Downtown Beirut: Ein Besuch in der operierten Nase des Libanon
Häagen Dazs und McDonald’s in neuen Häusern, die alt aussehen: Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri hat aus Downtown Beirut ein riesiges Generalunternehmen geschaffen.
Verdammte Stadt. Elende.
Eine überquellende Wühlkiste der Geschichte. Im kapitalen Schlussverkauf.
Beirut ist nicht zu fassen; Paris des Orients, was für ein Unsinn. Hier und da begegnet man noch Bildern des alten Beirut, sieht sie hängen in Bars, oder man spaziert an ihnen vorbei, an Bretterzäune gemalt. Verklärungen, natürlich, die mondänen Plätze, die Boulevards voller Leuchtreklamen und schöner Autos, man denkt: Ja, womöglich war da mal ein Metropolenzauber, eine grosse architektonische Geste. West und Ost, an einem Ort: Das ist geblieben. Es mag mal das Beste beider Welten gewesen sein, ein exquisiter Cocktail. Heute: ein Gebräu, ein hochprozentiges. Das aber nach wie vor Wirkung zeigt.
Zunächst aber: Da war doch mal Krieg, lange Jahre, von 1975 bis 1990. Und jetzt auch wieder, kaum zwei Autostunden entfernt, die Grenze zu Syrien brennt. In Beirut merkt man vom einen wie vom andern zunächst einmal nichts. Die Stadt ist berühmt für ihr Nachtleben, alles feucht und fröhlich und so entspannt wie bekannt – Bars tragen Namen wie «Internazionale» oder «Urbanista». An die lose im Stadtbild verstreuten Militärposten hat man sich rasch gewöhnt, manche haben etwas durchaus – darf man es sagen? – Pittoreskes. Allerdings: Fotografieren verboten, wo immer etwas nach Militär aussieht. So seien schon einige Touristensmartphones nicht mehr nach Hause gekommen, hört man.
Eine groteske Idylle
Aber schön, brenzlig riechende Touristenanekdoten und das ausschweifende Nachtleben beiseite (Beirut, das neue, unverbrauchte Berlin: geschenkt). Viel frappanter ist Beirut als städtebauliches Mahnmal, als Geschwulst der neuen Weltordnung – einer Ordnung ohne ordnende Hand. Manche nennen es auch: Neoliberalismus. Nein, der ist noch nicht am Ende; der nimmt noch einmal richtig Anlauf, gerade in diesen Weltgegenden. Grosse architektonische Gesten machen Städte nicht unbedingt sympathischer.
Es gibt eine Stadttour durch das neue Zentrum von Beirut, die schon fast zum Pflichtprogramm für Beirut-BesucherInnen gehört. Der Tourguide, Ronny, ist vor ein paar Jahren aus den USA heimgekehrt, als in Beirut alles im Aufbruch war (oder aber Abbruch, das ging Hand in Hand). Pause macht Ronny jeweils auf dem absurdesten Platz der Stadt, der Place de l’Étoile, mitten im Zentrum, nach dem Ersten Weltkrieg von den Franzosen, den Gründern des modernen Beirut, angelegt. Rundherum gibt es Cafés und Läden, aber mit Beirut hat das nicht viel zu tun. Häagen Dazs, McDonald’s, Pelz- und Schmuckgeschäfte, untergebracht in neuen Häusern, die alt tun. Keine Autos, eine ruhige Flaniermeile mit spielenden Kindern, so etwas gibt es sonst nicht in der Stadt. Eine groteske Idylle: Ronny kommt jede Woche hier vorbei, aber jedes Mal wird die Karawane angehalten. Will man in die Fussgängermeile von Beirut, muss man an einem Wachmann mit Schnellfeuerwaffe vorbei. Und dieser nimmt jedes Mal das Telefon, tut wichtig und winkt die Gruppe dann mit saurer Miene durch. Willkommen in Downtown.
Christian ist Architekt, er lebt im angesagten Viertel Mar Mikhael, eine gute Viertelstunde zu Fuss von Downtown. Er hat eine wunderbare Wohnung in einem dieser alten Häuser, von denen in ganz Beirut etliche langsam verlottern. Vertrag per Handschlag, günstige Miete. Er fürchtet ein wenig, dass er bald rausgeschmissen wird, weil manche Leute wohl gut das Dreifache für die Wohnung zahlen würden. Die Mieten steigen überall in der Stadt, mitunter um zwanzig Prozent pro Jahr, das ist eine Verdoppelung in vier Jahren. Das hat auch mit der politischen Krise rund um den Libanon zu tun, aber nicht nur. Beirut ist – noch – ein sicherer Hafen, auch wirtschaftlich.
Wenn man Downtown Beirut erwähnt, verdreht Christian die Augen. In Downtown stehen keine alten Häuser mehr – Downtown Beirut ist die operierte Nase des Libanon. Ein Stadtteil wie ein Hochglanzprospekt. Protzig, seelenlos, irgendeinem Ideal abgeschaut. Und überall Security.
Zur Groteske wird das im jüdischen Viertel. Da kommt man überhaupt nur mit Ronnys Tour rein, ansonsten: kein Zugang. Weshalb, weiss niemand genau – es ist ein Rätsel, was die vielen Wachleute da bewachen: Dutzende neue Wohnhäuser, aber keine Menschenseele. Und eine renovierte Synagoge mittendrin. Die auch leer bleiben wird: Juden gibt es keine mehr im Libanon. Es ist so absurd wie konsequent: Downtown steht weitgehend leer, aber solange sich die Flächen verkaufen, ist das egal, solange sie steigen im Wert, ist alles in Ordnung.
Hariri, der Prinz von Beirut
Dass Downtown Beirut heute so aussieht, hat zwei mächtige Gründe: der Krieg und Rafik Hariri. Die Franzosen hatten es zu einem modernen, pulsierenden Zentrum gemacht; nach dem Bürgerkrieg lag es in Trümmern. Im Osten die christlichen Stadtviertel, im Westen die muslimischen, in der Mitte Kreuzfeuer aus schweren Geschützen (aber die Aufteilung ist ohnehin zu einfach, Beirut, das sind eigentlich viele Städte in einer und die Konfliktlinien entsprechend wirr). Streift man durch Downtown, scheint das Gestern wie das Vorgestern ewig lang her zu sein. 300 bis 400 Quadratmeter Wohnfläche sind die Regel, die Läden gläserne Riesenkühlschränke für edle Marken. Und oben auf den Dächern feiert die Jeunesse dorée in Open-Air-Clubs mit Sicht aufs Meer. Dies ist das neue Herz – und das Menetekel – eines Staats, der sich noch nicht mal so weit von den Kriegswirren erholt hat, dass er eine kontinuierliche Stromversorgung hinbekommt oder ein öffentliches Verkehrsnetz, das den Namen verdient.
Downtown ist kein Stadtviertel, es ist ein Geschäft, und hinter dem Geschäft steht Rafik Hariri.
Rafik Hariri war Unternehmer und der erste Ministerpräsident des Libanon nach dem Krieg, von 1992 bis 1999 und von 2000 bis 2004. «Hariri, der Prinz von Beirut», sagt Ahmed, der eine kleine heruntergekommene Pension nahe des Martyr Square hat, dem letzten noch nicht ganz überbauten Platz in Downtown. In zwei Monaten wird er aufhören, sein Vater hatte die Pension vor über vierzig Jahren aufgemacht, nun ist das einstige Modernismusjuwel reif für den Abriss, und die Investoren sind schon in Lauerstellung. Neues Futter für den Immobilienmarkt, in den viel ausländisches Geld fliesst, vor allem Saudi-Arabien investierte von Anfang an fleissig. Downtown sei für Beirut, was Israel für den Nahen Osten ist, sagt Ahmed böse lächelnd: verkauftes, verratenes, verlorenes Land. Verkauft und verraten – oder in eine neue Moderne geführt?
Für die frühere Moderne steht am Martyr Square noch ein einziges Gebäude: die französische Oper, die nun ein Musik-Megastore ist. Gleich daneben liegt das Grab von Hariri. Der Vater von Downtown lebt nicht mehr, eine gewaltige Autobombe zerfetzte vor acht Jahren seinen Konvoi nicht weit von hier. Hariri ist nicht mehr da, aber sein Bild ist nach wie vor omnipräsent – er ist das Gespenst in diesem grossen Spuk. Er soll bald ein richtiges Mausoleum bekommen, noch ist da bloss ein viel zu grosses weisses Messezelt. Sein Grab drinnen ist in Blumen gehüllt – überall Erinnerungen an den Selfmademan, den sie nach dem Tod endgültig zum Übermenschen gemacht haben. Christian sagt, Hariri sei ein Knebel für jede echte Auseinandersetzung über Wohl und Wehe dieser Stadt. Seine Ideen, seinen unzimperlichen Tatendrang zu kritisieren, wäre fast schon Blasphemie.
Hariris beste Idee heisst «Solidere». Solidarität? Ein Hohn. Downtown gehört dieser Firma, die dem Begriff «Generalunternehmer» einen ganz neuen Klang gibt. Flächen aufkaufen, Geld auftreiben, Hindernisse aus dem Weg räumen, politische Rahmenbedingungen schaffen, bauen, bauen, bauen und spekulieren. Alles aus einer Hand. Nicht alle sind einverstanden mit dieser Art von Stadtentwicklung. An derselben Stelle, an der Hariri umkam, hängt nun ein riesiges Plakat an einem der von der Wucht der Explosion zerstörten Gebäude: «Stop Solidere» steht darauf. Das Haus war eines der letzten, die Solidere nicht hat aufkaufen können. Nun ist es auch verlassen, ein weiteres Mahnmal, eines der rätselhaftesten der Stadt.
Die Bulldozer sind meist schneller
In einem Café an einem sonnigen Morgen in Mar Mikhael; zugegeben, das hat etwas von Paris oder Rom. Zwei junge Kreative setzen sich dazu, Ghaida und Khalil, sie Fernsehfrau, er in der Werbung. Unversehens gerät man vom Plaudern in ein seltsames Gespräch, man unterhält sich über die kulturelle Durchlässigkeit dieser Stadt, über das Wegziehen und Zurückkommen, über Sprachen und Identitäten. Als die Rede auf Downtown kommt, ziehen die beiden die Stirn in Falten. Und Khalil setzt zu einer emotionalen Verteidigungsrede – nicht etwa Downtowns, sondern Hariris – an. Nichts über Stadtplanung, nichts über das verlorene oder wiedergewonnene Herz dieser seiner Heimatstadt, dafür umso mehr über die unproduktive Lust der LibanesInnen am Debattieren und über Hariris eisernen Willen, sein Projekt vorwärtszutreiben. Hariri (und seine muslimischen Gefolgsleute): Macher. Die (christlichen) Opponenten: charmante Taugenichtse. Man hört staunend zu und merkt, dass es hier um viel mehr als Städtebau geht. Die Fronten der Stadt verlaufen immer noch gleich unter der schönen Oberfläche.
Downtown Beirut ist nicht seelenlos, wenn man es recht bedenkt. Es ist die Seele des Markts, für den die Welt eine grosse Möglichkeitsform ist. Es ist steingewordene Verdrängung, Resultat einer künstlich schnellen Wundheilung. Geschichte? Wird weggeräumt, Beirut ist voller archäologischer Schätze, aber meist sind die Bulldozer schneller als die AltertumsforscherInnen. Gleich ging es mit der nicht so alten Geschichte. Die unschönen Andenken an einen schonungslosen Bürgerkrieg sind alle weg, Einschusslöcher findet man nur noch in den angrenzenden Quartieren. Aber die Wunde schwärt. «Keine Sorge», sagt Christian einmal, «lange wird Downtown sowieso nicht stehen. In zwanzig Jahren putzen wir das wieder weg. Spätestens.»