Krimkrise: Das Völkerrecht und das Volk

Nr. 12 –

In der Politik haben Worte wenig Wert. Zum Beispiel in Russland. Am Dienstag sprach Staatschef Wladimir Putin vor den Abgeordneten des russischen Parlaments. Er sagte, das Referendum vom Sonntag zur Eingliederung der Krim in die Russische Föderation habe «allen demokratischen Standards entsprochen» und stehe «im Einklang mit internationalem Recht».

Das ist offensichtlich gelogen. Bislang sind weltweit noch kaum Rechtsgelehrte aufgetreten, die Russlands Vorgehen als völkerrechtskonform abgesegnet hätten. So betont auch Norman Paech, emeritierter Hamburger Rechtsprofessor, die Abspaltung der Krim sei illegal, weil sie einseitig und ohne rechtliche Grundlage in der Ukraine erfolgte. Zudem sei die Entsendung russischer Truppen weder im Rahmen des Stationierungsvertrags mit der Ukraine noch als humanitäre Intervention zu rechtfertigen.

Gerade weil Putin lügt, sollten diejenigen, die an einer Deeskalation der Krise interessiert sind, versuchen, die Beweggründe Russlands zu verstehen. Paech, der in der deutschen Partei Die Linke aktiv ist, hält der EU und den USA einen Spiegel vor: «Die Staaten, die jetzt das Völkerrecht hochhalten, haben es zuvor noch viel massiver verletzt.» Er spricht damit etwa den US-britischen Angriffskrieg im Irak an, der Hunderttausenden das Leben gekostet hat. Zudem hätten die EU und die Nato die Macht- und Sicherheitsinteressen Moskaus zu wenig beachtet. Das sei keine Entschuldigung für die russischen Rechtsverletzungen, sagt Paech. Aber der Westen habe deswegen jetzt schlechte Karten, um die Krise lösen zu können.

«Das Volk ist der Quell aller Macht», fabulierte der Autokrat Putin vor seinen Parlamentsabgeordneten. Das Plebiszit wurde jedoch – entgegen allen demokratischen Standards – von Moskau und prorussischen Gruppierungen auf der Krim in Windeseile dem «Volk» aufgedrängt. Es gab nicht einmal eine Wahlmöglichkeit für den Status quo. Mit dem berechtigten Hinweis, dass das Referendum nicht verfassungskonform war, verstrickt sich der Westen allerdings erneut in seinen eigenen Opportunismus. Denn die EU und die USA förderten in Kiew den ebenfalls nicht verfassungskonformen Regierungsumsturz durch teilweise rechtsextreme Kräfte.

Das Völkerrecht ist konservativ, wenn es um die sogenannte Selbstbestimmung der Völker geht. Eine Sezession ist legal nur dann möglich, wenn dies die Verfassung des Zentralstaats oder dessen Souverän erlaubt. Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland, Katalonien und dem Baskenland sind deshalb seit Jahren daran, innerhalb des Systems entsprechenden Druck aufzubauen. Die Sezession der Krim hat mit solch langwierigen Prozessen der Selbstbestimmung nichts zu tun.

Putin bezeichnete am Dienstag die RussInnen als «das grösste verstreute Volk der Welt». Dessen Rechte wolle er nun, da Russland wieder stark sei, verteidigen. Solche Aussagen sollten einen wichtigen Punkt in Erinnerung rufen: Extreme NationalistInnen sitzen nicht nur in Kiew, sondern auch auf der Krim und im Kreml. Die von mehreren osteuropäischen Staaten geäusserten Szenarien, wonach Putin bald erneut auf die Idee kommen könnte, eine russische Minderheit im Ausland schützen zu wollen, sind nicht völlig auszuschliessen.

Man wird jedoch auch beobachten können, wie sich die von Moskau gesponserte Sezession der Krim auf separatistische Bewegungen in Russland auswirkt. In Tschetschenien etwa dürften derzeit einige an Strategien feilen, wie sie den sezessionistischen Opportunismus Moskaus für sich nutzen könnten.

Russlands brutaler Umgang mit der tschetschenischen Minderheit – wie auch mit sonstigen RegimekritikerInnen – sollte ein Signal sein. Putin versicherte in seiner Duma-Rede auffallend ausführlich, dass auf der Krim unter russischer Herrschaft insbesondere die krimtatarische Minderheit geachtet und geschützt werde. Das ist eine rhetorische Beruhigungspille für die Unterlegenen; Moskau hat jedes Interesse daran, dass diese für möglichst wenig Unruhe sorgen.

In diesen Tagen zeichnet sich aber eher eine Eskalation ab, trotz Völkerrecht und blumiger Worte aus Ost und West.