Fussball und andere Randsportarten: Grosse Tage für kleine Klubs

Nr. 34 –

Ein Perpetuum mobile der Hoffnung.

Am vergangenen Wochenende wurde im Schweizer Fussball die erste Hauptrunde des Cups ausgetragen. Der Cup – oder «Göpp», wie wir ihn als Kinder nannten – ist ein grosser, hässlicher Blechkübel, der erst im nächsten Frühling am Cupfinal ausgehändigt wird. Seit einiger Zeit heisst dieser Cup bei uns nicht mehr jedes Jahr einfach Schweizer Cup. Je nach Hauptsponsor kann er auch nach einem Telefonanbieter oder nach einer Schraubenfirma benannt sein. Aber selbst wenn der wechselnde Name des Cups auf Plakaten, in Fernsehbeiträgen und in Stadiondurchsagen penetrant wiederholt wird, bleibt der Wettbewerb für die Fussballfans immer einfach der Cup ohne Vor- und Nachname.

Anders als in den Meisterschaften der verschiedenen Ligen, wo sich am Ende langer Vor- und Rückrunden immer die stärksten Mannschaften durchsetzen, gehören Überraschungen im Cup zum Alltag. Unter Fans gibt es das geflügelte Wort, der Cup habe seine eigenen Gesetze. Genau genommen ist ihm aber nur ein Gesetz eigen: Wer verliert, scheidet aus. In jeder Meisterschaft lässt sich ein Ausrutscher im Lauf der Saison problemlos korrigieren. Im Cup dagegen bedeutet eine einzige Niederlage das Ende. Und weil das so ist, schreibt der Cup Jahr für Jahr die Geschichte vom Kleinen, der dem Grossen ein Bein stellt. An dieser Geschichte können wir Fans uns nicht satt hören. Es ist wie in der Kindheit, als wir manche Märchen immer und immer wieder erzählt bekommen wollten, weil wir uns so auf den Moment freuten, an dem das Aschenputtel in unverhofftem Glanz erstrahlt oder der kleine Hänsel und die kleine Gretel die grosse, böse Hexe besiegen.

Und weil ein kleiner Klub im Cup mit einem einzigen herausragenden Spiel eine Sensation schaffen kann, die in die Klubgeschichte eingeht, ist der Cupwettbewerb ein Perpetuum mobile der Hoffnung. Wohl sind die ganz grossen Sensationen, also Siege von Amateurklubs gegen Spitzenvereine, ein eher seltenes Phänomen. Dass aber Klubs einer tieferen Liga Gegner aus einer höheren Liga aus dem Wettbewerb werfen, kommt jährlich mehrmals vor. Aktuell mussten zum Beispiel die Profiklubs aus Wil und Winterthur dran glauben. Sie stolperten gegen die Amateurteams Le Mont und SC Brühl aus der 1. Liga Promotion, einer Liga, die ihrem hohen Niveau zum Trotz von den Sportmedien praktisch nicht beachtet wird.

Der wichtigste Input, den der Fussball dem Cup zu verdanken hat, ist freilich die Tatsache, dass viele Cupspiele zu wahren Volksfesten in der sogenannten Fussballprovinz werden. Gerade Cupbegegnungen zwischen Spitzenklubs und Amateurvereinen sind für alle Beteiligten ein Gewinn, nicht zwingend ein finanzieller, aber sicher ein menschlicher. In Zeiten, in denen die Stadien der Profiklubs in Sicherheitszonen unterteilt und Fangruppen durch Polizei und Security-Gangs voneinander getrennt werden, ist der Cup eine Insel der Freiheit. Besonders für diejenigen Fans, die es gewohnt sind, Spielen in Hochsicherheitsstadien beizuwohnen, gleicht ein Besuch an einem Cupspiel bei einem kleineren Klub einem Läuterungserlebnis. Auf einmal stehen sie ohne trennende Gitter neben den Fans der Gegner. Sie können sich im Stadion frei bewegen, dürfen rund ums Spielfeld gehen und kommen so mit den Fans der Gegenteams ins Gespräch. Ausserdem sehen sie ihre Stars vielleicht zum ersten Mal von so nahe, dass sie ihren Atem hören und ihre Schweissperlen am Gesicht erkennen. Und nach Spielschluss brauchen die gegnerischen Fangruppen nicht mehr darauf zu warten, dass sie von den Schutztruppen zum Sonderzug begleitet werden. Stattdessen können sie sich in die Buvette setzen, eine Bratwurst bestellen, Wimpel, Fotos und Trophäenvitrine bestaunen und in Freundschaft darüber sinnieren, dass der Fussball immer grösser wird, je näher die Leute am Spielfeld stehen.

Pedro Lenz (48) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er hat dem Fussballcup unzählige schöne Ausflüge zu verschiedensten Sportplätzen und Kleinstadien zu verdanken.