Medientagebuch: Weggesparte Haltung

Nr. 9 –

Zur Rettung von «Il Manifesto».

«Das Wunder des roten Kampfblatts» überschrieb die Berliner «taz» kürzlich einen Artikel zur Rettung von «Il Manifesto». Schon oft ist die einzige unabhängige linke und selbstverwaltete Zeitung Italiens totgesagt worden. Zuletzt im Februar 2012. Die Besitzerin des Blatts, die Genossenschaft der Mitarbeitenden, wurde damals zwangsliquidiert. Immer weniger LeserInnen hatten «Il Manifesto» gekauft und abonniert, die InserentInnen hielten sich zurück, und dann fielen auch noch 2,2 Millionen Euro aus der staatlichen Presseförderung weg. Zehn Monate lang erschien die Zeitung unter Aufsicht des Ministeriums für Wirtschaftsförderung weiter. Deren Anwälte stoppten die Zahlungen an freie Mitarbeitende und beantragten Kurzarbeit für die Festangestellten. Anfang 2013 wurde die alte Genossenschaft aufgelöst; die neue, Il nuovo Manifesto, entstand. Dreissig GenossenschafterInnen führen den «Manifesto» weiter.

Fragt man Loris Campetti, der fast vierzig Jahre lang Redaktor der Zeitung war, dann hat diese Massnahme das rote Kampfblatt nicht gerettet. Der «Manifesto» habe heute nichts mehr mit der 1969 gegründeten kommunistischen Tageszeitung zu tun, weder inhaltlich noch politisch und auch nicht als alternatives Projekt. Während der Krise kam es in der Redaktion zu monumentalen Zerwürfnissen, einige der ältesten Mitarbeitenden warfen das Handtuch (siehe WOZ Nr. 51/12 ). Neben Campetti verabschiedeten sich auch die anderen grossen Namen aus dem Impressum. Mit dem lautesten Knall kündigte die heute 89-jährige Rossana Rossanda, eine der Gründerinnen. Rossanda warf der neuen Direktion mangelnde Dialogbereitschaft und der Zeitung «sinnloses Geplapper» vor.

Die «Manifesto»-Chefredaktion reagierte auf die Abgänge fast durchgehend trotzig, kühl und wenig souverän. Die Differenzen betrafen auch politische Fragen: Soll die Zeitung ein Forum bis zur Mitte sein, soll der Begriff «kommunistisch» vom Titel verschwinden? «Dahinter steckte vor allem ein Machtkampf», sagt Loris Campetti, «und wir Alten wurden zur Last.» Die Alten, ihre Politik und ihre Ideen, wie eine linke Zeitung funktioniert. Zuerst fanden die basisdemokratischen Versammlungen nicht mehr statt. Dann entschied die Geschäftsleitung, der bisherige Einheitslohn sei Geschichte: Die GrafikerInnen verdienen seither nur noch halb so viel wie die JournalistInnen. Schliesslich die Entlassungen: Fast die Hälfte der Belegschaft und der Grossteil der Frühpensionierten, die gratis weitergeschrieben hatten, mussten gehen. Der Stellenplan sieht nur noch 25 bis 30 Beschäftigte vor. Rund 150 waren es vor zehn Jahren, etwa 70, als die alte Genossenschaft liquidiert wurde.

Die Zeitung sucht ihr Heil nun dort, wo andere Printmedien ihren Untergang finden: im Netz. Per Crowdfunding sammelte die Redaktion 47 000 Euro, die zur digitalen Entwicklung verwendet werden sollen. Bereits 1995 war «Il Manifesto» die erste italienische Zeitung mit einer eigenen Internetseite. Heute erscheinen mehrmals täglich neue Artikel auf Facebook und Twitter. Auch eine Abokampagne wurde lanciert: 2000 neue AbonnentInnen, um den Titel des Blatts zurückzukaufen. Der Name, «Il Manifesto», gehört nämlich nicht der neuen Genossenschaft, sondern den LiquidatorInnen der alten. Die Zeitung bezahlt für dessen Nutzung über eine Viertelmillion Euro im Jahr.

Vielleicht ist der «Manifesto» wirklich auf dem Weg, gerettet zu werden. Loris Campetti, der fast zwei Drittel seines Lebens dort geschrieben hat, liest ihn aber nicht mehr.

Sina Bühler ist Redaktorin bei «work» 
und regelmässige WOZ-Mitarbeiterin.

Ein Film (auf Italienisch) über den 
«Manifesto» von Riccardo De Sanctis: 
www.tinyurl.com/ilmanifesto