Textilindustrie: Unsere tägliche Kleidung

Nr. 19 –

Die internationalen Markenfirmen halten sich bedeckt, wenn es um die Arbeitsbedingungen der TextilarbeiterInnen geht. In Kambodscha wird versucht, mehr Transparenz zu schaffen.

Es hat Wochen gedauert, bis uns Zutritt zu einer der 500 Fabriken gewährt wurde, die für den Exportmarkt Kleidung und Schuhe herstellen. Von den vier grössten internationalen Bekleidungsmarken, die in Kambodscha produzieren lassen, war auf Anfrage keine bereit, uns einen Besuch in einer Textilfabrik zu ermöglichen. Adidas, Levi’s, GAP und H & M erteilten uns Absagen. Erst in Phnom Penh erhielten wir die Erlaubnis, eine Fabrik von Grand Twins International, einem Unternehmen, das zur taiwanesischen QMI-Gruppe gehört, zu besichtigen. In den Fabrikhallen produzieren 6000 ArbeiterInnen Daunenjacken für eine internationale Topmarke. Vor dem Treffen stellt David Liu klar, dass ein Besuch der Fabrik nur möglich ist, wenn nicht erwähnt wird, für welchen Konzern hier gearbeitet wird. David Liu vertritt die QMI-Gruppe im Bereich der sozialen Verantwortung.

Neunzig Prozent der Fabriken, die in Kambodscha Kleidung herstellen, sind in ausländischem Besitz. Sie gehören vor allem Unternehmen aus Hongkong, Taiwan, Singapur oder China. Es ist kein Zufall, dass in ihren Firmennamen nichts auf die internationalen Marken hindeutet, die hier produzieren lassen. Die Modeindustrie leidet unter einem Transparenzproblem. Sie ist von zwei Extremen geprägt: Auf der einen Seite steht das omnipräsente Marketing der globalen Markenfirmen. Auf der anderen Seite erhält man kaum Informationen über die Arbeit hinter den Labels.

Proteste sind schlecht fürs Geschäft

Die Textilindustrie ist der Motor Kambodschas. Er wird von einer Masse an billigen Arbeitskräften angetrieben. Der überwiegende Teil der Beschäftigten – rund neunzig Prozent – sind Frauen. Sie kommen aus ländlichen Gegenden in die Stadt, weil sie sich ein Einkommen erhoffen, mit dem sie sich und ihre Familien durchbringen können. Als WanderarbeiterInnen landen sie in einem der Wohnblöcke am Rand von Phnom Penh, wo sie auf engstem Raum wohnen, kochen und schlafen. Seit vergangenem Jahr kämpfen die TextilarbeiterInnen mit Unterstützung von Gewerkschaften für eine Erhöhung des Lohns (siehe WOZ Nr. 3/2014 ). Im Februar wurde er von 80 auf 100 US-Dollar im Monat erhöht. Die ArbeiterInnen fordern 160 US-Dollar. Es ist der zweitniedrigste Mindestlohn im Vergleich zu den anderen asiatischen Textilindustrieländern. Nur in Bangladesch wird noch weniger gezahlt.

Die derzeitige politische Lage in Kambodscha macht internationale Investoren nervös. Die Streiks seien nicht gut fürs Geschäft, meint David Liu von der QMI-Gruppe. Anfang Januar hat die Militärpolizei auf Protestierende geschossen, dabei wurden mindestens vier ArbeiterInnen getötet und Dutzende verletzt und verhaftet. Viele internationale Bekleidungsmarken, die in Kambodscha produzieren lassen, haben nach den tödlichen Auseinandersetzungen zu Beginn des Jahres in Statements die Regierung, die Textilindustrie und die Gewerkschaften zu Verhandlungen aufgerufen. In einem offenen Brief an die Regierung im März äusserten 34 Markenhersteller ihre Bedenken in Bezug auf die Auswirkungen auf die Branche, die internationale Wahrnehmung und die Folgen für zukünftige Planungen. Doch keiner der vier von uns kontaktierten Markenhersteller war zu einem Interview bereit.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat in Kambodscha seit 2001 ein Programm namens Better Factories Cambodia. In regelmässigen Abständen überprüfen MitarbeiterInnen die Arbeitsstandards in den Fabriken. In diesem Rating wird Grand Twins International als eine der Fabriken mit den besten Arbeitsbedingungen in Kambodscha eingestuft. Wie sehen dann andere Fabriken in Phnom Penh aus, wenn sogar bei Grand Twins International die ArbeiterInnen mindestens acht Stunden am Tag an sechs Tagen in der Woche auf einer spriessigen Holzbank ohne Lehne sitzen und schweigend ein Stück nach dem anderen nähen? Es sei keine Zwangsarbeit, stellt der Generalsekretär des kambodschanischen Textilverbands, Ken Loo, klar. Jede könne aufstehen und gehen. Gleichzeitig gibt er zu, dass er auf solchen Bänken nicht sitzen und arbeiten könnte. Doch für ihn gehe es um etwas ganz anderes: «Wenn uns die internationalen Markenfirmen einen besseren Preis machen würden, dann könnten wir auch den Arbeitern mehr bezahlen und die Arbeitsbedingungen verbessern.»

«… oder die Markenfirmen lügen»

Wie viel die internationalen Marken den Zulieferern in Asien für die Produktion ihrer Kleidungsstücke bezahlen, ist kaum zu eruieren. Adidas etwa behandelt dies als vertrauliche Information, die das Unternehmen nicht preisgibt. Für Ken Loo ist die Rechnung einfach. Man müsse sich nur den Geschäftsbericht der Markenfirmen anschauen und mit denen der Textilfabriken in Asien vergleichen. Im Durchschnitt liege der Profit einer gut gehenden Textilfabrik bei 5 Prozent. Bei den Markenfirmen beginne die Gewinnspanne jedoch bei 50 Prozent und höre bei 200 Prozent auf.

Im März hat die ILO im Rahmen von Better Factories Cambodia zum ersten Mal eine Datenbank aller grossen textilproduzierenden Länder online gestellt, die für alle ersichtlich macht, ob die einzelnen Fabriken grundlegende Arbeitsstandards einhalten. Jason Judd von der ILO sagt, dass die Markenfirmen diese Initiative grösstenteils unterstützen. Sie spürten den Druck, weil sie wüssten, dass die Daten ihrer Zulieferer ab sofort öffentlich zugänglich seien. Daher würden sie wiederum Druck auf ihre Produzenten ausüben, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. «Es war sehr schwer, unsere Partner, also die Regierung und die Wirtschaft, von der Wichtigkeit der Transparenz zu überzeugen», so Judd. Noch ist die Datenbank nicht vollständig, und sie stellt keine Verbindung zwischen lokalen Fabriken und globalen Markenunternehmen her. WelcheR interessierte KonsumentIn weiss etwa, wer hinter Namen wie King Fashion Garment, Legend Garment oder Good People steht?

Ein Geldgeber des Better-Factories-Programms der ILO ist der kambodschanische Textilverband. Doch dem Generalsekretär Ken Loo wäre es mittlerweile lieber, es nicht zu unterstützen. Es seien Extraausgaben mit sehr geringem Nutzen: «Wenn Compliance (die Einhaltung von Regeln) tatsächlich so wichtig ist, warum hat dann Bangladesch nichts Ähnliches wie Better Factories Cambodia?», fragt Loo. Bangladesch sei bestens bekannt für seine geringe Compliance. Letztes Jahr nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes stand die Textilindustrie über einen Monat still – praktisch null Export. Im Dezember gab es Wahlen, gefolgt von Krawallen, und wieder war die Exportwirtschaft blockiert. Das heisst, Bangladesch konnte nur zehn von zwölf Monaten exportieren, gleichzeitig stieg aber das Exportvolumen um 21 Prozent. «Unser Export wuchs aber nur um 11 oder 12 Prozent. Also, ist Compliance tatsächlich so wichtig? Falls es das ist, dann muss ich da vielleicht irgendetwas nicht mitbekommen haben, oder die Markenfirmen lügen uns an.»

Es heisst, die Textilindustrie boome in einem Land so lange, bis es woanders günstiger ist. In Südostasien spricht man derzeit viel von einem Staat, in dem die Arbeitskraft noch billiger sei und die gesetzlichen Vorgaben noch niedriger: Myanmar. Ein Land, das sich gerade zu öffnen beginnt.

Kambodschas Textilbranche

In den neunziger Jahren trat Kambodscha, eines der ärmsten Länder der Welt, in den globalen Textilmarkt ein. Die politische Führung wollte damals nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg Jobs schaffen.

Mittlerweile boomt die Branche enorm. Sie produziert Güter im Wert von fünf Milliarden US-Dollar, die rund neunzig Prozent des kambodschanischen Exportvolumens ausmachen. 600 000 Menschen sind in der Textilindustrie beschäftigt. Eine hohe Zahl, gemessen an der Bevölkerungszahl von 15 Millionen.