«Eugen Früh und seine Brüder»: Ein Familienorchester und eine Theaterdynastie
Ein reich illustriertes Buch gibt Einblick in die vielseitig tätige Künstlerfamilie Früh und darüber hinaus in Zürichs linke Kulturszene der Jahre 1930 bis 1950. Die drei Brüder Früh haben in Musik, bildender Kunst, Theater und Film ihre Spuren hinterlassen.
Der Maler Eugen Früh wäre dieses Jahr hundert Jahre alt geworden. Zu diesem Jubiläum erhält er mehr als die übliche Künstlermonografie: einen Sammelband, der das Wirken seiner Brüder und ihre vielfältigen Kollaborationen miteinbezieht. Die orchestrierte Kreativität der drei Brüder Huldreich Georg, Eugen und Kurt geht auf Vater Huldreich zurück: Er war Pöstler in St. Gallen und während seiner Freizeit in zahllosen, oft selbst gegründeten Orchestern, Kapellen und Chören tätig. Er konnte auch seine insgesamt fünf Söhne fürs gemeinsame Musizieren begeistern, mit nachhaltiger Wirkung: Zwei von ihnen wurden Berufsmusiker, Huldreich Georg als Bühnenpianist mit eigenen Kompositionen, Willi als Schlagzeuger im Radioorchester und Mitglied im Tonhallenensemble. Auch die beiden Jüngsten wählten künstlerische Berufe: Eugen betätigte sich als Buchillustrator und Maler, Kurt als Dramatiker und Regisseur – er hat es mit seinen Filmen zur grössten Bekanntheit gebracht. Einzig Walter, der Zweitälteste, scherte aus und wurde Zahntechniker.
Enge Zusammenarbeit
Wichtig für die künstlerische Entwicklung der Frühs war der Umzug nach Zürich. Eugen trat in die Grafikklasse der Kunstgewerbeschule ein, während Kurt über die Arbeit in einer marxistischen Gruppe zur linken Volksbühne kam, für die er 1933, also mit erst achtzehn Jahren, eine politische Silvesterrevue inszenierte. «In einer Nummer wurde die Rede eines faschistischen Führers parodiert, das Finale bot eine Tell-Parodie, mit Gessler als SA-Führer», schreibt der Theaterspezialist Peter Müller in seinem Buchbeitrag.
Mit Kurt Frühs schon viel behandeltem filmischem Œuvre befasst sich Müller nur am Rande, dafür recherchierte er umso intensiver über dessen dramatisches Schaffen. Er fand viel Quellenmaterial über die Volksbühne, ihre verschiedenen Ausrichtungen und politischen Flügelkämpfe. Und er entdeckte dabei auch, wie oft die drei Brüder für die Bühne zusammenspannten. So übernahm Huldreich nicht selten den musikalischen Part in den Inszenierungen seines jüngsten Bruders, komponierte die Songs für dessen Revuen und sass während der Vorstellungen selbst am Klavier. Eugen hatte inzwischen, gerade mal zwanzig Jahre alt, seine Studienkollegin Erna Yoshida Blenk geheiratet und war mit ihr ins Tessin gezogen – nahm aber weiterhin regen Anteil an den Projekten seiner Brüder Kurt und Huldreich in Zürich.
Ein verdrossener Bert Brecht
Auch Eugen selbst hinterliess im Zürcher Theaterleben Spuren: 1933 malte er Bühnenbilder für Erika Manns legendäres Exilkabarett Die Pfeffermühle, an dem auch Kurt mitwirkte. Und 1935 gestaltete er die Kulissen für den «Gestiefelten Kater» des Zürcher Marionettentheaters an der Kunstgewerbeschule, zu dem wiederum Bruder Huldreich die Bühnenmusik beisteuerte.
Während Kurt in den vierziger Jahren begann, für die «Wochenschau» zu arbeiten und sich dadurch mehr und mehr dem Film zuwandte, blieben seine Brüder nach wie vor fürs Theater tätig. Eugen gestaltete, als willkommene Nebentätigkeit, den Umschlag für den Saisonprospekt 1954/55 des Stadttheaters (des heutigen Opernhauses) und steuerte gelegentlich Theaterzeichnungen für die Premierenberichte der «Neuen Zürcher Zeitung» bei. Wichtiger waren in dieser Zeit Aufträge für Wandbilder, so zum Beispiel für Max Frischs Letzigraben-Bad. Huldreich indessen war, kurz vor seinem frühen Tod 1945, auf einem Karrierehöhepunkt angelangt: 1943 komponierte er die Musik zur Zürcher Uraufführung von Bertolt Brechts «Der gute Mensch von Sezuan». Der berühmte Autor dürfte in seinem kalifornischen Exil kaum Notiz davon genommen haben, schreibt Müller und weiss dafür von einem verblüffenden Parallelfall zu berichten: Paul Burkhard, damals musikalischer Leiter am Schauspielhaus, hatte 1941 die Musik zur Uraufführung der «Mutter Courage» geschrieben und wollte nicht stillschweigend akzeptieren, dass seine Musik auf Geheiss von Brecht mit Kompositionen von Paul Dessau ausgetauscht wurde. Als Brecht nach dem Krieg in der Schweiz weilte, lud Burkhard ihn an eine seiner Partys ein, um ihm die Zürcher Version der «Mutter Courage» vorzuspielen. Zur Einstimmung spielte er eigene Hits, darunter «O mein Papa»; Brecht reagierte sichtlich verdrossen, wie Müller in den Schriften von Zeitzeugen recherchiert hat.
Eugen wurde 1967 mit dem Kunstpreis des Kantons Zürich ausgezeichnet und hatte mit dem Theater inzwischen nicht mehr viel zu tun. Doch die Familientradition sollte weitergehen: Als Kurt Früh, mittlerweile erfolgreicher Filmregisseur, 1968 für ein kurzes Intermezzo zum Theater zurückkehrte – er inszenierte am Neumarkt die Uraufführung von Adolf Muschgs «Rumpelstilz» –, schickte sich bereits die nächste Generation der Familie an, Theatererfahrung zu sammeln. Seine jüngere Tochter Jessica Früh war zwölf Jahre alt, als sie am Schauspielhaus in Frischs «Biografie» mitwirkte. Vater Kurt hatte seinerzeit mit seinen blonden Locken als Kinderstar im St. Galler Stadttheater eine Prinzessin gespielt. Dreissig Jahre später war es für Jessica und ihre ältere Schwester Katja Früh eine Selbstverständlichkeit, Schauspielerinnen zu werden. Eine veritable Theaterdynastie also, auch wenn Katja später ins Autorenfach wechselte und Jessica Psychiatrieschwester wurde; mit Katjas Tochter Lisa Bärenbold ist bereits die nächste Generation schauspielerisch tätig.
Genossenschaften als Kunstförderer
Nebenbei ist im Buch über die Brüder Früh auch einiges über die innovativen Jahre der Kunstgewerbeschule zu erfahren. Und dass Eugen Früh nicht allzu hart in der Berufswelt landete: Er fand Arbeit als Buchillustrator und als Fassadenkünstler im gemeinnützigen Wohnungsbau. Nicht nur verschiedene Ämter, auch zahlreiche Genossenschaften schrieben während der Krisenjahre immer wieder Wettbewerbe für Kunst am Bau aus, um so einen Beitrag zur Arbeitsbeschaffung für junge Kunstschaffende zu leisten.
Matthias Fischer hat in seinem Buchbeitrag eine erstaunliche Anzahl solcher Arbeiten von Eugen Früh zusammengetragen und dokumentiert. Thomas Burla zeigt in seiner Fotoreportage, was davon überlebt hat – an den Häusern der Familienheim-Genossenschaft zum Beispiel, erbaut 1945 auf dem Friesenberg in Zürich: symbolische Darstellungen von Werten wie Zusammenleben mehrerer Generationen, Nachbarschaftshilfe und Gartenarbeit. Solche Siedlungen sind in jüngster Zeit einige verschwunden.
Von Kurt Früh sind im laufenden Xenix-Open-Air-Programm mit «Dialäktfilm-Klassikern» noch zwei Filme zu sehen, diesen Samstag, den 9. August, der unverwüstliche «Dällebach Kari» und am folgenden Freitag, dem 15. August, sein letzter Film: «Der Fall» aus dem Jahr 1972, ein Milieukrimi, der die versöhnliche Kleinbürgerromantik weit hinter sich gelassen hat.
«Eugen Früh und seine Brüder. Auf den Spuren einer Künstlerfamilie in Zürich». Mit Beiträgen von Thomas Burla, Matthias Fischer, Werner Morlang, Peter Müller, Lukas Näf und Dominik Sackmann. Scheidegger & Spiess. Zürich 2014. 184 Seiten mit über 150, grösstenteils farbigen Abbildungen. 49 Franken.