Polizeigewalt in Schweden: «Das Schlimmste war die Stille»

Nr. 36 –

Mehrere DemonstrantInnen gegen die rechtsradikale «Partei der Schweden» sind in Malmö von der Polizei teils schwer verletzt worden. Der Filmregisseur Lukas Moodysson («Fucking Amal», «Tillsammans») war dabei. Ein Augenzeugenbericht.

Ich habe nie zuvor in meinem Leben einen solchen Mangel an Empathie erlebt, einen solchen Mangel an Mitleid und einen solchen Mangel an Kommunikation.

Und das alles vonseiten der Polizei.

Es ist möglich, dass sich bei der Kundgebung gewisse GegendemonstrantInnen gewaltsam verhielten. Aber ich selber habe nichts dergleichen gesehen. Was ich allerdings gesehen habe: Polizisten, die auf Pferden mitten durch eine friedlich demonstrierende Menschenmenge galoppiert sind.

Ich weiss nicht, ob es aus polizeilicher Sicht nötig war, mit solch brutaler Gewalt einzuschreiten. Was ich aber weiss, ist, was kurz darauf passierte:

Vor mir wurden zwei verwundete junge Männer auf den Boden gelegt. Einer der beiden blutete. Beide Männer lagen bewusstlos am Boden. In unmittelbarer Nähe befanden sich unzählige PolizistInnen, in einem Radius von fünf Metern schätzungsweise zwanzig bis dreissig von ihnen.

Es bestand in jenem Moment keinerlei Bedrohung gegen die PolizistInnen. Es gab viele wütende DemonstrantInnen, aber keine Ansätze für Gewalt. Keine Waffen, keine Schlagstöcke. Ich sah um mich herum keine einzige vermummte Person.

Die Verletzten lagen direkt neben einem Polizeibus, und dennoch versuchte keiner der PolizistInnen, den Verletzten irgendwie zu helfen. Die BeamtInnen standen einfach daneben und schauten zu. Auch als immer mehr Menschen nach einem Krankenwagen riefen und um Nothelfer bettelten, tat keiner etwas.

Niemand von der Polizei antwortete. Ich versuchte, Kontakt mit einem Polizisten aufzunehmen. Ich fragte ihn: Ist eine Ambulanz unterwegs? Er starrte mir direkt in die Augen. Es war ein unheimlicher Augenblick. Der Polizist sagte kein Wort. Er ging einfach weiter, weg von den Verletzten. Er ging ruhig, ohne Panik, ohne Angst. Es war offensichtlich: Die Polizei hatte die Lage unter Kontrolle.

Eine junge Frau schrie etwas in Richtung eines Polizisten, der neben einem der am Boden liegenden Verletzten stand. Es waren wütende Worte, aber keine gewalttätigen. Es waren Worte wie: «Seid ihr eigentlich verrückt geworden, was tut ihr hier eigentlich?»

Als Antwort schlug ihr der Polizist seinen Schutzschild mitten ins Gesicht. Ohne Worte und ohne Vorwarnung. Ein Schild mitten ins Gesicht einer unbewaffneten, unvermummten Frau.

Die Gewalt war aber nicht das Schlimmste an diesem Tag. Das Schlimmste war die Unnahbarkeit. Das Schweigen. Die Stille. Die ganze Zeit über sagte keineR der PolizistInnen auch nur ein einziges Wort.

Ich bin bei keiner politischen Organisation Mitglied, und ich repräsentiere nur mich selbst. Ich war auf dem Platz vor allem aus Neugier. Ich hielt kein Transparent in die Höhe, ich rief kein einziges Schlagwort, ich hielt mich weit weg von den vermummten DemonstrantInnen auf. Ich verabscheue jegliche Formen von Extremismus. Ich glaube an die Demokratie und an die Meinungsfreiheit. Ich verabscheue die «Partei der Schweden», aber ich will ihr nicht ihr Recht auf freie Meinungsäusserung streitig machen. Ich glaube an den Dialog und an Offenheit.

Aber wie zum Teufel soll man mit jemandem reden können, der nicht antwortet?

Wie soll man mit jemandem reden, der einem einen Schild ins Gesicht schlägt? Wie soll man mit jemandem reden können, dem es offensichtlich egal ist, ob man lebt oder ob man stirbt? Warum haben sich diese Polizisten wie Monster verhalten? Es tut mir leid, aber ich finde kein besseres Wort. Ich sage nicht, dass PolizistInnen Monster sind, aber ich sage, dass sie sich wie Monster verhalten haben. Sie benahmen sich abweisend, unmenschlich und roboterhaft.

Warum haben die BeamtInnen keine einzige Frage beantwortet? Warum kam von diesem Polizisten keine Warnung, bevor er die Frau ins Gesicht schlug? Warum war keiner da, der sagte: «Beruhigt euch, ein Krankenwagen ist unterwegs!»? Warum setzte sich kein Polizist hin, um nach den Verletzten zu sehen? Hat die Polizei überhaupt einen Krankenwagen gerufen?

Es standen mehrere Ambulanzen in der Nähe, ich selber habe sie gesehen, und eigentlich hätte es nicht mehr als zwei Minuten gedauert, bei den Verletzten zu sein. Aber in den zehn bis fünfzehn Minuten, in denen ich dort war, kam kein Notarzt.

Am Ende war die Stimmung auf dem Platz so unheimlich, dass ich mich nicht mehr traute, länger zu bleiben. Ich ging. Ich hatte Angst um meine eigene Sicherheit. Wovor ich Angst hatte? Vor der Polizei. Vor der Gewalt der Polizei. Ich hatte Angst, dass ich auf meine Frage, wo der verdammte Krankenwagen blieb, als Antwort einen Schlagstock ins Gesicht kriegen würde.

Ich hasse die Polizei nicht. Ich werde traurig, wenn junge Menschen schlecht über die Polizei reden und sagen, dass sie kein Vertrauen in sie haben. Ich bin 45 Jahre alt, und mein Weltbild ist nicht mehr so schwarz-weiss wie früher.

Aber neben mir auf diesem Platz in Malmö stand ein jugendlicher Typ. Er beschimpfte eine Gruppe Polizisten, die über ihm auf einem Container standen. Der Junge hatte soeben die gleichen Dinge gesehen wie ich, womöglich noch mehr. Der Jugendliche sah nicht aus wie ein typischer militanter Linksaktivist. Er sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Junge. Keine schwarzen Kleider, keine Vermummung. Ich frage mich: Wie nur wird die schwedische Polizei jemals wieder das Vertrauen dieses Jungen gewinnen?

Und ich? Wie soll ich mit der Tatsache umgehen, dass ich gesehen habe, wie ein Polizist einen meiner Mitmenschen vollkommen unprovoziert schlug? Traue ich mich, den Polizisten anzuzeigen?

Nein.

So ängstlich bin ich also geworden nach allem, was ich an diesem Tag gesehen und erlebt habe.

Dieser Text ist zuerst in der schwedischen Tageszeitung «Sydsvenskan» erschienen. Übersetzung aus dem Schwedischen von Maria Birnbaum und Gabriel Vetter.

Lukas Moodysson

Der schwedische Filmregisseur Lukas Moodysson (45) gilt als das Wunderkind des schwedischen Kinos. In Filmen wie «Fucking Amal» (1998), «Tillsammans» (2000) oder «Lilya 4-ever!» (2002) zeigte er sein Gespür für existenzielle Geschichten, in denen sich der politische und soziale Alltag Schwedens spiegelt. Sein jüngster Film, «We Are the Best» (2013), startet am 16. Oktober 2014 in den Schweizer Kinos.

Moodyssons Bericht über die Vorfälle vom 23. August 2014 wurde zum Anstoss für eine weitreichende Debatte über das ungewohnt gespannte Verhältnis zwischen dem schwedischen Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern. Moodysson hält fest, dass es sich bei seinem Text um einen subjektiven Augenzeugenbericht handelt und dass andere Zeugen auch von gewalttätigen Aktivisten berichteten.

Schweden vor den Wahlen : Auf dem rechten Auge blind

Am 23. August 2014 veranstaltete die rechtsradikale «Partei der Schweden» in Malmö eine Kundgebung, um für die bevorstehenden Parlamentswahlen zu werben. Bei Aktionen der berittenen Polizei wurden dabei mehrere DemonstrantInnen, die gegen den Aufmarsch von rechts protestierten, teils schwer verletzt. Ein Teilnehmer der Protestdemo wurde von einem Polizeibus überrollt.

Am 30. August ist es erneut zu Ausschreitungen gekommen, diesmal in Stockholm, wo über 11 000 DemonstrantInnen gegen eine Kundgebung der «Partei der Schweden» protestierten. Zudem wurde noch vor Beginn der Gegendemonstration ein Jugendzentrum im Süden der Stadt gestürmt. In den letzten zwei Jahren war es vermehrt zu Zusammenstössen zwischen der Polizei und Jugendlichen aus den Vorstädten von Malmö und Stockholm gekommen.

Am 14. September wird in Schweden gewählt. Nach achtjähriger Mitte-rechts-Regierung der Koalition unter der Moderaten Partei zeichnet sich ein Erfolg der links-grünen Koalition der Sozialdemokraten ab. Die Moderaten sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit Steuersenkungen, Privatisierungen staatlicher Institutionen und Budgetkürzungen im Gesundheitsbereich und Bildungswesen die Grundwerte des schwedischen Wohlfahrtsstaats verletzt zu haben. Während ihrer Amtszeit wurde beispielsweise die Alterspflege vermehrt dem Spardruck des privatisierten Markts ausgesetzt, während das Polizeikorps um mehrere Tausend Beamte aufgestockt wurde.

Gabriel Vetter