Wehrpflicht: Das brachiale Gesicht der bürgerlichen Schweiz

Nr. 34 –

Recherchen zeigen: Die aggressiven Verteidiger der Wehrpflicht von der Gruppe Giardino und von Pro Tell sind keine randständigen Eiferer. Sie sind bestens vernetzt bis in gemässigte bürgerliche Kreise.

Überall droht Landesverrat: Ein Land unter Waffen, eine remilitarisierte Nation ist das Ziel der Armeefanatiker. Foto: Andreas Bodmer

Vor zehn Tagen regte der Präsident der Gruppe Giardino, Hermann Suter, an einem Militäroldtimertreffen im Aargau gegenüber der WOZ die Erschiessung aller BundesrätInnen – ausser Ueli Maurer – an. Suter hat sich mittlerweile für diese Aussage beim Bundesrat entschuldigt, allerdings habe er den Ausdruck «mit heissem Käse verschiessen» verwendet. Der Gehalt seiner gewalttätigen Aussage verändert sich damit nicht (vgl. «So ein Käse» im Anschluss an diesen Text). Die Gruppe Giardino hat trotzdem gemeldet, ihr Präsident reiche bei der Staatsanwaltschaft Zürich einen Strafantrag «in Sachen Ehrverletzung, Verleumdung, Beschimpfung sowie unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen» gegen den WOZ-Autor ein.

Ruhiger ging es an einer Giardino-Veranstaltung mit dem Titel «Sicherheitspolitik: Schweiz am Wendepunkt» vom letzten Montag im Zürcher Kongresshaus zu: Mitglied Beda Düggelin, Hauptmann aus Zürich und bis 2001 als Vermögensverwalter tätig, warf der WOZ im überwiegend von ergrauten Herren besetzten Saal Naivität und Ignoranz vor. Dazu zeigte Düggelin ein Foto einer Grossdemonstration, auf dem Transparente in arabischer Schrift zu sehen waren und in das der Giardino-Mann neben dem Twitter-Profilbild von WOZ-Autor Dominik Gross auch Porträts von GSoA-Vorstand Jo Lang und NZZ-Inlandchef René Zeller montiert hatte. Wie gefährlich ist die Gruppe Giardino selbst?

Bestens vernetzt in Bern

Ihre Mitglieder sind in armeefreundlichen Politkreisen der Deutschschweiz bestens vernetzt: Düggelin etwa ist Revisor bei den Stadtzürcher Freisinnigen der Kreise 7 und 8. Zu dieser traditionell starken FDP-Sektion am Zürichberg gehören die Parteiaushängeschilder Felix Gutzwiller (Ständerat) und Doris Fiala (Nationalrätin). Zudem ist Düggelin Mitglied der nationalen FDP-Taskforce Sicherheit, die von der Waadtländer Sicherheitsdirektorin Jacqueline de Quattro präsidiert wird und in der Nationalrat Kurt Fluri oder der Genfer Regierungsrat Pierre Maudet sitzen.

Auch Giardino-Präsident Hermann Suter, Kommandant a. D. einer Fallschirmgrenadierkompanie, ist im Zivilleben engagiert: Der Historiker war Präsident der Liberalen Partei in der Stadt Luzern (LPL), Rektor des LehrerInnenseminars und Vorsteher des Luzerner Amts für Zivilschutz. Aktuell präsidiert er die Stiftung «Wahrheit in den Medien».

Giardino-Vizepräsident Franz Betschon war bis 2007 CEO von Starrag Heckert, einem Werkzeugmaschinenhersteller in Rorschacherberg SG. Der Ingenieur war Offizier der Luftwaffe und von 1985 bis 2005 Mitglied des International Institute for Strategic Studies (IISS). Der Londoner Thinktank bezeichnet sich als «weltweit führende Autorität für globale Sicherheit, politisches Risiko und militärische Konflikte». Bis 1990 sass Betschon in der Konzernleitung der Leica AG, die auch wehrtechnisch einsetzbare Optik herstellt.

In Bundesbern ist die Gruppe Giardino nicht unbekannt: Sie hat in den letzten zwei Jahren im Bundeshaus für die Gründung der parlamentarischen Gruppe Pro Armee lobbyiert. Ihr gehören neben den meisten SVP-ParlamentarierInnen auch National- und StänderätInnen aus der FDP, der CVP und der BDP an. Auch ins VBS pflegen die Giardinos Kontakte: Ueli Maurer hielt im Mai 2011 eine Rede an einer Veranstaltung der Gruppe in Sempach. Im VBS wird Giardino als «Stakeholder» in der Sicherheitspolitik betrachtet und figuriert, wie die Schweizerische Offiziersgesellschaft oder die GSoA, auf der Vernehmlassungsliste.

Trotz der Gewaltrhetorik des Giardino-Präsidenten sehen weder die parlamentarische Gruppe Pro Armee noch die FDP-Taskforce Sicherheit oder das VBS Handlungsbedarf: Andrea Geissbühler, Berner SVP-Nationalrätin und Präsidentin der Gruppe Pro Armee, sagt, man könne nicht eine ganze Gruppe für die bedauerliche Aussage eines Einzelnen bestrafen. FDP-Generalsekretär Stefan Brupbacher lässt verlauten, dass sich sowohl die FDP als auch die Gruppe Giardino für eine starke Armee engagieren, in wichtigen Punkten aber divergierende Positionen vertreten würden. Aus dem VBS meldet Kommunikationschef Peter Minder nur, das VBS sehe keinen Grund, die Gruppe Giardino von der Vernehmlassungsliste zu streichen.

Alter Verein, neuer Name

Hermann Suter amtet auch als Vizepräsident der Vereinigung Pro Tell, Präsident ist der Solothurner Altnationalrat Willy Pfund. Die Vereinigung ist eine wichtige Plattform für eine «wehrhafte Schweiz». Sie tritt immer dann prominent und aggressiv auf, wenn es die Interessen von Waffenlobby, Schützen und Armee zu verteidigen gilt.

Die 1978 gegründete Gesellschaft setzt sich «für die Erhaltung und den Ausbau einer freiheitlichen schweizerischen Waffengesetzgebung» ein. Pro Tell wendet sich mit markigen Worten gegen jede Verschärfung der Gesetzgebung. In Ton und Argumentation erinnern auch Pfunds Aussagen stark an die amerikanische Waffenlobby. Er sieht die Schweiz als Land unter Waffen, als militarisierte Nation. «Ein waffenloses Volk ist ein wehrloses Volk» lautet einer der Sprüche, die sich in den Jahresberichten von Pro Tell nachlesen lassen. Der 74-Jährige und sein Verein dämonisieren die «Waffengegner». Diese «streben, ideologisch orientiert, permanent ein staatliches Waffenmonopol an. (...) Sie behaupten entgegen Realität und Erfahrungswerten, Missbrauch von Waffen könne mit Verbot des privaten Waffenbesitzes erreicht (sic!) werden.»

Pro Tell sieht den männlichen Schweizer als Verschmelzung von Bürger und Soldat. Verbündete im Kampf für den Erhalt des Milizsystems sind SVP-Leute und Rechtsfreisinnige, die in der Mentalität des Kalten Kriegs stecken geblieben sind und denen der Feind abhandengekommen ist. So konstruieren sie derzeit ein neues Feindbild, es sind die Feinde im Inneren des Landes. Sie können, wenig überraschend, auf die tatkräftige Mithilfe von Auns, Pro Militia, Pro Libertate und Ulrich Schlüers «Schweizerzeit» zählen.

Pro Tell spielte bereits eine tragende Rolle bei der Abstimmungskampagne gegen die Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt», die 2011 an der Urne scheiterte. Die damalige Kampagnenorganisation, der «Verein gegen die Waffenverbotsinitiative», wurde nun gegen die Abschaffung der Wehrpflicht reaktiviert und umbenannt in «Verein für eine sichere Schweiz». Die Organisation soll über die Abstimmung vom 22. September hinaus erhalten bleiben. Damit müsse, so Willy Pfund, «nicht bei jeder weiteren gegen die Milizarmee, gegen Teile davon oder gegen das freiheitliche Waffenrecht gerichteten Volksinitiative aufwendig eine neue Kampagnenorganisation gegründet werden».

Den Verein präsidiert der gemässigt auftretende St. Galler CVP-Nationalrat Jakob Büchler. Den Lead hat diesmal die Schweizerische Offiziersgesellschaft inne, Pro Tell spielt im «Kernteam» wie auch im Vereinsvorstand eine wichtige Rolle. Kampagnenleiter und Exbrigadier Hans-Peter Wüthrich geriet 2010 in die Schlagzeilen, weil er eine Rente von 200 000 Franken bezieht, nach seinem Dienstaustritt aber weiterhin als Berater für das VBS tätig war und dafür hohe Honorare einstrich. Als die WOZ nach den Organisationen, Verbänden und Vereinen fragt, die den «Verein für eine sichere Schweiz» tragen, verweigert er die Auskunft. Dazu sei er als Kampagnenleiter nicht befugt.

Fündig wird man im Jahresbericht 2012 von Pro Tell: Mitglieder sind die sechzehn Landesverbände der Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz (IGS) und ihre Sektionen, die Schweizerische Offiziersgesellschaft, der Unteroffiziersverband, die Landeskonferenz der militärischen Dachverbände (LKMD) mit dreissig Fachgesellschaften sowie «weitere Verbände, die sich zum Vereinszweck bekennen». Weshalb scheut die Kampagnenorganisation vollständige Transparenz? Auch Jakob Büchler möchte es auf Nachfrage bei dieser Auflistung belassen.

Der Bauer und CVP-Mann ist nicht nur der Kopf des «Vereins für eine sichere Schweiz», er führt auch das bürgerliche Komitee gegen die «Unsicherheits-Initiative» an. Darin sind alle bürgerlichen ParlamentarierInnen von Rang und Namen vertreten. Das Komitee ist das nette Gesicht der brachialen WaffenfreundInnen. Übrigens: Auch Jakob Büchler, der die Gruppe Giardino nach den verbalen Entgleisungen ihres Präsidenten Hermann Suter aus dem «Verein für eine sichere Schweiz» ausschliessen möchte, ist Mitglied des Waffennarrenklubs Pro Tell, wie er auf Nachhaken der WOZ bestätigt. Auf der Liste seiner Interessenbindungen auf der Parlamentswebsite unterschlägt er die Mitgliedschaft.

So ein Käse

«Mit heissem Käse verschiessen» sei in der Innerschweiz eine verbreitete Redewendung, um jemanden ins Pfefferland zu wünschen, rechtfertigt die Gruppe Giardino den Gewaltausspruch ihres Präsidenten. Hans-Peter Schifferle, Chefredaktor des Wörterbuchs «Schweizerisches Idiotikon», kennt keine solche Redensart. Einige Interneteinträge aus Deutschland wiesen auf einen «vulgärpolitischen» oder soldatensprachlichen Gebrauch hin. Käse hin oder her, es wird also erschossen.