Kost und Logis: Jetzt spricht Herr Platzer
Ruth Wysseier weiss, was der Gastrosuisse-Präsident zu sagen hätte
Liebe Leserin, lieber Leser. Bitte entschuldigen Sie, dass ich neulich der WOZ ein Interview verweigerte. Erst seit Kurzem im Amt als Gastrosuisse-Präsident, bin ich etwas überfordert mit der «Bratwurstkampagne», mit der wir tiefere Mehrwertsteuern für unser Gewerbe verlangen. Doch heute will ich Ihnen erklären, weshalb wir auf Ihre Sympathie angewiesen sind.
Unsere Branche mit ihren gut 200 000 Arbeitsplätzen kämpft mit sinkenden Umsätzen und tiefen Margen. Sie leidet unter der rasanten Deregulierung und ist damit ein Spiegel der Gesellschaft; nicht alle Probleme sind hausgemacht. Schauen wir einige genauer an:
Ja, die Löhne sind zu niedrig. Der Service, den wir bieten, lässt sich nicht beliebig rationalisieren, und er ist finanziell tief bewertet. Die Kundschaft zahlt dafür weniger als für Dienstleistungen anderer Branchen. Da haben wir ein ähnliches Problem wie in den Pflegeberufen. Hier wie dort arbeiten mehrheitlich Frauen und MigrantInnen. Wir alle wissen, dass diese nicht minderwertige Arbeit leisten, sondern dass es sich dabei um eine historisch gewachsene Diskriminierung handelt. Ein Missstand, den wir gemeinsam mit Ihnen und den Gewerkschaften verbessern wollen.
Ja, das Gastgewerbe hat die tiefste Durchschnittsbildung aller Branchen. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten bringt keine Berufsausbildung mit. Doch mit dem Gesamtarbeitsvertrag wurden die Weiterbildungsmöglichkeiten verbessert. Und wer im Gastgewerbe eine Ausbildung macht, nutzt dies oft als Sprungbrett in andere Berufe. Umgekehrt arbeiten bei uns auch viele QuereinsteigerInnen, die einen anderen Beruf erlernt haben, sich aber im Gastgewerbe selbstständig machen wollen.
Ja, unsere Branche hat eine hohe Arbeitslosigkeit und eine grosse Fluktuation. Gründe dafür: die Saisonbetriebe in Tourismusgebieten, unattraktive Arbeitszeiten, dazu ungenügende Qualifizierung und mangelnde Sprachkenntnisse. Deswegen verlieren überdurchschnittlich viele Angestellte die Stelle und gelten statistisch als Arbeitslose des Gastgewerbes. Doch rund ein Viertel von ihnen arbeitet weniger als ein Jahr in der Branche; häufig haben diese Personen kaum Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt.
Dafür ist die Branche überaus durchlässig und «bietet vielen Arbeitnehmenden ohne spezifische Kenntnisse und mit geringen Beschäftigungschancen in anderen Branchen eine Arbeitsgelegenheit». Das attestiert uns die Gewerkschaft Unia in ihrer Publikation «Die Perspektiven im Gastgewerbe», der ich meine Ausführungen entnommen habe.
Liebe Leserin, lieber Leser, das Gastgewerbe hat wichtige gesellschaftliche Funktionen: als Auffangbecken, Integrationslabor, Theatersäli, Stammtisch und Laufsteg. Ob mit Bratwurst oder vegan, häbet bitte Sorg zuenim! – Ihr Casimir Platzer, Hotelier aus Kandersteg
Ghostwriterin Ruth Wysseier kommt aus dem Gastgewerbe und freut sich über Schweizer Medaillen an der Berufs-WM. Sie dankt Andi Rieger und Mauro Moretto von der Unia für ihre ausgezeichnete Branchenanalyse.