Philip Morris versus Uruguay : In den Fängen der Schattenjustiz

Nr. 29 –

Der Tabakmulti Philip Morris mit Sitz in der Schweiz verklagt den Staat Uruguay wegen Gesundheitsvorschriften. Der Bund will nicht intervenieren.

Am 5. und 6. Februar 2013 fand hinter den verschlossenen Türen der Internationalen Handelskammer in Paris ein Treffen hochrangiger Wirtschaftsanwälte statt. Der italienische Richter Piero Bernardini und seine Kollegen Gary Born aus den USA und James Crawford aus Australien hatten knapp zwei Dutzend AnwältInnen, Regierungsvertreter und KonzernmanagerInnen zu einer Anhörung geladen.

Was an diesem Treffen gesagt wurde, blieb unter Verschluss. Kein Reporter war anwesend, keine Medienmitteilung wurde verschickt. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Dabei verhandelten die 26 anwesenden Herren und Damen während zweier Tage nichts weniger als die Souveränität eines Staates.

Der Fall trägt das Aktenzeichen ARB/10/7. Es geht um eine Klage von Philip Morris gegen die Republik Uruguay. Der Tabakkonzern beschäftigt weltweit über 87 000  Angestellte, seit 2003 befindet sich seine Betriebszentrale in Lausanne. Viel ist nicht über das Verfahren bekannt, denn die Klage wird nicht vor einem ordentlichen Gericht in Uruguay, in der Schweiz oder in den USA verhandelt, sondern an einem fast unbekannten Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington, dem ICSID, dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten.

Postkoloniales Vermächtnis

Diese Geschichte nahm ihren Anfang im März 2006, als Uruguay unter Präsident Tabaré Vázquez, einem Onkologen, das Rauchen in geschlossenen öffentlichen Räumen untersagte. Es war der erste Schritt der uruguayischen Regierung im Kampf gegen die Nikotinsucht, an der weltweit jedes Jahr über fünf Millionen Menschen sterben.

2008 und 2009 folgten weitere Gesetze: Zigarettenpackungen müssen seither beidseitig zu achtzig Prozent mit Hinweisen und Piktogrammen versehen werden, die vor den Gefahren des Rauchens warnen, und die Verkaufsstellen dürfen von jeder Marke jeweils nur eine Variante anbieten (zum Beispiel nur Marlboro Rot, nicht aber zusätzlich Marlboro Gold).

Die Tabakindustrie sieht dadurch ihr Geschäft gefährdet. Der Konzern Philip Morris liess 2010 verlauten, dass er wegen der «extremen und uneffektiven Regulierungen» sieben von zwölf Markenvariationen vom uruguayischen Markt nehmen musste, unter anderem auch Marlboro-Varianten, die vierzig Prozent der Marlboro-Verkäufe ausmachten. Da der Tabakriese seine Investitionen bedroht sah, reichte er am Schiedsgericht des ICSID Klage gegen den Staat Uruguay ein. Lange wurde über die Höhe der Klagesumme spekuliert, der Konzern aber schwieg eisern dazu. Anfang Mai allerdings sah sich Philip Morris genötigt, einen Beitrag der «Financial Times» zu korrigieren, die die Summe von zwei Milliarden US-Dollar genannt hatte. Seither ist klar: Es geht um 25 Millionen US-Dollar, wie Philip Morris auf Anfrage bestätigt.

Die rechtliche Grundlage für die Klage am ICSID geht zurück auf ein sogenanntes Investitionsschutzabkommen, das die Schweiz 1991 mit Uruguay abschloss. Das Abkommen wurde zum Schutz von Auslandsinvestitionen geschaffen. Weltweit bestehen über 3000 solcher bilateraler und multilateraler Abkommen. Die Schweiz hat insgesamt 130 Abkommen unterzeichnet, den Grossteil mit Entwicklungsländern.

Das erste Investitionsschutzabkommen schloss Deutschland 1959 mit Pakistan. Die Idee dahinter: Der deutsche Staat wollte Unternehmen, die in Pakistan investierten, vor Enteignungen schützen und ihnen die Möglichkeit geben, bei Rechtsstreitigkeiten vor ein internationales Gericht zu gehen, damit sie nicht von angeblich korrupten ausländischen RichterInnen abhängig sind. So die offizielle Erzählung. Etwas anders sieht es Alliance Sud, die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft grosser Schweizer Hilfswerke. Sie bezeichnet die Investitionsschutzabkommen als «ein Vermächtnis der postkolonialen Ära». Tatsächlich sind die Machtverhältnisse solcher Abkommen asymmetrisch: Unternehmen können Staaten einklagen, umgekehrt gilt das nicht. InvestorInnen können nie verurteilt werden, wohl aber demokratische Länder, die sich nicht dem Diktat der Konzerne unterwerfen. Die eingeklagten Staaten müssen zudem in jedem Fall, der vor das Schiedsgericht getragen wird, mit hohen Verfahrens- und Anwaltskosten rechnen. Im Fall Philip Morris versus Uruguay schätzt Isolda Agazzi von Alliance Sud die Kosten auf rund acht Millionen Franken.

Das Hauptproblem bei diesem System der Investitionsabkommen liegt jedoch in dessen Gerichtsbarkeit. Über die Streitigkeiten befindet ein höchst intransparentes Schiedsgericht in Washington. Bei jedem Fall werden drei handverlesene Wirtschaftsanwälte zu Schiedsrichtern ernannt, je einer vom Kläger und vom Beklagten, und der Präsident von den beiden ernannten Richtern. Zu 96 Prozent sind diese Richter Männer, wie «Le Monde diplomatique» in seiner Juniausgabe berechnete. Ihre Stundenansätze betragen zwischen 300 und 650 Franken, wobei die Verfahren pro Richter 500 Stunden und mehr in Anspruch nehmen. Ist ein Urteil gefällt, kann dagegen keine Berufung eingelegt werden. Die Entscheide sind endgültig.

Knapp 300 Fälle wurden seit Inkrafttreten der ICSID-Konvention im Jahr 1966 behandelt, 192 Fälle sind derzeit hängig. In den letzten Jahren hat die Zahl der Klagen von Privatfirmen gegen Staaten massiv zugenommen: Rund achtzig Prozent aller Klagen stammen aus dem Zeitraum von 2003 bis 2012. In der grossen Mehrheit sind die Kläger Firmen der nördlichen Hemisphäre, die gegen Staaten des Südens klagen.

Urteil erfolgt frühestens 2015

So ist es auch im Fall Philip Morris gegen Uruguay. Obwohl beide Parteien im Februar 2013 mit je einem Dutzend VertreterInnen anwesend waren, war es ein Zusammentreffen zweier ungleicher Kontrahenten: der Kleinstaat Uruguay mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 50 Milliarden US-Dollar – und der Multi mit einem Jahresumsatz von 77 Milliarden Dollar. Fast vier Jahre hatte es gedauert, bis es zu dieser ersten Anhörung gekommen war. Im Juli 2013 dann entschieden die drei Schiedsrichter Bernardini, Born und Crawford einstimmig, dass sie für den Fall zuständig seien. Dieser Entscheid ist der bisher einzige Schritt an die Öffentlichkeit, das einzige öffentliche Dokument, das in diesem Fall existiert.

Bis zum Urteil dürfte noch ein weiteres Jahr vergehen. Eine Niederlage Uruguays könnte ein «entscheidender Schlag gegen die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Länder des Südens in ihrem Kampf gegen die Folgen des Tabakmissbrauchs» sein, befürchtet Alliance Sud. Letzte Woche forderte sie deshalb die Schweiz zum Handeln auf. In einer diplomatischen Note, einer sogenannten Auslegungsnote, soll sich die Schweiz für Uruguay einsetzen. Das Land verfolge schliesslich eine Antitabakgesundheitspolitik, die in Einklang mit den Empfehlungen der WHO stehe.

Beim zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) will man davon nichts wissen. Die Schweiz sei nicht Partei. Zudem sei es nach den Regeln des ICSID gehalten, «nicht in das rechtshängige Verfahren einzugreifen».