Wie weiter?: Stimmen zur Abstimmung
Die WOZ hat sieben PolitikerInnen, Kulturschaffende, Gewerkschafter und Aktivistinnen um kurze Kommentare zur Annahme der SVP-Abschottungsinitiative gebeten.
«Äxgüsi, meine Heimat ist hier»
Ekin Yilmaz (25), Kopräsidentin Second@s Plus
«Das Resultat enttäuscht und macht mich wütend. Ich interpretiere es, wenigstens zum Teil, sehr wohl als ein fremdenfeindliches Votum. Aber die ersten Analysen lassen mich hoffen: In den Städten, dort, wo viele Migrantinnen und Migranten leben, wo ein multikulturelles Zusammenleben stattfindet, wurde die Initiative der SVP abgelehnt. Das zeigt mir, dass wir in der Vergangenheit nicht alles falsch gemacht haben. Und dass wir auch in Zukunft sichtbar sein müssen, gerade in der medialen Öffentlichkeit.
Da gibt es noch viel zu tun. Diese Woche rief mich beispielsweise ein Journalist an und fragte mich, ob ich jetzt zurück in meine Heimat gehen würde. In die Heimat? Ich sagte: Äxgüsi, meine Heimat ist hier. Offenbar gibt es immer noch Leute, die das nicht kapiert haben.»
«In die Offensive!»
Jean Christophe Schwaab (34), Präsident des Schweizer Bankenpersonalverbands und Waadtländer SP-Nationalrat
«Für mich ist klar: Die Linke muss in die Offensive, indem sie der Schweizer Bevölkerung aufzeigt, dass nicht die Zuwanderer schuld sind am Lohndumping oder an den explodierenden Mieten, sondern die entsprechenden Patrons und Vermieter. Wir müssen die Rechte der Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmern stärken, damit sie sich nicht mehr vor der ausländischen Konkurrenz fürchten. Die Schweiz braucht den Mindestlohn, über den im Mai abgestimmt wird.
Wir benötigen aber auch einen stärkeren Kündigungsschutz und eine strengere Solidarhaftung für Patrons, die Aufträge auslagern an Subunternehmen, die Dumpinglöhne bezahlen. Und schliesslich ist zu prüfen, ob Arbeitgeber künftig bestraft werden können, wenn sie das Arbeitsgesetz missachten.»
«Wem gehört der Boden?»
Patrizia Bernasconi (47), Geschäftsführerin des MieterInnenverbands Basel-Stadt
«Das Mietproblem ist mit dieser Abstimmung längst nicht gelöst. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal radikale Forderungen zu stellen. Etwa eine Initiative zu lancieren, die die ‹Eigentumsgarantie› aufweicht und die soziale Verpflichtung von Eigentum betont.
Letztlich ist die zentrale Frage, wem der Boden gehört. Es ist wichtig, dass Boden, der im Besitz der öffentlichen Hand ist, Volkseigentum bleibt. In Basel-Stadt wurde eine entsprechende Initiative lanciert. Sie erlaubt zwar, dass die Stadt Boden verkaufen kann, sie muss dann aber innert einer Frist ein Ersatzgrundstück kaufen, damit der öffentliche Grund und Boden nicht langsam verschwindet. Radikal und konsequenter wäre natürlich, das Privateigentum an Grund und Boden ganz abzuschaffen – aber das getraut sich niemand mehr laut zu sagen.»
«Keine Spaltung nach Passfarbe»
Paul Rechsteiner (61), Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds und St. Galler SP-Ständerat
«Das Ja zur SVP-Initiative ist für die Schweiz ein schwerer Rückschlag mit noch unabsehbaren Folgen. Erneut droht eine perfide Spaltung der hier arbeitenden und lebenden Bevölkerung nach der Farbe des Passes – zum Nachteil aller. Die ausländerfeindliche Stossrichtung der Initiative kann niemand übersehen.
Entscheidend ist aber, was jetzt passiert. Es darf keine neue Diskriminierung geben – und keine Wiederauferstehung der Schande des Saisonnierstatuts. Es braucht mehr und nicht weniger Schutz der Löhne. Und es wäre kurzsichtig, die Errungenschaften der Bilateralen mit der Personenfreizügigkeit voreilig abzuschreiben. Damit die Schweiz nicht um Jahrzehnte zurückgeworfen wird, braucht es eine offensive Linke: für eine vielfältige und soziale Schweiz.»
«Nein zu Ecopop»
Regula Rytz (51), Kopräsidentin Grüne Schweiz und Berner Nationalrätin
«Was tun, wenn der Schaden angerichtet ist? Und wenn mit der Ecopop-Initiative ein noch grösseres Unwetter vor der Tür steht? Ecopop will wie die SVP die Zuwanderung bremsen und damit ‹auf dem Gebiet der Schweiz die Lebensgrundlagen dauerhaft sicherstellen›. Eine aberwitzige Verknüpfung.
Deshalb haben wir den ‹Aufruf für eine offene Schweiz – Nein zu Ecopop› lanciert. Wir lehnen die Vermischung von Umwelt- und Bevölkerungspolitik ab. Statt Menschen mit ausländischem Pass zu diskriminieren und Entwicklungsländern Familienplanung zu verordnen, muss grenzüberschreitend die Verschwendung von Boden, Nahrungsmitteln und Ressourcen gestoppt werden. Nur wenn wir die ökologische und soziale Politik stärken, verlieren die ‹diffusen Ängste› an Boden.»
«Hier ist die Hölle los»
Sofia Karakostas (47), Koleiterin von Euresearch Zürich, berät Forschende bei ihren Anträgen für EU-Forschungsprogramme
«Hier ist die Hölle los. Wir werden mit Anfragen überhäuft. Die Forschenden wollen wissen, wie es weitergeht, ob sie überhaupt noch Anträge für europäische Forschungsprojekte stellen sollen. Leider können wir sie nur ermutigen weiterzumachen – die Konsequenzen der Abstimmung sind noch unklar.
Klar ist, dass die Schweizer Beteiligung am europäischen Forschungsrahmenprogramm «Horizon 2020» gefährdet ist. Vermutlich werden Schweizer Forschende immer noch bei EU-Projekten mitmachen können, aber wohl unter anderen Bedingungen.
Die Schweizer Diplomatie in Brüssel wird versuchen, den Schaden zu begrenzen. Ich hoffe auf ein gutes Verhandlungsergebnis, aber es wird nur die zweit- oder drittbeste Lösung sein. Die beste haben wir am Sonntag verloren.»
«Ein ziviles Aufbegehren»
Jean-Stéphane Bron (44), Westschweizer Dokumentarfilmer («L’Expérience Blocher»)
«Wenn ich über die Abstimmung vom letzten Sonntag nachdenke, sehe ich, dass in Europa eine Bresche geschlagen wurde. Eine Front ist entstanden, die sich auf die Programme der extremen Rechten stützt. Damit werden fünfzig Jahre europäische Geschichte verleugnet, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Idee einer Union aufbaute. Das heisst, ein gemeinsames Projekt mit dem Antrieb: Nie wieder!
Überall gewinnen die Parolen der nationalistischen Rechten an Boden, sie kontaminieren das politische Klima. Möglicherweise wird die «préférence nationale», die Bevorzugung der einheimischen BürgerInnen, wie sie Jean-Marie Le Pen formuliert hatte, bald Eingang in die Gesetzgebung finden. Sollen wir etwa getrennte öffentliche Verkehrsmittel für MigrantInnen, für Rechtlose, für Fremde einführen, wie es die Lega Nord vor einigen Jahren vorgeschlagen hat?
Der Rechtspopulismus setzt auf das Schlimmste, auf die Angst, auf die Verzweiflung, die sich aus der zunehmenden Ungleichheit ergibt. Dieser Rechtspopulismus ist in der Lage, die Meinungsbildung mit seinen Wahnvorstellungen zu dominieren.
Es ist der SVP gelungen, einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung einzureden, dass das Land permanent in der Krise sei. Was für eine Meisterleistung! Ich erinnere mich an die Aussage von Christoph Blocher, als er über die Massenimmigrationsinitiative und über die Gegner der SVP sinnierte: Das werden wir denen um die Ohren hauen, daran werden sie zu beissen haben. Das wäre Musik.
Links sein hingegen heisst Hoffnung haben, und ich glaube, paradoxerweise, dass diese düstere und zynische Epoche eine Wut hervorbringen kann, eine zivile Wut, ein Aufbegehren der Citoyens und Citoyennes.»
Alle Testimonials wurden aufgezeichnet von der WOZ-Inlandredaktion.