Internationale Schiedsgerichte: Wo die fremden Richter hocken

Nr. 28 –

Uruguay ist glimpflich davongekommen. Eine millionenschwere Entschädigungsklage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen den Kleinstaat ist von einem internationalen Schiedsgericht abgewiesen worden (vgl. «Schweizer Tabakkonzern verliert Geheimprozess» ).

Glück gehabt. Andere Staaten sind bei Klagen von Unternehmen nicht so gut weggekommen. Internationale Gerichtsentscheide waren bisher notorisch einseitig: Argentinien, Sri Lanka, Ecuador, El Salvador und weitere Länder mussten horrende Summen an Rohstofffirmen, Energiekonzerne, Banken oder Hedgefonds zahlen, weil sie angeblich deren «Investitionsfreiheit» verletzt hatten. Aber auch Kanada ist von einem Bergbaukonzern verklagt worden, weil Quebec aus ökologischen Gründen das Gasfracking aussetzte.

Das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) hat sich zu einem wichtigen Instrument der globalen Wirtschaftsordnung entwickelt. Entstanden ist die bei der Weltbank angesiedelte quasiautonome Institution 1965 vor dem Hintergrund der Entkolonialisierung, als junge afrikanische und asiatische Staaten westliche Unternehmen zu enteignen drohten. Zudem wurden mit zunehmender Globalisierung immer mehr Handelsverträge und Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Das Zentrum regelt denn auch zwei Konfliktfelder: Staaten können andere Staaten wegen Verletzung solcher Abkommen vor Gericht ziehen, während einzelne Unternehmen einen Staat im Einzelfall auf erlittenen Schaden verklagen können.

Lange blieb das Mittel kaum genutzt; erst mit der rasanten Liberalisierung aller Wirtschaftsbereiche wurden ab 1997 im jährlichen Durchschnitt ein Dutzend Streitfälle vors ICSID getragen. Ab 2003 vervielfachten sie sich: Bis Ende 2015 registrierte das Gericht insgesamt 549 Klagen.

Denn der «Freihandel» muss geregelt werden. Kapitalistische Unternehmen wollen schrankenlose Freiheit, zugleich brauchen sie Verbindlichkeiten. Dafür bleibt auch im neoliberalen Zeitalter der Staat zuständig; der Neoliberalismus wird durch den Ordoliberalismus ergänzt. Weltweit knüpfen mittlerweile über 3000 Investitionsabkommen ein globales Netz von Verpflichtungen und Regulierungen, in dem eine eigene Gerichtsbarkeit gilt. Zusammen mit Weltbank, Welthandelsorganisation und anderen Institutionen bilden diese Schiedsgerichte eine neue globale Governance, eine neuartige Herrschaftsform. Dabei verschieben sich die Beziehungen zwischen Wirtschaft, Politik und Rechtssystem. Politik und Staat delegieren ihre Kompetenzen an Schiedsgerichte; demokratische Aushandlungen werden verrechtlicht. Das institutionelle Parallelsystem hebelt die Macht der illusionär souveränen Nationalstaaten oder der angeblich allmächtigen EU zusehends aus.

Strukturell ist das ICSID einseitig angelegt: ohne demokratische Kontrolle, mit geheimer Verhandlungsführung, auf Unternehmensinteressen fokussiert. Überproportional häufig werden arme afrikanische Länder oder aufmüpfige Regierungen in Lateinamerika durch transnationale Konzerne vor Gericht gezerrt. Die zumeist aus der Privatwirtschaft rekrutierten RichterInnen stammen zu siebzig Prozent aus westlichen Industrieländern. Die ergangenen Urteile zeigen denn auch ein deutliches Übergewicht zugunsten der klagenden Unternehmen.

In Bezug auf das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA ist die Einführung solcher Schiedsgerichte zu einem zentralen Streitpunkt geworden. Das gilt auch für das Dienstleistungsabkommen Tisa (vgl. «Hallo, Weltverschwörung!» ) und das Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Diese Abkommen sind nicht nur in ihren konkreten Inhalten fragwürdig, sondern sie verstärken zugleich das internationale System der undemokratischen Governance. Das Ceta ist gegenwärtig in den Vordergrund gerückt, weil es fertig verhandelt ist und einen Präzedenzfall für das gewichtigere TTIP zu setzen droht.

Doch die Verrechtlichung eröffnet auch Spielräume. RichterInnen behaupten zuweilen eine Autonomie gegenüber den politischen Auftraggebern und orientieren sich an den durch zivilgesellschaftliche Initiativen auf die Traktandenliste gesetzten ökologischen oder sozialen Standards. Gelegentlich mit Erfolg, wie das Uruguay-Urteil zeigt.