Linke Initiativen: Politik ist mehr als Abstimmen

Nr. 21 –

Eine Mischung aus Bewunderung und Neid schimmert bei Gesprächen mit Linken aus Nachbarländern oft durch: «Eure direkte Demokratie ist ein Vorbild für Europa», «Wir wollen auch ein Initiativrecht», «Ihr könnt über Gentechnik abstimmen!».

Ja, zum Glück können wir über Gentechnik abstimmen. Wenn es um die Umwelt geht, sind linksgrüne Initiativen manchmal mehrheitsfähig. So war es beim Gentechmoratorium und bei der Rothenthurm-Initiative zum Moorschutz. Oder bei der Alpeninitiative, die den Transitverkehr auf die Schiene verlagern sollte – auf die Umsetzung warten wir immer noch.

Das wars dann aber auch schon. Die Linke gewinnt dann und wann ein Referendum, etwa vor zehn Jahren jenes gegen die AHV-Revision. Aber Initiativen mit klassischen linken Themen – Arbeit, Kapital, Umverteilung – sind in der Schweiz nicht mehrheitsfähig. Über was haben wir seit der Jahrtausendwende nicht alles abgestimmt: Kapitalgewinnsteuer, Lehrstellenfonds, Arbeitszeitverkürzung, faire Mieten, Einheitskrankenkasse, Kriegsmaterialexportverbot, sechs Wochen Ferien, 1:12 … und jetzt der Mindestlohn. Wer so oft erfolglos das gleiche Mittel anwendet, sollte sich irgendwann fragen: Warum machen wir das?

Klar, es gibt Niederlagen, die die Schweiz verändern. Das beste Beispiel dafür ist die Abstimmung über die Initiative «Für eine Schweiz ohne Armee» von 1989. Und es stimmt, Initiativen können ein Druckmittel sein, ein Katalysator für dringend nötige gesellschaftliche Diskussionen. Das galt bis vergangenen Sonntag auch für die Mindestlohninitiative.

Doch jetzt ist die Niederlage derart deutlich ausgefallen, dass die negativen Folgen grösser sein könnten als die Erfolge im Abstimmungskampf. Die über 76 Prozent Nein-Stimmen werden Gewerbeverband und Co. auf Jahre hinaus als Argument dafür dienen, dass «das Volk» ja gar keinen Lohnschutz wolle. Da spielt es keine Rolle, dass ein grosser Teil der Niedriglohnbetroffenen mangels Schweizer Pass gar nicht abstimmen durfte.

Druck machen, Diskussionen anstossen und – wie die 1:12-Initiative – junge Leute politisieren: Das sind zweifellos wichtige Wirkungen linker Initiativen. Aber wer den immer gleichen Ablauf, das immer gleiche Erregungsmuster ein paar Jahre oder Jahrzehnte miterlebt hat, beginnt trotzdem zu zweifeln. Denn es braucht so viel Energie – die parlamentarischen und gewerkschaftlichen Linken der Schweiz stecken einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen in Abstimmungskämpfe. Und ausserparlamentarisch ist nicht viel los. Gibt es da einen Zusammenhang?

Ein Blick nach Deutschland lässt es vermuten. Dort engagieren sich mehr Linke in der ausserparlamentarischen Politik – man kann ja nicht andauernd abstimmen. So skandalisierten Gewerkschaften, Attac und andere Gruppen die Geschäftspraktiken von Lidl so lange, bis der Discounter Zugeständnisse machen musste. Es gibt in Deutschland seit Jahren hartnäckigen Widerstand gegen Atomkraft und Gentechnik, und die Bewegungsstiftung unterstützt AktivistInnen finanziell. Erfolgreiche Mobilisierungen wie derzeit jene gegen das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) sprechen für solche Strategien. Wenn in der Schweiz dagegen einmal eine breite Bewegung entsteht, wie vor drei Jahren gegen AKW, wird früher oder später ein Abstimmungskampf daraus. Man landet sehr schnell wieder in der institutionellen Politik – das bedeutet mehr Mitbestimmung, aber es zähmt die Linke auch.

Die Mindestlohninitiative wurde abgelehnt, die «Pädophilie-Initiative» angenommen: Es sind heutzutage die Rechten, die mit Initiativen erfolgreich Politik machen. Sie setzen den «Volkswillen» absolut und attackieren gleichzeitig demokratische Fundamente wie die Grundrechte, den Minderheitenschutz und die Verhältnismässigkeit. Dafür ist die Initiative ein ideales Instrument. Mit ihr kann man antidemokratische Politik machen, die urdemokratisch wirkt.

Das ist kein Argument dafür, das Initiativrecht abzuschaffen oder als Linke überhaupt nicht mehr zu nutzen. Aber dafür, sich genauer als heute zu überlegen, wann die Initiative das richtige Mittel ist und wann nicht. Und mehr über andere Politikformen nachzudenken.