Literaturstreit: Unbehagen im Weissbrot-Land

Nr. 9 –

Die Klage ist nicht neu. Vor einem Jahrzehnt war es die Forderung nach dem ultimativen Wenderoman, vor einigen Jahren ging es um die fehlende «Welthaltigkeit» der jüngeren deutschen Literatur. Das bundesdeutsche Feuilleton gefiel sich darin, die konforme Fabrikation aus den Schreibschulen Hildesheim und Leipzig zu kritisieren, nicht ohne deren Fertigprodukte anschliessend hochzujubeln.

Nun hat die deutsche Debattenkultur ein neuerliches Erregungsniveau erreicht, sie soll gar eine Revolution auslösen, die die blassen «Weissbrot»-Kids, die Abkömmlinge des aufgeklärten Bürgerestablishments, hinwegfegt und mit ihnen die Uckermark als deren ostdeutsche Rückzugsresidenz und Motivlieferantin. Gegen die in «kaltem leeren Suhrkamp-Ton» daherkommenden «leblosen, unehrlichen, indirekten, erstarrten Geschichten» des literarischen Mainstreams wünscht sich der aufs Poltern spezialisierte Maxim Biller in der «Zeit» die «brutale ehrliche Welt» von ImmigrantInnen: unangepasste Rabauken, die sich der geforderten «Onkel Tom»-Literatur verweigern. Damit erführe das deutsche Geistesleben eben den Vitalitätsschub, an dem es ihm seit der Austreibung der Juden so heftig mangelt.

Biller reagierte auf einen ebenfalls in der «Zeit» erschienenen Essay von Florian Kessler, Absolvent eines der inkriminierten Literaturinstitute. Auch Kessler mokiert sich über die Konformität der jungen AutorInnengeneration, lastet dies aber eher ihrer Herkunft an und der Neigung des Bildungsbürgertums, sich zu reproduzieren. Biller, der gerne mit seinen jüdischen Würzelchen in Russland und Tschechien kokettiert, geht weiter: Er verdammt nicht nur das ihm widerwärtige «indigene» Salbadern, sondern erledigt auch gleich das, was schon an literarischer Immigration unterwegs ist, von Melinda Nadj Abonji («süsse naive Gastarbeitergeschichten») bis Ferudin Zaimoglu («Kollaborateur»).

Die Feuilletonschlacht, gerade erst entfesselt, wäre als das übliche selbstreferenzielle Wichtelwichtiggeschwätz zu erledigen, wäre da nicht das berechtigte Unbehagen am und im marktförmigen Kulturbetrieb, das, wie Anja Seeliger im «Perlentaucher» analysiert, Produktionsbedingungen und ProduzentInnen gleichermassen einschliesst. Und ganz davon abgesehen: Der «pseudoliberale Angela-Merkel-Konsens» des «harmoniesüchtigen postnazistisch vereinten Deutschlands» (Biller) könnte Kräfte herausfordern, die weniger schnell loszuwerden sind als verlogene Seiten zwischen zwei Buchdeckeln.