USA: Der Feind ist jung und schwarz

Nr. 34 –

Den Einsatz der Nationalgarde in der Kleinstadt Ferguson hätte es nun wirklich nicht auch noch gebraucht, um das Offensichtliche aufzuzeigen: Die US-Behörden führen seit langem einen Krieg gegen einen Teil der Bevölkerung. Dabei ist Ferguson nur einer von vielen Schauplätzen dieses Kriegs.

In die Schlagzeilen ist die Vorstadt am Rande der Metropole St. Louis am 10. August 2014 geraten. Der achtzehnjährige unbewaffnete Schwarze Michael Brown war in der Nacht zuvor von einem weissen Polizisten mit sechs Schüssen niedergestreckt worden. Er ging mit einem Bekannten in der Mitte einer Autostrasse, anstatt das Trottoir zu benutzen. Die genauen Umstände der Schüsse werden derzeit unter anderem vom FBI untersucht.

Der Fall erinnert an ähnliche Vorfälle. Etwa an die Tötung von Eric Garner im US-Bundesstaat New York am 17. Juli 2014. Der ebenfalls unbewaffnete schwarze Asthmatiker wurde bei einer aus nichtigem Grund vorgenommenen Verhaftung dermassen gewürgt, dass er erstickte. Das Malcolm X Grassroots Movement hat in einer Studie errechnet, dass 2012 alle 28 Stunden eine Afroamerikanerin oder ein Afroamerikaner von staatlichen oder privaten Polizeikräften oder auch von Bürgerwehren getötet wurde.

Die Polizei hat seit langem alle Freiheit, um den «war on crime» und «war on drugs» zu führen – Begriffe, die bereits US-Präsident Richard Nixon Anfang der siebziger Jahre prägte. Die jungen afroamerikanischen Männer in den Armenvierteln der Metropolen sind dabei die hauptsächlichen Kriegsgegner. Gegen sie richten sich die Polizeikontrollen und Schikanen besonders. Diese Bevölkerungsschicht wird systematisch überwacht, kriminalisiert und schon bei Bagatelldelikten in Gefängnisse weggesteckt.

Dieser innere Krieg hat die USA zum Land mit den prozentual meisten Gefangenen gemacht. Jeder neunte schwarze, junge Mann sitzt derzeit im Gefängnis. Sechzig Prozent aller Afroamerikaner, die die Highschool nicht abschliessen, landen mindestens einmal im Knast, bevor sie 35 Jahre alt sind. Dabei scheint die Politik nicht daran interessiert, dies zu ändern. Wer eine Straftat begangen hat, muss in vielen Bundesstaaten auch nach seiner Strafverbüssung mit Schikanen rechnen, etwa mit dem Ausschluss von staatlichen Förderprogrammen und Wohnhilfen, was eine sogenannte Resozialisierung verunmöglicht.

Die Art und Weise, wie der Staat auf die Proteste gegen die Tötung von Michael Brown reagiert, zeigt, dass diese Kriegslogik tief in der US-Politik verankert ist. Der Einsatz von gepanzerten Militärfahrzeugen vom Typ Bear Cat, auf denen Polizisten in Tarnanzügen als Scharfschützen posierten, machte in den ersten Tagen der Proteste deutlich, dass man die lokale Bevölkerung ähnlich einzuschüchtern gedenkt wie diejenige in Bagdad und Kabul.

Die kurzzeitigen Deeskalationsschritte von Missouris demokratischem Gouverneur Jay Nixon scheinen taktischer Natur gewesen zu sein. Er übertrug nach mehreren harten Einsätzen der Polizei die Einsatzleitung dem Chef der Highway Patrol, Ronald Johnson, einem Afroamerikaner, der in der Gegend aufgewachsen ist. Dieser versprach mehr Zurückhaltung, liess jedoch schon bald wieder mit Tränengas schiessen. Und Nixon beorderte schliesslich – nachdem eine nächtliche Ausgangssperre nicht eingehalten worden war – die Nationalgarde in die Stadt, eine Truppe, die auch schon in Afghanistan und im Irak kämpfte.

Die Soziologin Alice Goffman hat mehrere Jahre lang schwarze Jugendliche in einer Armensiedlung Philadelphias begleitet. Sie beschreibt im Buch «On the Run» das Lebensgefühl dieser Jugendlichen, ständig auf der Flucht zu sein. Die Polizeikontrollen strukturierten nicht nur ihren Alltag, sondern den ganzer Nachbarschaften. Die Polizei werde als Besatzungsmacht wahrgenommen, die jeden jungen Mann aufmischt, der ihren Weg kreuzt.

Es scheint, als ob dieser Zustand von der Politik bewusst aufrechterhalten wird, um den Sozialstaat nicht ausbauen zu müssen. Junge AfroamerikanerInnen – mit eigenem Slang und eigener Kultur – aus ghettoähnlichen Siedlungen eignen sich ideal als Feind- und Angstbild, speziell für die zunehmend vom Abstieg bedrohte Mittelschicht. Solidarität und die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen werden so verhindert.