Zölle: Weltpolitik in der Kleiderfabrik
Wieso die US-Zollpolitik bereits jetzt einen negativen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie hat: Gewerkschafterinnen aus Bangladesch und Indonesien erzählen.

«Die Arbeiter:innen machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, um ihre Zukunft, um ihr Leben.» So fasst Emelia Yanti Siahaan die gegenwärtige Stimmung unter indonesischen Textilarbeiter:innen zusammen. Die 49-Jährige ist Generalsekretärin des Gewerkschaftsbunds GSBI, der Angestellte von Kleider- und Schuhfabriken und weiterer Branchen vertritt. Seit Donald Trump vor rund zwei Wochen hohe Zollaufschläge für Länder ankündigte, gegenüber denen die USA ein Handelsbilanzdefizit aufweisen, ist die Bekleidungsindustrie in Aufruhr. Alle Länder mit grossen Textilproduktionen wie China, Bangladesch oder Vietnam sind davon betroffen. Auch Indonesien, wo etwa Adidas-Schuhe für den Export produziert werden, treffen die angekündigten US-Zölle hart. 32 Prozent sollen es für das südostasiatische Land sein; wie bei allen Ländern ausser China wurden sie vorerst für neunzig Tage ausgesetzt.
Siahaan trat mit fünfzehn Jahren ihren ersten Job in einer Kleiderfabrik an, fünf Jahre später begann sie, unter dem Regime von Diktator Suharto noch im Untergrund, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Seit Trumps Zollankündigung ist sie ständig auf Achse. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit bestehe aktuell darin, die Lohnabhängigen zu informieren. Viele seien von den vielen Ankündigungen und Erklärungen überfordert und fragten bei der Gewerkschaft um Rat. Einige Unternehmen würden diese Unsicherheit ausnutzen: So habe ihr ein Gewerkschaftsmitglied berichtet, eine Firma habe mit Verweis auf die neuen US-Zölle schon jetzt «Effizienzmassnahmen» angekündigt. «Sie nutzen globale Probleme gerne aus, damit Arbeiter:innen ja keine Forderungen stellen, sondern einfach dankbar sind, überhaupt einen Job zu haben.»
Parallelen zur Pandemie
Ganz ähnlich sei die Lage in Bangladesch, erzählt Kalpona Akter. Auch sie arbeitete bereits als Minderjährige in einer Kleiderfabrik, wurde später Gewerkschafterin und ist heute beim Bangladesh Centre for Workers’ Solidarity tätig, einer Basisorganisation, die sich für die Rechte der Arbeiter:innen einsetzt. Ihr liegt eine Nachricht vor, die ein Kleiderfabrikant seinen Arbeiter:innen schickte. «Darin steht, dass er die Produktion in Anbetracht der weltpolitischen Ereignisse für drei Tage stoppe und die Arbeiter:innen zu Hause bleiben sollen», erzählt Akter. Bangladesch ist nach China der weltweit grösste Kleiderproduzent und wurde von Trump mit Zöllen von 37 Prozent belegt. In den Kleiderfabriken arbeiten die Beschäftigten oft unter prekären Bedingungen und zu Tiefstlöhnen. Die Textilindustrie macht über achtzig Prozent der landesweiten Exporte aus – und macht Bangladesch damit besonders verwundbar.
Dass Arbeitgeber:innen die Sorgen der Angestellten ausnutzten, sei eine klassische Strategie in dieser Branche, sagt Dina Siddiqi, die an Universitäten in Dhaka und New York seit mehr als zwanzig Jahren zu den Arbeitsbedingungen im Textilsektor von Bangladesch forscht. Wer in Krisenzeiten den Kürzeren ziehe, sei klar: «Unabhängig von der Ursache sind es stets die Arbeitnehmenden, die am stärksten von Disruptionen in der Lieferkette betroffen sind.» Die Anthropologin spricht von einem Trickle-down-Effekt, also davon, dass Probleme nach unten durchsickern – beziehungsweise weitergegeben werden.
Die Gewerkschafterin Emelia Yanti Siahaan erklärt es so: «Die Zölle werden die Kosten für die exportierten Produkte steigen lassen, also werden Unternehmen versuchen, sie anderswo zu senken, etwa indem sie die Löhne kürzen.» Viele Produzent:innen, gerade kleine einheimische Fabrikant:innen, könnten in Preisverhandlungen mit Importeur:innen wenig ausrichten.
Die letzte Disruption, die den Sektor und in Bangladesch Hunderttausende Arbeitnehmer:innen stark getroffen hat, war die Covid-Pandemie. Damals annullierten grosse Firmen wie C&A oder Zara zahlreiche Bestellungen bei den Hersteller:innen – gar solche, die bereits produziert worden waren. Die Folgen waren Lohnausfälle und Massenentlassungen. Studien kamen zum Schluss, dass sich die Ernährungssituation der Textilarbeiter:innen während der Pandemie verschlechterte und sich die bestehenden Ungleichheiten verschärften.
«Die Gegebenheiten in der Pandemie waren natürlich anders, trotzdem sehe ich verblüffende Parallelen zur Situation heute», sagt Dina Siddiqi. Obwohl die hohen Zölle vorerst ausgesetzt seien, fürchteten die Fabrikant:innen in Bangladesch, dass Auftraggeber nun Länder mit noch niedrigeren Produktionskosten und tieferen Zöllen vorziehen würden. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, kam es tatsächlich bereits vereinzelt zur Stornierung von Aufträgen bei bangladeschischen Kleiderherstellern. Siddiqi glaubt: «Es wird zu einer verschärften Version des klassischen Wettlaufs nach unten kommen.»
Internationale Solidarität
Dass es von Vorteil wäre, die Wirtschaft zu diversifizieren, um weniger von der Textilindustrie abhängig zu sein, wird in Bangladesch schon lange diskutiert. Bis zum Sturz der Regierung im vergangenen Sommer (siehe WOZ Nr. 34/24) sorgte aber insbesondere der mächtige Verband der Bekleidungshersteller und -arbeitgeber dafür, dass alles beim Alten blieb. Er unterhielt enge Verbindungen zu Regierungskreisen. «Die Abhängigkeit Bangladeschs von der Textilindustrie war für die Regierungsverantwortlichen ausserordentlich profitabel», sagt Siddiqi.
Jetzt gibt es Hoffnung auf Veränderung, sowohl bei der Gewerkschafterin Kalpona Akter als auch bei Dina Siddiqi. «Die Dinge sind noch in Bewegung», schränkt die Anthropologin ein. Ein vergangene Woche zu Ende gegangener Investitionsgipfel in Dhaka zeige aber, dass es in die richtige Richtung gehe. Laut Medienberichten stand an diesem Treffen das Potenzial anderer Sektoren als der Textilindustrie im Fokus. Es gebe einen Wandel in «Richtung Diversifizierung», befand etwa der Kommentator des lokalen «Daily Star».
In Indonesien hofft Emelia Yanti Siahaan darauf, dass es der Regierung gelingt, tiefere Zölle mit den USA auszuhandeln. Doch das allein reiche nicht. Letzte Woche hat sie sich mit Vertreter:innen anderer Gewerkschaften getroffen. «Wir planen, eine gemeinsame Erklärung zu formulieren, die wir der Regierung vorlegen wollen.» Diese soll Massnahmen ergreifen, um Arbeitsplätze zu sichern und das bestehende Sozialversicherungssystem zu stärken.
Auf internationaler Ebene sei man gerade dabei, sich mit Kolleg:innen aus Bangladesch, Vietnam und Kambodscha auszutauschen. Und auch mit Gewerkschaften in den USA möchte Siahaan Kontakt aufnehmen, denn: «Wir glauben, dass dieser Zollkrieg auch den amerikanischen Arbeiter:innen schaden wird.» Auch Kalpona Akter hebt die Bedeutung von internationaler Solidarität und internationalem Austausch hervor. Man werde versuchen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.