Fussball und andere Randsportarten: Beliebt nur in der Fremde
Pedro Lenz erwägt eine Therapie – weil er mit dem FC Basel mitfiebert.
In diesen Tagen haben viele Fussballfans in der Schweiz ein ernsthaftes Loyalitätsproblem. Der FC Basel, Klassenprimus der Super League, amtierender Schweizer Meister und Leader der laufenden Meisterschaft, ist für viele einheimische Fussballfans das Feinbild schlechthin. Das Selbstbewusstsein der Rotblauen wird ausserhalb Basels als Arroganz gewertet. Seit Jahren reiht die Mannschaft vom Rhein in der heimischen Liga Titel an Titel. Und immer dann, wenn ein anderer Verein davon träumt, ganz nahe dran zu sein, wird er von der Macht des FCB auf den Boden der Realität zurückgeholt. Die seltenen Siege gegen den FC Basel werden von den gegnerischen Fans gefeiert wie Meisterpokale. Immer wenn der FC Basel verliert, jubelt die Restschweiz. Wer zufällig nicht als FCB-Fan zur Welt gekommen ist, empfindet den Baslern gegenüber Missgunst, Furcht und Machtlosigkeit.
Aber jetzt ist alles ein bisschen anders. Der FC Basel hat sich mit Siegen gegen Grossklubs wie Zenith St. Petersburg oder Tottenham aus London in den Halbfinal des Europacups gespielt. Dadurch verschiebt sich die Fan-Optik. Die gleichen Spieler, die in der Schweiz als Riesen wahrgenommen werden, spielen in Europa die Rolle der kleinen Aussenseiter.
Und weil es zur Natur des Fussballs gehört, dass die Grossen gefürchtet und die Kleinen geliebt werden, wird der FC Basel auf einmal im ganzen Land neu wahrgenommen. Das gleiche Dribbling eines Baslers, das gegen den FC Thun noch überheblich wirken mag, kommt uns keck und mutig vor, wenn es gegen einen europäischen Spitzenklub gelingt. Die gleiche Schwalbe, für die wir einen FCB-Spieler im eigenen Stadion minutenlang ausgepfiffen hätten, finden wir auf einmal raffiniert. Der Offsidepfiff gegen Basel, der uns in einem Meisterschaftsspiel gefreut hätte, dünkt uns in einem europäischen Match vollkommen ungerechtfertigt.
Sobald wir den FCB nicht gegen unseren Lieblingsverein, sondern beispielsweise gegen Chelsea spielen sehen, verwandeln sich unsere Gefühle. Aus dem verachteten Favoriten wird der liebenswerte Aussenseiter. Bei FCB-Toren, die uns in der Schweizer Meisterschaft verzweifeln lassen, freuen wir uns wie Kinder, wenn sie gegen einen internationalen Traditionsklub glücken. Plötzlich sind alle Fussballfans im Land ein bisschen rotblau, plötzlich drücken alle denen die Daumen, die sie sonst verwünschen.
Wer sich nicht ernsthaft mit Fussball befasst, kann das Phänomen wohl kaum erfassen. Jedes Mal, wenn der FCB einem europäischen Spitzenklub die Stirn bietet, ist es wieder da. Es ist wie eine emotionale Verirrung, die uns kurzzeitig dazu veranlasst, diejenigen zu lieben, die wir nie haben lieben wollen. Wir ertappen uns dabei, wie wir vor dem Fernsehgerät mit einem Stocker, einem Streller oder einem Degen mitfiebern, und verstehen nicht, wie es so weit kommen konnte. Wir hören eine innere Stimme «Hopp FCB» rufen und wissen nicht, wie diese Stimme in unser Inneres eindringen konnte und wie wir sie von da wieder rauskriegen. Wir versuchen, uns nichts anmerken zu lassen, und hoffen, es gehe irgendwann von selbst vorbei.
Eine Psychologin aus meinem Bekanntenkreis, von der ich diese Anomalie erklärt haben wollte, war der Ansicht, das habe mit Psychologie wenig zu tun. Es handle sich hier eher um ein soziologisches Problem. Sie zitierte aus einer wissenschaftlichen Studie über das Verhalten von Gruppen in Extremsituationen, die ich allerdings noch weniger verstand als mein plötzlich erwachtes Interesse am Wohlergehen des FC Basel. Aber ganz gleich, ob das Phänomen psychologischer oder soziologischer Natur ist, es lässt sich nicht verdrängen. Für den Fall, dass der FC Basel nun sogar in den Final dieser Europa League einziehen sollte, erwäge ich den Besuch einer Soziotherapie, falls es das gibt.
Pedro Lenz, 48, ist Schriftsteller und lebt in Olten. Im emotionalen Normalzustand ist er Fan der Berner Young Boys.