Endlagersuche: Der Volkszorn ist programmiert

Nr. 43 –

Es sei ein Witz, sagt Charles McCombie: Vor laufender Kamera vertritt er die Meinung, das Schweizer Vorgehen, einen Lagerstandort für radioaktiven Abfall zu suchen, sei absurd.

McCombies Feststellung hat Sprengpotenzial und wird in den nächsten Wochen in den Schweizer Kinos zu sehen sein (vgl. «Was sind das für Leute, die ans sichere Endlager glauben?» ). Jahrelang hat dieser Mann für die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) gearbeitet. Seine Kritik dürfte der Nagra und dem Bundesamt für Energie (BFE) zu schaffen machen.

Ein Endlager sollte am geologisch besten Ort gebaut werden, damit der hoch radioaktive Abfall für Jahrtausende sicher verwahrt werden kann. Es ginge also um nüchterne Wissenschaft. Diese hat man in der Schweiz so stark strapaziert, dass das Vertrauen in die Nagra längst pulverisiert ist.

Die Scharade begann vor vielen Jahren. Der Bundesrat hatte – als er dem AKW Gösgen die Betriebsbewilligung erteilte – verlangt, bis 1985 müsse nachgewiesen sein, dass sich der Atommüll sicher entsorgen lasse, sonst müssten alle AKWs stillgelegt werden. Der Bundesrat entschied später zwar, dass diese «Machbarkeit theoretisch nachgewiesen» sei, doch er tat das nur, weil er sich sonst eine Blösse gegeben hätte. Glaubwürdig war es nie, denn theoretisch ist auch nachgewiesen, dass sich Köpfe transplantieren lassen, und trotzdem tut es keiner. Die Wirklichkeit verlangt mehr als «theoretische Machbarkeit».

Endlagersuche verträgt sich auch schlecht mit Demokratie. Die Schweiz ist ein Musterbeispiel dafür. In diesem Land ist man daran gewöhnt, in der eigenen Gemeinde sogar über eine neue Fischtreppe abstimmen zu dürfen, doch bei einem radioaktiven Endlager soll weder die Gemeinde noch der betroffene Kanton ein Veto einlegen können. Es ist eine undemokratische Logik: Fragt man nämlich die betroffene Bevölkerung, wird sie nie zustimmen, dass auf ihrem Boden ein Endlager eingerichtet wird. Nidwalden zum Beispiel kämpfte erfolgreich dagegen, dass die Nagra im Wellenberg ein Lager für schwach und mittel radioaktiven Abfall baute. Auf AKW-Strom zu verzichten, das lehnten zwei Drittel der NidwaldnerInnen bei einer späteren Abstimmung jedoch ab.

Das Bundesamt für Energie wollte nun besonders klug sein: Es bezeichnete zwanzig mögliche Endlagerstandorte und bot allen betroffenen Gemeinden ein «Mitwirkungsverfahren» an. Das ist der Witz, von dem McCombie spricht. Alle dürfen vorher mitschwatzen, wenn es aber um die Realisierung des Endlagers geht, haben sie nichts zu melden.

Zwanzig Gemeinden, die sich sonst nie mit dem strahlenden Müll beschäftigt hätten, sind nun plötzlich gezwungen, sich eine Meinung zu bilden. Und weil sie eigentlich gar nicht mitreden können, ist auch ihr Widerstand geweckt. Der Volkszorn wird organisiert. Das BFE wie die Nagra werden das niemals handhaben können.

So bleibt nur die Flucht nach vorn. Schweden hat es vorgemacht. Die zuständigen Behörden wählten dort mehrere mögliche Standortgemeinden aus, zwei an der Küste, mehrere im Hinterland. Die im Hinterland wollten partout kein Endlager, und weil es den besten Standort also nicht gab, suchte man den Zweit-, Dritt- oder Zehntbesten. Am Ende blieben zwei Gemeinden übrig: Oskarshamn und Östhammar. In Oskarshamn stehen bereits mehrere Reaktoren und das schwedische Zwischenlager. In Östhammar stehen ebenfalls Reaktoren und das Endlager für schwach und mittel radioaktive Abfälle. Östhammar hat nun den Zuschlag bekommen – und damit auch Transferzahlungen und neue Arbeitsplätze.

Die nüchterne Wissenschaft muss sich der Freiwilligkeit beugen. Und die Freiwilligkeit folgt dem Geld. Geologie spielt dabei nur noch eine sekundäre Rolle. Wollen wir das? Was sonst könnten wir wollen? Edgar Hagens Film über die «Reise zum sichersten Ort der Erde» wird diese längst fällige Diskussion hoffentlich vorantreiben.