Mehrwertsteuer: Dem hat der Lehrling nicht zugestimmt
Im September wird entschieden, ob die Gastronomie weniger Mehrwertsteuern zahlen soll. Die Kampagnenführung wirft kritische Fragen auf. Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer nahm zuerst Stellung, zog dann aber alle Zitate zurück.
Der Büezer zahle für sein Essen im Restaurant weit mehr Mehrwertsteuern als der Reiche für seinen Kaviar vom Partyservice – «Finden Sie das auch ungerecht?», fragt der Verband Gastrosuisse in der Abstimmungskampagne für die Initiative «Schluss mit der Mehrwertsteuer-Diskriminierung des Gastgewerbes!». Der Mehrwertsteuersatz in Restaurants soll von 8 auf 2,5 Prozent gesenkt werden – also auf den Satz, der heute auf Lebensmittel und Take-away-Mahlzeiten entrichtet wird.
Die Kampagne läuft unter dem Slogan «Schluss mit der Bratwurst-Diskriminierung!» und wird getragen von WirtInnen und Gastrounternehmen, aber auch von Lehrlingen, Serviceangestellten und KöchInnen. Noch vor zwei Wochen waren auf der Kampagnenwebsite unter der Rubrik «Komitee Mitarbeitende» 124 Personen aufgelistet. Mehrere dieser Personen haben aber gar nicht gewusst, dass sie namentlich aufgeführt wurden.
Eine der erwähnten Personen erinnert sich, wie ein Anmeldeformular in ihrem Betrieb «rumgegangen» sei. Sie ist sich jedoch sicher, dass dieses Formular nie bei ihr in der Küche gelandet sei und sie auch nichts unterschrieben habe. Ein weiterer aufgeführter Lehrling meint: «Davon habe ich nichts mitbekommen.»
Liste von Website entfernt
Möglich ist, dass WirtInnen ihre Belegschaft ohne deren Wissen angemeldet haben. Das Anmeldeformular, das in der Gastroszene breit verteilt wurde, verlangte keine Unterschrift. Kurz nachdem die WOZ zu recherchieren begann, wurde die Liste von der Website entfernt und ist bis heute nicht wieder aufgeschaltet.
Die WOZ wollte von Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer eine Erklärung. Am Telefon gab er zuerst bereitwillig Auskunft. Als er aber seine Aussagen autorisieren sollte, zog er sämtliche Zitate zurück – auch solche, die nicht die Liste, sondern den Inhalt der Initiative betreffen. In einer E-Mail liess er verlauten: «Ich sage das Interview mit der WOZ ab und gebe Ihnen keine Erlaubnis, meine Zitate abzudrucken. An einer einseitigen und subjektiven Berichterstattung nehme ich nicht teil.» Ab diesem Zeitpunkt wurde nur noch per Anwalt kommuniziert.
Es ist unklar, weshalb sich Platzer dermassen kapriziert. In seinen zurückgezogenen Zitaten hatte er nichts wirklich Aufsehenerregendes gesagt.
Noch ist über ihn nicht sonderlich viel bekannt, da er den Gastroverband erst seit gut einem Monat präsidiert. Er führt in Kandersteg mit seiner Frau ein geerbtes Hotel, war früher Präsident von Gastrobern und stand dem Hotelier-Verein Berner Oberland vor.
Die Initiative hatte noch Platzers Vorgänger Klaus Künzli aufgegleist, der den Verband zwölf Jahre leitete.
Laut Schätzung der «Basler Zeitung» hat der Verband ein Kampagnenbudget von zwei bis drei Millionen Franken zur Verfügung. Vierzehn Kampagnenfahrzeuge versorgen in den nächsten Wochen Gastrounternehmen mit Werbematerial.
Der Streit um den tieferen Mehrwertsteuersatz ist nicht neu. Der tiefere Satz von 2,5 Prozent wurde 1995 aus sozialen Überlegungen eingeführt. Er soll dafür sorgen, dass Menschen mit kleinem Budget proportional weniger für lebensnotwendige Produkte ausgeben. Dazu zählen alkoholfreie Getränke, Medikamente, Bücher, Zeitungen, landwirtschaftliche Waren wie Dünger und Futtermittel sowie Nahrungsmittel. Im Restaurant werden zusätzlich Dienstleistungen und Inventar zur Verfügung gestellt, so die offizielle Begründung des Bunds, weshalb dort bislang der höhere Satz von acht Prozent gilt.
Das Problem sei, so argumentiert Gastrosuisse, dass Take-aways vom tiefen Mehrwertsteuersatz profitierten: Eine Bratwurst sei aber eine Bratwurst, egal wo man diese kauft – die Diskriminierung der Restaurants sei nicht gerechtfertigt. Die Ungleichheit der Bratwurstpreise ist tatsächlich nicht nachvollziehbar, doch ist eine Abgrenzung nicht ganz einfach. Wo fängt Take-away an, und wo hört er auf? Das Parlament hat keine Lösung gefunden. Eine Abgrenzung zwischen kalten und warmen Lebensmitteln hielt es für nicht umsetzbar – gleichzeitig lehnte es einen einheitlichen Steuersatz ab.
Wird die Initiative angenommen, gehen – laut Eidgenössischem Finanzdepartement – 750 Millionen Franken Steuereinnahmen verloren. Um die Ausfälle zu kompensieren, müsste der Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel auf 3,8 Prozent erhöht werden, wie Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf vorrechnete.
Das ist mit ein Grund, weshalb die Linke gegen die Gastroinitiative ist. Thomas Zimmermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund warnt: «Es darf nicht zu höheren Lebensmittelpreisen kommen, noch darf es Steuerausfälle geben.» Sonst würden die schwachen Haushalte die Zeche direkt bezahlen, oder die Steuerausfälle müssten über Sparrunden und Sozialabbau ausgeglichen werden, was auch wieder die Allgemeinheit treffe.
Preise sinken nicht zwingend
Das Nein-Komitee, dem unter anderen die IG Detailhandel, der Bauernverband und die Stiftung für Konsumentenschutz angehören, verfügt über ein Kampagnenbudget von lediglich 650 000 Franken. Trotzdem ist Valentin Schmidt, der die Nein-Kampagne organisiert, zuversichtlich: «Wir haben die besseren Argumente. Glücklicherweise lassen sich Abstimmungen nicht kaufen. Die Bevölkerung hat ein gutes Gespür, was gerecht und was fair ist.»
Ob die RestaurantbesucherInnen von der Senkung des Mehrwertsteuersatzes überhaupt profitieren würden, ist allerdings unklar. Im Initiativtext hat das Komitee darauf verzichtet, eine obligatorische Weitergabe der Steuerersparnisse an die KundInnen festzuschreiben. Ein Blick ins Ausland lässt nichts Gutes hoffen: In Frankreich wurde 2009 die Mehrwertsteuer für Hotels und Gaststätten von 19,6 auf 5,5 Prozent gesenkt. Die tatsächlichen Preise in den Gaststätten sanken jedoch nur um 2,5 Prozent.