Zeitungsdeal in Winterthur: Der Mann, der nicht an Tamedia verkaufte
Beat Weber ist die neoliberale Logik hinter dem Verkauf des Winterthurer «Landboten» an Tamedia zuwider. Er ist der einzige Spross der Verlegerfamilie, der sich dem Verkauf des kerngesunden Unternehmens widersetzt hat und seinen Aktienanteil von knapp zehn Prozent behält. Eine Begegnung.
1836 gründeten liberale und demokratische Kräfte den «Landboten» als Kampforgan gegen «die NZZ und die Macht Zürichs im Allgemeinen». 177 Jahre später hat das renditegetriebene Zürich in Gestalt des Medienkonzerns Tamedia in Winterthur die mediale Macht übernommen und das einstige Kampforgan plus Immobilienbesitz und Druckerei für fünfzig Millionen Franken gekauft.
Die Nachkommen des Verlegers Gottlieb Ziegler wollten Geld sehen – mit Ausnahme von Beat Weber, der sich schon in den Jahren zuvor gegen das reine Rendite- und Dividendendenken im Unternehmen gewandt und sich damit unbeliebt gemacht hatte. Er, der immerhin 9,5 Prozent der Aktien besitzt, wurde nicht in die Verkaufsabsichten eingeweiht und erfuhr vom Verkauf aus der Zeitung. Es ist das Ende einer Verlegerdynastie, die während sechs Generationen das Heft in der Hand hielt. Bis 2005, als Tamedia einen Aktienanteil von zwanzig Prozent erwarb, war es ein Familienbetrieb, eine «geschlossene Gesellschaft», wie Beat Weber sagt.
Eine Frage der Werte
Freitag vergangener Woche, Treffen mit Beat Weber in der Alternativbeiz Schwarzer Engel in St. Gallen: Der ehemalige Spitalseelsorger wägt seine Worte ab, aber gleichzeitig ist da auch eine verhaltene Wut zu spüren über den Verkauf des Familienunternehmens, über die vertane Chance einer eigenständigen Lösung. Und er klingt resigniert angesichts des scheinbar unvermeidlichen Laufs der Dinge: «Das ist über die Jahrzehnte wohl das Schicksal jedes Familienunternehmens. Die Verwandtschaft wird weitläufiger, und die Bindungen lockern sich. Ich sehe den Nichtverkauf meiner 903 Aktien nicht als Heldentat. Es ist wohl eher eine Donquichotterie», sagt der 65-Jährige, der seit über dreissig Jahren in St. Gallen lebt und seit mehr als sechs Jahren für die SP im Stadtparlament politisiert. Eine Parteikollegin sagt, Beat Weber sei kein Parteibüffel, er sei einer, der seine Positionen sehr gründlich bedenke und dann entschlossen vertrete.
Beat Webers Vater Werner Weber, einst Feuilletonchef der NZZ und später Literaturprofessor an der Universität Zürich, war während gut zwanzig Jahren Verwaltungsratspräsident. Rudolf Gerber, bis 2006 Chefredaktor des «Landboten», sagt über Werner Weber: «Er war mit Herzblut bei der Sache, stand immer hinter der Redaktion und traf weitsichtige Entscheidungen.» Dem «Landboten» ging es gut, er überlebte als einzige der fünf Winterthurer Zeitungen.
Als mit Martin Bachem vor achtzehn Jahren ein global tätiger Banker das Zepter an der Verwaltungsratsspitze übernahm, drehte der Wind. So sieht es zumindest Beat Weber. «Das Denken meines Cousins ist von Gewinnmaximierung geprägt. Das Erbe wurde bloss noch verwaltet, aber nicht mehr mit unternehmerischen Zielen geführt, die über das Ökonomische hinausweisen», sagt er. Sein Vater habe das Erbe als Lehen verstanden: Man bekam es zu treuen Handen, man war am Gemeinwesen interessiert und für seine Angestellten da. «Meine Weigerung, die Aktien zu verkaufen, ist sehr emotional von dieser Geschichte geprägt. Ich nehme schwer Abschied, es ist Treue zu diesen Werten und Trauer über ihren Verlust.»
Renditesteigerung via Personalfonds
Als im Jahr 2005 Tamedia beim «Landboten» einstieg und zwanzig Prozent der Aktien übernahm, verkauften auch Beat Weber und seine Eltern zwanzig Prozent ihrer Aktien. Sie betrachteten dies als Schritt zur Sicherung der Zukunft des Unternehmens. Im Nachhinein bereut er den Verkauf. Denn im Lauf der Jahre wurde Beat Weber hellhörig. Der Verwaltungsrat entnahm, abgesegnet von der Generalversammlung, einem gut dotierten Personalfonds «sicher seit 2006» jährlich über eine Million Franken. Dieses Vorgehen verbesserte das Betriebsergebnis und hatte Einfluss auf die Höhe der Dividendenauszahlungen.
Als Weber dies bemerkte, stellte er an der Generalversammlung 2011 den Antrag, die dem Fonds entnommenen Mittel wenigstens zum Teil wieder dorthin zurückzutransferieren und dafür die Dividende zu senken. Und er setzte sich mit der kantonalen Stiftungsaufsicht in Verbindung. Ohne Folgen. Dieses Jahr liess er den Antrag folgen, aus dem Gewinn unter anderem eine Reserve für die Beschäftigten zu bilden. Er war der Einzige, der seinem Antrag zustimmte. «Es herrschte eisiges Schweigen. In einer dieser Generalversammlungen versuchte mir der Verwaltungsratspräsident das Wort zu entziehen. Ich könne Fragen stellen, habe aber keine Statements abzugeben. Natürlich habe ich mir das nicht gefallen lassen und meine Aktionärsrechte wahrgenommen. Aus all diesen Gründen wurde ich zur Persona non grata.»
Keine Garantien für Druckerei
Beat Weber hatte bereits sehr früh die Frage nach dem eigentlichen Ziel des Unternehmens gestellt. «Darauf ist nie eingegangen worden. Da es ja lief, schien man die Frage für unnötig zu halten.»
Es sei ihm um die Zukunft des Unternehmens und der MitarbeiterInnen gegangen, sagt Weber. Ihm sei auch klar, dass die Druckerei wahrscheinlich keine Zukunft habe. Aber wenn man sie schliessen müsse, «wäre es doch besser, wir machen das und überlassen es nicht Tamedia». Nach dem Kauf kündigte der Medienkonzern an, dass er keine Garantien für die Druckerei abgeben könne. Nachfragen der WOZ dazu blieben seitens Tamedia bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Man hätte die Mittel gehabt, so die Vorstellung von Beat Weber, die allfällige Schliessung des Druckereibetriebs für das Personal grosszügig abzuwickeln. «Diese Chance ist nun vertan», sagt er. Ihn ärgert zudem, dass das Familienunternehmen nicht an die Zukunft einer eigenständigen Zeitung geglaubt hat. Dabei wären die Voraussetzungen sehr gut gewesen: Das Unternehmen sei liquid und habe keine Schulden. «Das Eigenkapital ist grösser als das Anlagevermögen, das Umlaufvermögen höher als das Fremdkapital. Es gibt flüssige Mittel und freie Reserven in zweistelliger Millionenhöhe.» Genaue Zahlen will Beat Weber nicht nennen.
Nun wurde das Unternehmen bei einer Bilanzsumme von fünfzig Millionen Franken für fünfzig Millionen verkauft. Rechnet man den Anteil von Tamedia hinzu, beläuft sich der Marktwert des Unternehmens auf rund siebzig Millionen Franken.
Dass es auch anders geht, zeigen die «Schaffhauser Nachrichten»: Die ehemalige Besitzerfamilie Oechslin verzichtete Anfang der siebziger Jahre auf einen Verkauf und gab das Vermögen in die Carl-Oechslin-Stiftung. Sie hat zum Ziel, die Unabhängigkeit der Zeitung zu erhalten und soziale Verantwortung wahrzunehmen. «Wir müssen wie jedes Unternehmen Rendite erzielen. Aber es geht nicht um Maximalrenditen», sagt Chefredaktor Norbert Neininger. Der Unternehmensgewinn geht zu einem Drittel an alle MitarbeiterInnen, zu einem Drittel in die Stiftung, und ein Drittel bleibt im Unternehmen. «Wir sehen das Unternehmen nicht als Privatbesitz, es erfüllt eine staatspolitische, eine gesellschaftspolitische und eine soziale Aufgabe», sagt Neininger.
Geheimhaltung nicht unterschrieben
Etwas Ähnliches schwebte Beat Weber vor. Allerdings räumt er selbstkritisch ein, dass auch er – wie seine Verwandtschaft – nicht mehr in Winterthur verwurzelt ist. «Ich habe klare Signale ausgesendet, aber es reagierte niemand. Vielleicht hätte ich mich mehr bemühen müssen.» Dennoch ist er seiner weitläufigen Verwandtschaft gram, weil sie das Unternehmen versilbert.
Auch Beat Weber hätte die Möglichkeit gehabt, seinen Aktienanteil mit einem Steuerwert von rund drei Millionen Franken zu verkaufen. Ende 2011 erhielt er ein Schreiben von Cousin und Verwaltungsratspräsident Martin Bachem, in dem er zu einer Versammlung der Besitzerfamilie eingeladen wurde. Allerdings war gemäss Weber nicht ersichtlich, worum es ging. «Es war nichts traktandiert, dafür sollte ich gleich zweifach eine absolute Geheimhaltungsklausel unterschreiben, also eine Blankounterschrift geben. Das war die Voraussetzung für die Teilnahme. Ich habe mich geweigert, wollte aber dennoch an der Versammlung teilnehmen. Das gehe nicht, sagte mir Martin Bachem. Ich habe es dann gelassen.» An dieser Versammlung sei wahrscheinlich über die Verkaufsverhandlungen informiert worden, sagt Beat Weber.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Von Tamedia hat Beat Weber bislang kein Angebot bekommen. Mittlerweile fragt er sich sogar, ob es wirklich vernünftig war, nicht zu verkaufen. «Mit diesem Geld könnte man ja auch etwas Gescheites machen», sagt er.