen. «Uns fällt auf, dass die Ausfälle bei langjährigen Mitarbeiterinnen zunehmen. Es kann keine Perspektive sein, jahrzehntelang Wohnungen zu putzen.» Die Weiterbildungen, die «Proper job» anbietet  – Reinigungskurse, Deutsch, Ergonomie, Bewerbungen schreiben –, sollen auch Türen öffnen in andere Berufe.

Asya Bratovanova hat eine solche Weiterbildung in Reinigung besucht. Den Überblick zu behalten, was in 22 Wohnungen gerade nottut, ist anspruchsvoll. «Ich mache jede Woche einen Plan, was ich erledigen möchte. Aber oft kommen Kunden mit Spezialwünschen und werfen meinen Plan wieder über den Haufen.» Ohne Vertrauen geht es in diesem Job nicht. Bratovanova hat 22 Schlüssel, die ihr Zugang zu intimen, privaten Räumen verschaffen. Einmal hat ihr eine Kundin drei Hosen für ihre Familie in Bulgarien geschenkt. In einer steckte eine mitgewaschene Fünfzigernote. Bratovanova gab sie zurück. Das Vertrauen war ihr mehr wert als die fünfzig Franken.

Die besten Angestellten seien oft ehemalige Schwarzarbeiterinnen, sagt Tschannen. «Sie haben den Blick fürs Ganze, sehen, ob die Fenster sofort geputzt werden müssen oder ob das auch nächste Woche noch reicht.» Was, wenn jemand nicht gut genug arbeitet? Dann setzt «Proper job» auf Einzelcoaching: Eine erfahrene Hauswirtschafterin begleitet die Putzfrau in die Privatwohnung und gibt ihr Tipps. Wenn alles nicht hilft, kann es auch zu einer Entlassung kommen. Hansjürg Geissler betont: «Faire Anstellung heisst nicht, dass alle kommen können, die sonst nirgends mehr arbeiten können.» Doch für Entlassungen gebe es ein definiertes Verfahren mit mehreren Gesprächen und einer «letzten Chance». Pia Tschannen ergänzt: «Wir werden nicht gleich hässig, wenn sich ein Kunde beschwert. Wir versuchen sachlich zu klären, was schiefläuft. Viele Frauen haben so schlechte Erfahrungen mit Arbeitgebern gemacht, dass sie regelrecht gebrannt sind.»

Warum ist das so teuer?

Nach der Heirat vor drei Jahren konnte Asya Bratovanova ihren Sohn in die Schweiz holen. Inzwischen ist er neunzehn, macht eine Lehre als Lastwagenfahrer und spricht so gut Deutsch, dass er ihre Fehler korrigiert. Bratovanova hält viel vom Berufsbildungssystem in der Schweiz: «Hier lernt man etwas Praktisches und kann dann auch arbeiten. In Bulgarien gehen sehr viele ans Gymnasium, studieren und sind dann arbeitslos.» Die Situation in ihrer Heimat macht ihr Sorgen. Eine Freundin verdient nur 400 Lewa (250 Franken) im Monat – «ich weiss nicht, wie sie damit durchkommt». Gerade mal halb so viel, 200 Lewa, beträgt die Pension von Bratovanovas verwitwetem Vater. Sie unterstützt ihn finanziell. Und jeden Sommer geht sie ihn besuchen. Dann gibt es auch immer viel zu putzen. «Ein Mann kann das einfach nicht so wie eine Frau», sagt sie lachend.

Zum Stundenlohn von 28.70 kommen AHV, Pensionskasse und weitere Arbeitgeberbeiträge. Das macht 35.50. Dann Administrationskosten, fünf Franken im Schnitt. Viel ist das nicht. Wer eine Putzfrau von Fairness at work anstellt, zahlt 40 bis 45 Franken. «Viele finden das teuer», sagt Pia Tschannen. «Aber warum darf ein Handwerker mehr als doppelt so viel und ein Informatiker fünfmal so viel kosten? Warum ist uns das Putzen so wenig wert?»