Medientagebuch: Rechts hat was zu sagen

Nr. 18 –

Bettina Büsser über Onlinekommentare.

Nein, er lese die Kommentare zu seinen Artikeln nicht, sagte kürzlich ein junger Onlinejournalist eines bekannten Deutschschweizer Mediums. «Nicht mehr», fügte er hinzu und zog eine Grimasse. Zu Recht. Denn auf den Onlineportalen von Zeitungen kommentieren neben Leuten, die etwas zu sagen haben und dieses anständig, differenziert und nur dann tun, wenn sie von der Sache etwas verstehen, eben auch all die anderen: Bösartige, Giftspritzende, Hämische, Immer-dieselbe-Politplatte-Leiernde, HasserInnen, StammlerInnen und StammtischlerInnen.

Es gibt viele von ihnen, und es muss noch viel mehr von ihnen geben, als man wahrnimmt. Denn bei den vier Onlineplattformen 20min.ch, blick.ch, nzz.ch und Newsnet (tagesanzeiger.ch, bernerzeitung.ch, derbund.ch, bazonline.ch) gehen täglich zwischen 400 und 8000 Kommentare ein; sie werden überall von Personen gelesen und geprüft, dabei werden zwischen 25 und 70 Prozent der Beiträge gelöscht. Je nach Plattform etwas mehr oder etwas weniger.

Was im Netz zu lesen ist, stellt also die Spitze des Eisbergs dar. Und der Eisberg driftet, so wirkt es beim Lesen der Kommentare, eher nach rechts. Besonders auffällig ist das bei Themen wie Asyl, Migration, Kriminalität, Nahost. Hier haben die PrüferInnen sehr viel zu tun, denn die Medienhäuser müssen sich als Verbreiter der Kommentare vor möglichen Klagen etwa wegen Ehrverletzung oder Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm schützen; auch laut Presserat sind sie verantwortlich für die Inhalte, die sie auf ihren Onlineportalen veröffentlichen.

Der Eindruck, dass diese Inhalte einen Rechtsdrall haben, wird nun erstmals auch wissenschaftlich bestätigt. Thomas Friemel, Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Uni Zürich (IPMZ), forscht aktuell über Onlinekommentare und hat dazu knapp 4000 Personen befragt, die er auf den Sites von NZZ, «Blick», «20 minuten» und Newsnet rekrutierte.

Friemel kommt zum Schluss, dass bei allen diesen Titeln die Kommentarschreibenden weiter rechts positioniert sind als diejenigen, die nur lesen. Politisch eher links sind – auch das bei allen vier Titeln – diejenigen, die den «like»-Button häufig benützen: «Kommentiert wird also von denen, die leicht rechter sind als der Durchschnitt, geliked eher von denen, die leicht linker sind als der Durchschnitt der jeweiligen Zeitung», sagt Friemel. Die Rechts-links-Einteilung stammt übrigens nicht vom Forscher; die Befragten haben sich selbst auf einer entsprechenden Skala eingeordnet.

Man kann sich nun fragen, weshalb das so ist. Weshalb kommentieren Rechtsdenkende eher als Linksdenkende? Haben sie vielleicht ein grösseres Mitteilungsbedürfnis? Mehr Sendungsbewusstsein? Mehr Aufrufe durch entsprechende Parteien?

Doch auch die Medienhäuser müssen sich fragen, was denn diese Kommentarungleichheit für das Image ihrer Onlineauftritte bedeutet. Ein weiteres Ergebnis von Friemels Befragungen zeigt nämlich: Eine Mehrheit der Befragten schätzt die Onlinekommentare als Abbild dessen ein, was die übrigen LeserInnen des jeweiligen Titels denken.

«Bei allen vier Titeln», so Thomas Friemel, «geht die Mehrheit davon aus, dass sie mit den Onlinekommentaren ein repräsentatives Meinungsbild der Leserschaft des Titels erhalten.»

Bettina Büsser ist Medienjournalistin 
und Redaktorin bei der Zeitschrift 
«Edito + Klartext»; ein ausführlicher Text zu den Onlinekommentaren erschien auf 
www.edito.ch. Die Studie von Thomas Friemel ist in Arbeit und noch nicht erschienen.