Investitionsschutzabkommen: Der neue Raubzug auf Krisenstaaten
SpekulantInnen fallen über Griechenland, Zypern und Spanien her und verlangen Entschädigungen in Milliardenhöhe, weil sie sich verzockt haben. Was absurd klingt, ist längst ein Geschäftsmodell.
Am Anfang stand eine gar nicht mal so abwegige Idee: Um Investitionen von Firmen in einem Land mit unsicheren Rechtsverhältnissen zu ermöglichen, verpflichten sich Staaten, das Kapital und die Produktionsmittel der privaten AnlegerInnen zu schützen. War es nicht immer wieder vorgekommen, dass Nepotismus, Gangstertum oder politische Umstürze ehrbaren Händlern, weltoffenen FabrikantInnen oder wohlmeinenden Finanzinstituten die Früchte ihres Engagements entzogen hatten? Also gründete die Weltbank 1965 mit dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington ein Schiedsgericht, das bei Enteignungen Ansprüche von geschädigten Unternehmen prüfen und gegebenenfalls Entschädigungszahlungen festlegen sollte. So weit die Theorie.
Doch in der Praxis sind Investitionsschutzabkommen längst zu einem einträglichen Geschäft für Firmen und Anwaltskanzleien geworden. Das belegt eine Studie der Forschungs- und Kampagnengruppe Corporate Europe Observatory (CEO). In ihrem Bericht «Von der Krise profitieren», der vergangene Woche in Brüssel und Amsterdam präsentiert wurde, dokumentiert die Gruppe, wie Konzerne mithilfe von Anwaltskanzleien in den vergangenen Jahren über europäische Krisenstaaten hergefallen sind.
Überzogene Ansprüche
Das 46 Seiten lange Papier arbeitet drei Beispiele auf:
- So verklagten die slowakische Postova Bank und der zypriotische Finanzanleger Istrokapital Griechenland vor dem ICSID auf eine bis heute unbekannte Summe. Beide hatten 2010 aus Spekulationsgründen griechische Staatsanleihen erworben, obwohl diese von den Ratingagenturen bereits auf Ramschniveau eingestuft waren. Bei der folgenden Umschuldung, bei der ein Teil der Schulden gestrichen wurde, kamen die internationalen GläubigerInnen zwar vergleichsweise gut weg, doch das reicht den ManagerInnen von Postova Bank und Istrokapital nicht.
- Auch der griechische Kapitalanleger Marfin Investment reichte eine Klage ein, der sich zwanzig weitere griechische InvestorInnen anschlossen. Das Verfahren, das Ende September 2013 vor dem ICSID begonnen hat, richtet sich gegen Zyperns Regierung, die auf Druck der Troika von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds die Laiki Bank verstaatlichte, von der die InvestorInnen Aktien besassen. Mit ihrer Klage versprechen sich die 21 AnlegerInnen einen Schadenersatz in der Höhe von über einer Milliarde Euro.
- Von Spanien wiederum fordern 22 Banken und Hedgefonds – darunter der deutsche Finanzdienstleister KGAL, die Öko-Investmentfirma White Owl, die Commerzbank, die Hamburger Sparkasse und die Deutsche Bank – insgesamt über 700 Millionen Euro. Ihre Begründung: Ihnen seien Verluste entstanden, weil die spanische Regierung 2008 ihre Solarstromförderung kürzte. Obwohl die meisten Firmen erst ins Solargeschäft einstiegen, als die Zuschüsse bereits eingefroren waren, wollen sie nun eine Entschädigung.
Milliarden zugunsten der Konzerne
Mit diesen Klagen, so die Forschungsgruppe CEO, werde in Europa erstmals praktiziert, was gegenüber den Staaten des Südens längst üblich sei. Die rechtliche Grundlage dafür bieten die weltweit rund 3000 Investitionsschutzverträge, die von Regierungen abgeschlossen wurden. Ihre Bestimmungen sind meist vage formuliert: Sie verlangen etwa eine «faire und gerechte Behandlung» der ausländischen InvestorInnen oder den Schutz vor «indirekter» Enteignung. Darunter kann vieles fallen, sogar die Aussicht auf geringere Profiterwartung.
Das ICSID ist kein normales Gericht. Es gibt keine ordentlichen RichterInnen, die Verfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, eine Berufung ist nicht möglich. Auch dank dieser Geheimniskrämerei konnte das ICSID 2012 den Staat Ecuador zur Zahlung von knapp 1,8 Milliarden US-Dollar an den US-Multi Oxy verurteilen, weil die Regierung eine schon genehmigte Probebohrung untersagt hatte. Argentinien musste nach der Wirtschaftskrise 2001 ausländischen Konzernen insgesamt rund 980 Millionen US-Dollar zahlen. Und die Deutsche Bank bekam von der Regierung Sri Lankas 60 Millionen Dollar.
Zu den derzeit 185 hängigen ICSID-Verfahren gehören die Klagen des schwedischen Vattenfall-Konzerns gegen Deutschland (Grund: Atomausstieg und Stilllegung von zwei AKWs, beansprucht: rund vier Milliarden Euro), des US-Unternehmens Lone Pipe gegen Kanada (Fracking-Moratorium in Quebec, 250 Millionen US-Dollar), des US-Tabakkonzerns Philip Morris gegen Australien (Streichung des Logos auf Zigarettenschachteln, Klagesumme: mehrere Milliarden Dollar). 140 Staaten haben die ICSID-Konvention unterschrieben, doch ihre Zahl schwindet. Australien, Indien und Südafrika haben den Vertrag gekündigt, ebenso Argentinien, Brasilien, Ecuador, Bolivien und Venezuela. Im EU-Raum allerdings, wo die EU-Kommission für Investitionsschutzabkommen zuständig ist, wird die Zahl der Klagen zunehmen – vor allem dann, wenn das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP Realität wird: Es sieht weitreichende Investitionsschutzklauseln vor.