Alternatives Bauen: Springteufel statt Baumzimmer

Nr. 9 –

Ökologisch und trotzdem günstig bauen – geht das? BewohnerInnen des Berner Lorrainequartiers wehrten sich gegen ein teures Wohnbauprojekt und suchten nach Alternativen. Sie wurden fündig: bei einem deutschen Philosophen und bei einem Tüftler aus dem Rheintal.

  • Im Berner Lorraine Quartier engagiert sich eine Gruppe Bewohner für ein alternatives Bauprojekt auf dem Centralweg-Areal und gegen die Gentrifizierung des Quartiers. Eine Katze im Innenhof der Wohnbaugenossenschaft Q Hof.
  • Ein verlassenes Areal an der Lorrainestrasse, welches unter anderem als Open-Air Kino genutzt wurde
  • Gebäude an der Jurastrasse.
  • Sie setzen sich für eine andere Quartierentwicklung im Berner Lorrainequartier ein: Sandra Ryf, Suse Bachmann und Tinu Bracher vom Verein «Hier baut das Quartier».
  • Eine Anwohnerin raucht im Innenhof der Wohnbaugenossenschaft Q Hof.
  • In zwei Wochen von Hand gebaut, aus Emmentaler Holz und mit vorbildlicher Wärmedämmung: Das «Böxli» auf der Brache am Berner Centralweg zeigt, dass ökologisches Bauen kein Luxus sein muss.
  • Szene aus der Brasserie Lorraine.
  • Blick in einen Hinterhof an der Jurastrasse.
  • Der Denner an der Lorrainestrasse.
  • Ein Beispiel für die Gentrifizierung des Quartiers ist dieses Ladenlokal an der Lorrainestrasse.
  • Der Lorraine-Kiosk an der Lorrainestrasse.

Spektakulär sieht sie nicht aus, die Kiste, die am Centralweg im Berner Lorrainequartier steht: fünf Meter lang, fünf breit, drei Wände aus rauem Holz, die vierte aus Glas. Man könnte darin wohnen, auch wenn die vorbildliche Wärmedämmung noch nicht installiert ist. Doch das «Böxli», wie es die meisten hier liebevoll nennen, ist mehr, als es scheint: Es ist ein Versuch der QuartierbewohnerInnen, die bauliche Entwicklung in die eigenen Hände zu nehmen.

«Hier baut das Quartier» nennt sich die Gruppe selbstbewusst, die diesen Winter spontan entstanden ist. Es geht nicht mehr nur darum, ein unerwünschtes Bauprojekt zu verhindern – darum geht es auch. Doch vor allem soll hier darüber nachgedacht werden, wie man anders bauen könnte: selbstbestimmt, günstig, aber auch ökologisch. «Das ‹Böxli›», sagt die Aktivistin Sandra Ryf, «soll den Horizont öffnen.»

Ginge es nach der Stadt Bern, stünde hier schon lange ein Haus: «Baumzimmer» heisst der Beton-Holz-Bau für 8,8 Millionen Franken mit dreizehn Wohnungen, der den Wettbewerb der Stadt gewonnen hat. Auffällige, halbrunde Balkone zwischen Birken. Spektakulär – jedenfalls spektakulärer als das «Böxli». Doch nach einem komplizierten Hin und Her im Stadtparlament ist das Projekt blockiert. Das «Böxli» hingegen steht seit Januar und dient den LorrainebewohnerInnen als das Quartierzentrum, das sie schon lange gerne hätten. «Hier baut das Quartier» organisiert darin Diskussionen, Filmabende, Kinderfilmnachmittage. Die Gruppe hat auch Quartierversammlungen über die Zukunft des Areals angestossen. Weil das «Böxli» dafür viel zu klein ist, finden sie im Lorraineschulhaus statt. Die erste war am 18. Januar, am Tag des jährlichen Polit-Benefiz-Fests «Tour de Lorraine». «Etwa 120 Leute ganz verschiedenen Alters sind gekommen», erzählt Suse Bachmann, die sich bei «Hier baut das Quartier» engagiert. «Viele wünschen sich unkommerzielle Räume zum Wohnen und Arbeiten. Manche würden auch lieber die Brachfläche behalten. Daneben gab es die unterschiedlichsten Vorschläge: Jugendtreff, Sexboxen, Wohnraum für Leute, die wegen Sanierungen ihre Wohnungen verlieren, ein Durchgangszentrum für Asylsuchende – die letzte Idee wurde in der Folge von links heftig kritisiert.»

«Das Einfamilienhaus ist eine Egosphäre»

Das «Böxli» gäbe es nicht ohne Lars Lange vom Verein Jack in the Box (englisch für Springteufel) in Köln. Ihn treibt die gleiche Frage um wie Sandra Ryf: Ist es möglich, ökologisch und zugleich günstig zu bauen? Jack in the Box baut ausrangierte Schiffscontainer in Ausstellungsräume, Velounterstände und Jugendtreffs um. Container zu heizen, ist aber alles andere als ökologisch. Darum machte sich Lars Lange mit dem Rachel-Architekturwettbewerb, benannt nach der Ökologiepionierin Rachel Carson, auf die Suche nach Ideen. Gefragt waren Wohnmodule von 24 Quadratmetern aus ökologischen Materialien, vorbildlich isoliert, transportabel – und nicht teurer als 25 000 Euro pro Wohneinheit. Geht das überhaupt?

Lars Lange ist kein Architekt. Er hat Philosophie studiert. Kein Wunder, interessieren ihn grundsätzliche Fragen: «Wie können siebeneinhalb Milliarden Menschen geschwisterlich leben, ohne dass einer den Raum des anderen invasiv okkupiert und ohne dass die Biosphäre geschädigt wird?» Der übliche Ökohausbau, sagt Lange, habe darauf keine Antwort: «Da geht es um Hightech. Niemand fragt nach der Herkunft der Rohstoffe, nach der grauen Energie.» Und wie in der Schweiz ist es auch in Deutschland vor allem die obere Mittelschicht, die ökologisch bauen lässt – oft Einfamilienhäuser. «Das Einfamilienhaus ist eine Egosphäre. Man muss mit niemandem in soziale Interaktion treten, man kann das Essen per Hauslieferdienst bestellen, man muss gar nicht mehr aus dem Haus. ‹Rachel› ist ein Versuch, das zu überwinden, indem man kooperativ ist, Ressourcen teilt.»

Die Vorgaben sind streng: Passivhausstandard, also sehr gute Wärmedämmung, eigene Wasser-, Strom- und Wärmeversorgung, und das Material muss sich ökologisch entsorgen lassen. Der Wettbewerb funktioniert nach dem Open-Source-Prinzip: Alle dürfen Ideen von allen weiterverwenden.

Gewonnen hat die erste Etappe ein Schweizer: Huldreich Hug. Sein Wettbewerbsbeitrag sticht schon optisch heraus: fünfzehn A4-Seiten, schwarzweiss, mit handgezeichneten Skizzen. Kein Farbdruck, keine coolen Visualisierungen. Doch für die Jury, der unter anderem der wachstumskritische Ökonom Niko Paech und der Technikjournalist Niels Boeing angehören, war die Wahl klar. Auch für Lange: «Man merkt, dass sich Huldreich Hug schon viele Gedanken zum Thema gemacht hat. Sein Entwurf ist beeindruckend und stimmig.» Hug setzt zum Heizen auf die Sonne – die Glaswand soll nach Süden zeigen –, ergänzt durch einen Pelletofen, der im Winter auch zum Kochen genutzt werden kann. Im Sommer dient dazu ein Solarkocher oder ein Holzvergaserbrenner, der zusätzlich Pflanzenkohle für den Garten produziert. Filigrane Holzstrukturen zwischen Innen- und Aussenwand schaffen Hohlräume, die zur Dämmung mit Zellulosefasern gefüllt werden. Hug schlägt auch vor, eine Art Schublade einzubauen, mit der sich ein Hochbett in warmen Nächten ins Freie ziehen lässt – und schnell wieder versorgen, falls es regnet.

Huldreich Hug wohnt auf der anderen Seite der Schweiz: in Sevelen, an der Grenze zu Liechtenstein. Mitten in der «Egosphäre», einem Einfamilienhausquartier. Seine NachbarInnen haben ihre Wohnträume in Pink, Pastellgelb und Weiss verwirklicht. Auch hier sticht Hug heraus mit dem Holzhaus, das er für seine Familie gebaut hat, optimal isoliert, mit lehmverputzten Innenwänden, Fotovoltaikzellen und thermischen Kollektoren auf dem Dach und einem grossen Gemüsegarten. Hug hat nie Architektur studiert. Aber er baut seit seiner Jugend. Man sieht es seinen Händen an. «In den siebziger Jahren war ich an einer Demo gegen AKWs, und ein Redner sagte, eigentlich gehe es darum, weniger Strom zu verbrauchen. Er wurde ausgebuht. Ich dachte, der hat doch recht!» Bald bastelte Hug erste Sonnenkollektoren für sein Elternhaus im Zürcher Tösstal. Er besuchte die Kunstgewerbeschule, lernte Gärtner und Siebdrucker und half beim Umbau eines Altersheims. Seit gut dreissig Jahren plant er ökologische Renovationen und Neubauten. Bisher waren das, wen wunderts, vor allem Einfamilienhäuser. Der Rachel-Wettbewerb ist etwas Neues für ihn, eine Herausforderung: ein Prototyp, aus dem sich ganze Siedlungen bauen lassen, Selbstbau, tiefe Kosten.

Angst vor dem Mittelschichtsghetto

Von Zürich, Basel oder Sevelen aus gesehen, ist die Lorraine ein Paradies: Kaum irgendwo sonst in der Deutschschweiz wohnen so viele Linke auf engem Raum in einem zentralen Quartier, oft in Genossenschaften. Alternativbeizen – darunter die seit über dreissig Jahren kollektiv geführte Brasserie Lorraine –, selbstverwaltetes Kleingewerbe und verkehrsberuhigte, kinderfreundliche Strassen prägen das Quartier. «Fast zu heimelig» sei es, meint Suse Bachmann. Die Angst vor der Gentrifizierung, vor einem linken Mittelschichtsghetto ist spürbar, wenn man mit LorraineaktivistInnen spricht. Tinu Bracher hat schon in den achtziger Jahren hier gewohnt, als noch viele Saisonniers in der Lorraine lebten. Nach fünfzehn Jahren auf dem Land ist er zurückgekommen: «Auf den ersten Blick hat sich wenig verändert, die Fassaden sehen noch gleich aus. Aber viele Häuser wurden innen schick renoviert.» Die Bevölkerungsstruktur sei anders geworden: weniger Migrantinnen, weniger arme Schweizer. «Manche aus dem ‹Kuchen› haben sich zusammengetan und Stockwerkeigentum gekauft – da kam es auch schon vor, dass sich Linke gegenseitig überboten und so den Hauspreis in die Höhe jagten.» Mit dem luxussanierten Haus in der vorderen Lorraine, wo eine Dreizimmerwohnung über 3000 Franken pro Monat kosten sollte, hat der linke «Kuchen» allerdings nichts zu tun. Inzwischen wurde die Miete um hundert Franken gesenkt, weil niemand so viel zahlen wollte.

Jeder, der das Wort «Gentrifizierung» kenne, sei selbst Teil davon, meint der Berliner Autor Marc Uwe Kling. «Aber wir wehren uns ja dagegen, dass Leute verdrängt werden», betont Sandra Ryf. «Auch der Q-Hof, wo ich sehr günstig wohne, steht nur noch, weil sich die Bewohnerinnen und Bewohner gewehrt haben.» Sie lebt seit achtzehn Jahren in der Genossenschaft, die bewusst auf teure Sanierungen verzichtet. «Ich kann bleiben – aber ich möchte, dass auch die anderen im Quartier bleiben können.»

Das Bauprojekt «Baumzimmer» am Centralweg steht für genau das, was «Hier baut das Quartier» und ein grosser Teil der QuartierbewohnerInnen ablehnen: teure Prestigearchitektur. Dabei sollte es ursprünglich um günstigen Wohnraum gehen.

«Wenn man immer ganz legal bleibt …»

Die Geschichte des Grundstücks ist lang und kompliziert, manchmal absurd. Im Herbst 2009 wurde hier die Garage eines Autohändlers abgerissen. Nach einem halben Jahr Brache besetzten die «Stadttauben» mit ihren Bauwagen das Areal. Die Stadt stellte ein Ultimatum, das auch eingehalten wurde. Damit es niemand den urbanen NomadInnen nachtun konnte, liess sie die Brache einzäunen und einen Graben rundherum ausheben. Das provozierte die QuartierbewohnerInnen: An einem Sonntag im Frühling 2010 legten sie Bretter über den Graben und veranstalteten ein Picknick. «Es ist gut, gleich von Anfang an ein bisschen illegal zu handeln», sagt Sandra Ryf. «Wenn man immer ganz legal bleibt, weitet man keine Grenzen aus.» Über den beleidigten Tonfall des Briefs, den die Stadt den OrganisatorInnen schickte, amüsiert sich Ryf noch heute.

Die Stadt schwenkte um und beauftragte den Verein Brachland, der mit Zwischennutzungen auf ähnlichen Flächen Erfahrung hatte, mit der Betreuung des Grundstücks. Fortan war der Verein offiziell zuständig, doch die QuartierbewohnerInnen machten weiter, was sie wollten. Im Frühling 2011 begannen sie, auf der Brache gemeinschaftlich zu gärtnern.

An einem stürmischen Februartag treffen sich Sandra Ryf, Suse Bachmann und der elfjährige Noam im «Böxli». Kalter Regen trommelt auf das Dach. Noam hat sich die Pressedokumentation geschnappt, in der Ryf Artikel zum Areal gesammelt hat, und liest daraus vor: «‹Läuft alles nach Plan, ist der Baubeginn für Herbst 2010 vorgesehen.› Zwei Seiten weiter steht ‹Anfang 2012›. Oh, jetzt ist es schon ‹Sommer 2012›!» Sandra Ryf hat den Ofen eingefeuert und installiert den Beamer: Heute Abend soll ein privater Filmabend stattfinden. Wer hundert Franken für den Bau des «Böxli» gespendet hat, bekommt einen solchen Abend geschenkt. «Wir haben gar nicht genug Abende für alles …» Noam hat inzwischen weitergelesen: «‹Der Baubeginn hängt von vielen Faktoren ab. Mit Frühling 2013 ist er eher sportlich berechnet …›»

Auch daraus sollte nichts werden. Im Frühling 2013 wurden zwar Bauprofile aufgestellt. Doch als dem Stadtparlament die Kosten des Projekts «Baumzimmer» klar wurden, hagelte es Kritik von allen Seiten. Sogar mit Subventionen würden die Mieten nicht so günstig wie von der Stadtregierung vorgesehen. Am Ende bewilligte das Parlament zwar den Bau, nicht aber die Subventionen. Damit konnte von günstigem Wohnraum keine Rede mehr sein.

In der Lorraine kam dieser Entscheid gar nicht gut an. Anfang Juni zog eine Demo vor das Rathaus, der Verein Läbigi Lorraine und Verbündete sammelten über tausend Unterschriften gegen das Projekt. Im Herbst fand dann der Antrag des grünen Stadtparlamentariers Luzius Theiler für einen Projektstopp eine Mehrheit – worauf die FDP Beschwerde einreichte: Diese Kehrtwende sei rechtlich nicht zulässig. Seither ist «Baumzimmer» blockiert. «Wir hätten gerne Alternativen vorgeschlagen, aber alle sagten uns: Bauen ist eben teuer», sagt Sandra Ryf. «Da las ich von diesem Wettbewerb.»

Holz aus dem Emmental

Zuerst, sagt Sandra Ryf, habe sie nur an eine Ausstellung gedacht: Man könnte doch die Rachel-Wettbewerbsbeiträge auf der Centralwegbrache präsentieren. Aber warum nicht gleich den Prototypen bauen? Ein Teil der Gruppe, die die Tour de Lorraine vorbereitete, stürzte sich gemeinsam mit QuartierbewohnerInnen in die Umsetzung. Im Januar reiste Huldreich Hug nach Bern und baute gemeinsam mit HandwerkerInnen vom Kollektiv Holzlabor die Box, dankbar für das milde Winterwetter, in nur zwei Wochen. Jeden Mittag wurde die Gruppe von Lorrainebeizen und Privathaushalten günstig oder gratis verpflegt, Hug verrechnete nur seine Handwerksarbeiten, die Leute vom Holzlabor verzichteten ganz auf ihren Lohn.

Sie bauten mit so vielen regionalen Materialien wie nur möglich: Das Holz stammt aus dem Emmental, wurde dort gesägt und in einem einzigen Transport nach Bern gebracht. «Importiertes Holz wäre wohl billiger gewesen. Aber wir wollten die Wertschöpfungsketten übersichtlich halten», sagt Hug. Etwas teurer als 25 000 Euro wäre der Bau schon geworden, wenn alle einen üblichen Lohn bekommen hätten. Aber wir sind ja auch in der Schweiz. Über die Crowdfunding-Plattform Wemakeit sind bereits mehr als 10 000 Franken zusammengekommen.

Hug denkt schon weiter, an grössere Bauten. «Für die Wärmedämmung ist das ‹Böxli› überhaupt nicht ideal. Je kleiner ein Baukörper, desto grösser ist im Verhältnis zum Raum die Oberfläche, die man isolieren muss.» Günstiger fände er zwei- oder dreistöckige Holzboxen mit Aussentreppen und Dachgärten. Doch mit der Grösse stellen sich neue Probleme: Das Gebäude muss besser verankert werden, um dem Wind standzuhalten, das Prinzip des Selbstbauens stösst an Grenzen, sobald es einen Kran braucht. Und transportierbar sind die Module auch nicht mehr, passen also nicht in den Rachel-Wettbewerb. Doch das findet Hug nicht so schlimm: «Ein Bekenntnis zur Sesshaftigkeit, warum nicht.» Während des Erzählens skizziert er auf seinem Zeichenblock Modelle und Querschnitte. «Irgendwann werden wir mit einem Fünftel der Energie und der Ressourcen auskommen müssen. Vielleicht schon bald. Dieser Wettbewerb ist ein gutes Vehikel, um es jetzt schon auszuprobieren.»

Lars Lange ist begeistert, dass die Box schon steht. «Ich dachte, den ersten Prototypen bekommen wir 2015, und fand sogar das noch sportlich. Jetzt ging es noch schneller, und ausgerechnet in Bern – ‹Rachel› hat ja einen starken Schweizbezug.» Die Schweizer Zeitschrift «Zeitpunkt» hat die Hälfte des Wettbewerbsgeldes gestiftet, und vor allem ist Lange inspiriert vom Zürcher P.  M. und seiner konkreten Utopie «bolo’bolo»: «Das Buch hat mich umgehauen. ‹Rachel› ist der Versuch, die Hardware dazu herzustellen. Wir sollten ausgehend vom Haus eine neue Ökonomie entwickeln. ‹Rachel› ist sehr im Physischen verankert, die Leute lernen viel, wenn sie selbst bauen.» Es gebe so viele Brachen, auf denen Rachel-Projekte stehen könnten, sagt Lange. «Wir wurden vor Jahrhunderten enteignet mit der Einhegung der Allmende. Mein Projekt ist ein nicht konfrontativer Versuch, das Menschenrecht auf Land ins Gespräch zu bringen.»

Lars Lange war erst einmal in Bern. Solche Reisen kann sich der Kölner selten leisten: Wie fast alle in seinem Projekt lebt er von Hartz IV; Jack in the Box ist ein «Verein für Beschäftigungsförderung». Anders als die meisten ist Lange, der früher bei der Energiegenossenschaft Greenpeace Energy arbeitete, freiwillig in der Prekarität gelandet: «Ich kann sowieso nicht mit Geld umgehen, darum ist es Wurst, ob ich viel oder wenig habe. Jetzt habe ich keins, dafür ein Projekt, das mich antreibt.» Die Box in der Lorraine weist in diese Richtung: in eine Zukunft mit weniger Geld, weniger Konsumgütern, aber mehr Zeit und vielen interessanten Ressourcen, die gemeinsam genutzt werden.

Ideen fürs «Böxli» : Was wird aus der Kiste?

Drei Monate, bis am 18. April, darf das «Böxli» auf dem Berner Centralwegareal stehen. Das ökologische Wohnbauelement, entworfen vom Rheintaler Tüftler Huldreich Hug, dient bis dann als Treffpunkt, Veranstaltungsort und Kino. Danach muss es weg – es hat keine Baubewilligung.

Wie geht es weiter? Am 22. Februar debattierten QuartierbewohnerInnen zum zweiten Mal über die Zukunft des Areals. Viele würden das kleine Bauwerk gerne als Quartiertreffpunkt behalten. Doch für eine definitive Baubewilligung braucht es Zeit. Eine Idee fand grossen Anklang: Warum das «Böxli» und die Ausstellung über den Rachel-Architekturwettbewerb, die ähnliche Projekte vorstellt, nicht über den Sommer auf Tournee schicken? Es gibt bereits Kontakte mit InteressentInnen aus Zürich und Basel.

An der Quartierversammlung wurden drei Arbeitsgruppen gegründet. Eine beschäftigt sich mit weiteren Zwischennutzungen der Brache. Eine zweite denkt über langfristige Projekte nach, die auf dem Areal entstehen könnten, in erster Linie über genossenschaftlichen Wohnungsbau. Wichtig ist den AktivistInnen, dass dabei auch Wohnraum für MigrantInnen entsteht. Eine dritte Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem politischen Vorgehen. Sie will herausfinden, mit welchen Mitteln das blockierte städtische Bauprojekt «Baumzimmer» definitiv verhindert werden könnte, damit es Platz für Alternativen gibt.

Kulturprogramm im «Böxli»: www.tourdelorraine.ch
Weitere Informationen: www.wemakeit.ch/projects/hier-baut-das-quartier