Kost und Logis: Beim Barte des Propheten

Nr. 23 –

Ruth Wysseier findet ein Haar in der Suppe

Die erfreulichste politische Nachricht in letzter Zeit: dass Conchita Wurst beim ESC gesiegt hat. Gegen ihre Behaarung habe ich wirklich nichts. Welch reizvolles Zusammenspiel von schwarzer Mähne, XXL-Wimpern und Bart. Wie erfreulich, dass sie die europäischen Herzen gewann mit ihrer Botschaft, dass es wurst ist, wo und wie wir etwas wachsen lassen und ob wir unseren Mitmenschen eher östrogen- oder testosterongetrieben nachstellen.

Bei den zahllosen anderen Bärten, die neuerdings vormals nackte Gesichter möblieren, ist mir die Botschaft weniger klar. Ökonomische Gründe kann das Gestrüpp kaum haben; Recherchen zeigen keine künstliche Verknappung oder Hochpreispolitik bei Rasierwerkzeug. Spitzfindige könnten allenfalls Zeitökonomie geltend machen, wenn sie die Bärte nicht täglich trimmen wie Thujahecken.

Wem nützts? Was wird da versteckt? Bibeli? Hasenscharte? Ein Schmiss aus der Studentenverbindung? Ein Mann muss schon extrem hässlich sein, damit ein Bart ihn verschönert. Bei den meisten assoziiert man eher Zoologisches: Seehund, Ziegenbock, Schnauzer.

Ein Sprichwort sagt, der Bart war früher als der Mann, nämlich am Geissbock, der nach der mosaischen Schöpfungssage eher als der Mensch ins Leben trat. Die frühen Menschen trugen Ganzkörperbehaarung, dann kam der aufrechte Gang, die Haare fielen aus. Dafür wurden Kleider erfunden und neue Essgewohnheiten, zum Beispiel die Suppe. Und weil die im Bart kleben blieb, wurde der Dachs gejagt und zum Rasierpinsel umfunktioniert. Die Österreicher, ein ulkiges Völklein, verkürzen sich bis heute die langen Winterabende mit dem Wildhaarbinden und tragen den Bart einer Gämse am Hut. Sind sie damit die Spitze der Evolution oder doch nur eine Laune der Natur?

Bleibt die Religion. Ein buddhistischer Mönch darf acht Dinge besitzen: ein Ober- und zwei Untergewänder, Gürtel, Almosenschale, Sieb, Nadel – und Rasiermesser. Damit hebt sich dieser Glaube wohltuend ab von den abrahamitischen Religionen Islam, Juden- und Christentum: Bei ihnen gilt der Bart als Symbol der Männlichkeit und der männlichen Ehre. Man schwört beim Barte des Propheten, trägt die Zottel von den Wangen bis auf die Brust hinunter und schaut so verkleidet misstrauisch und missbilligend auf die moderne Welt.

Sehnen sich meine neobärtigen Freunde nach dem Patriarchat zurück? Lassen sie es, während sie scheinbar klaglos staubsaugen und Kinderwagen schieben, in stummem Protest wieder wachsen? Nein, behaupte ich. Der zeitgenössische Bart ist subversiv. Wenn alle Milchbubis, Frauenversteher und Redaktoren einen tragen, funktioniert nämlich die Symbolik der religiösen Bartlis nicht mehr. Alles wird relativ, mehrdeutig, ein ironisches Zitat. Die Verwirrung ist total, der Bart ist endlich ab!

Ruth Wysseier unterstützt die Aktion «Bart ab für Hörbehinderte»: www.pro-audito.ch.