Frankreich: Marine Le Pen darf sich freuen
Frankreichs wirtschaftsliberaler Regierungschef aus den Reihen der SozialistInnen wurde knapp bestätigt. Aber Sieger sehen anders aus.
Am Dienstagabend votierte die französische Nationalversammlung mit 269 zu 244 Stimmen knapp für Premierminister Manuel Valls. Dass er die Vertrauensabstimmung für sein zweites Kabinett gewinnen würde, war abzusehen. Trotz massiven Drucks ihrer Parteivorderen des Parti Socialiste (PS) – sie drohten unter anderem damit, dass alle, die bei der Abstimmung ausscherten, die Fraktion verlassen müssten – haben sich 32 PS-Abgeordnete ihrer Stimme enthalten. Und auch 17 von 18 grünen Abgeordneten übten Stimmabstinenz. Sie alle drückten damit ihren Unmut über den von Valls verfolgten Sparkurs und die Austeritätspolitik der Regierung aus.
Im Vorfeld der Abstimmung stand der Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon vehement dafür ein, mit Nein zu stimmen. Stimmenthaltung sei eine inkonsequente Haltung für sozialistische Abgeordnete, die sich vom wirtschafts- und sozialpolitischen Rechtskurs ihrer Parteiführung und des Kabinetts von Valls absetzen möchten. So gab es seitens der parlamentarischen Linken neben den Enthaltungen überwiegend Nein-Stimmen. Erstmals seit 1962 erhielt ein Premier nur eine relative und nicht eine absolute Mehrheit. Das kommt nicht von ungefähr.
Geballte Fäuste
Seit die Regierung Ende August umgebildet worden war, um mehrere Abweichler auszuschliessen – allen voran Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Schulminister Benoît Hamon –, gab es ein Feuerwerk von primär wirtschaftspolitischen Ankündigungen. Der neue, erst 36-jährige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, ein früherer Banker und Millionär, feierte seinen Einstand mit einem Angriff auf die im Jahr 2000 eingeführte Arbeitszeitverkürzung. Er übernahm dadurch einen im vergangenen Jahrzehnt durch Wirtschaftsliberale ständig wiederholten Topos: Die Arbeitszeitbeschränkung sei «viel zu starr». Von «starr» kann aber kaum die Rede sein: Dieses Gesetz legt nur den Massstab für die reguläre Arbeitszeit im Jahreszyklus fest. Flexible wie auch stark variierende Arbeitszeiten innerhalb des Jahrs sind ebenso zugelassen wie Überstunden.
Kaum in seinem Amt bestätigt, verkündete der neue Arbeitsminister François Rebsamen Kontrollen der «zu Sozialbetrug neigenden Erwerbslosen»: Wer keine Anstrengungen zur Stellensuche nachweisen kann, dem oder der droht der vorübergehende Entzug der Leistungen aus der Arbeitslosenkasse. Zu den weiteren ersten Massnahmen des Kabinetts von Valls gehörte die Aufhebung einer Obergrenze für Mieten, die die bis im März amtierende grüne Wohnungsministerin Cécile Duflot eingeführt hatte. Mit ihr sollten bei Neuvermietungen die explodierenden Mietkosten eingedämmt werden. Valls erklärte sie zum Hindernis für den Wohnungsbau und setzt stattdessen auf Steuergeschenke für InvestorInnen, die Geld in den Bau stecken.
Da die Regierung noch weitere umstrittene Reformen angekündigt hat, dürfte sie auch in der eigenen Partei weiterhin auf Widerstand stossen: Nicht wenige ihrer Mitglieder ballen längst die Fäuste in den Taschen über die Politik von Valls. Viele PS-Abgeordneten stimmten am Dienstag nur deshalb nicht gegen ihn, weil sie Neuwahlen und damit den vorzeitigen Verlust ihrer Parlamentssitze befürchteten.
Stehende Ovationen
Zum Glück für Valls gibt es den Unternehmerverband Medef. Bei seiner Antrittsrede nach der Kabinettsumbildung proklamierte er seine «Liebe für die Unternehmen». Bei den VertreterInnen des Verbands erntete Valls stehende Ovationen. Diese Kumpanei ist in seiner eigenen Partei allerdings nicht von allen gerne gesehen – jedenfalls nicht in diesem Ausmass. Denn der Medef macht seinerseits mit Vorschlägen von sich reden, die es in sich haben. So will er etwa den gesetzlichen Mindestlohn aufbrechen, die Arbeitszeit heraufsetzen und mehrere gesetzliche Feiertage abschaffen. Regierung und Medef scheinen mit verteilten Rollen zu spielen: Der Unternehmerverband schreit immer lauter nach wirtschaftsliberalen Änderungen, was es der Regierung ermöglicht, sich selbst als gemässigt und «gegenüber den Sorgen der kleinen Leute verständnisvoll» zu präsentieren.
Bedenklich an der wachsenden Unpopularität der Regierung ist vor allem, dass vorwiegend die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen profitiert. Jüngste Umfragen zeigen, dass die sozialdemagogische Chefin des Front National derzeit in der ersten Runde einer Präsidentschaftswahl als stärkste Kandidatin in Führung läge – egal wer die übrigen BewerberInnen wären. Das sollte nicht nur die Linke in Frankreich beunruhigen.