Fussball und andere Randsportarten: Der Tag wird kommen

Nr. 38 –

Der beste Fussballsong seit langem.

Fussballsongs gibts ja zuhauf, und die Welt wird nicht unbedingt besser mit jeder mitgrölbaren Melodie, die sich zu diesem Kanon gesellt. Was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass Fussballsongs ja auch mitgegrölt werden sollen, sonst finden sie ja kaum ihren Weg in die Stadien – das schränkt die Möglichkeiten etwas ein. Und ja, in diesem Zusammenhang darf man durchaus bemerken, dass es kaum überrascht, dass die Dreiakkordpunkmusik im gleichen Land erfunden wurde wie der Fussball. Aber das ist eine andere Geschichte.

Marcus Wiebusch, Sänger der Hamburger Bands But Alive und Kettcar, selbst ein passionierter Fussballfan und seit Urzeiten Saisonkartenbesitzer bei St. Pauli, hat einen anderen Weg eingeschlagen. Mit «Der Tag wird kommen» hat er einen Song über Fussball geschrieben, der sich zwar von der Energie und dem Pathos, der darin steckt, durchaus anbieten würde, in jedem Stadion des deutschsprachigen Raums gesungen zu werden. Doch ist der Text des Songs bereits länger als diese Kolumne, was die meisten Fans wohl etwas überfordern würde. Von der Thematik einmal ganz abgesehen.

Marcus Wiebusch erzählt in sieben Minuten die (fiktive) Geschichte eines schwulen Fussballers, der sich in seinem Freundeskreis outet, kurz bevor er in der Bundesliga den Durchbruch schafft, und trotz des Zuspruchs seiner Freunde («Eine Gang, ein Team, ein You’ll never walk alone») gezwungen ist, ein Doppelleben zu führen, denn: «Kein Verein will den Rummel, kein Team den Alarm» und «Du bist dann der Erste, der Homo, der Freak». Obwohl ihn seine Freunde zu überzeugen versuchen, dass sich die Zeiten ändern, dass farbige Spieler auch nicht mehr mit Bananen in den Stadien beworfen werden, das sei «Fortschritt, Veränderung, wir sind auf dem Weg / Aussenminister, Popstars, Rugbyspieler zeigen, dass es geht», kommt der Spieler zum Schluss: «Ja, es wird besser und der Tag ist in Sicht. Einer wird es schaffen, aber ich bin es nicht.»

Der Song endet mit einer Kampfansage des Erzählers an all jene, die es heute noch unmöglich machen, sich im Fussball zu outen: «All ihr homophoben Vollidioten, all ihr dummen Hater / All ihr Forums-Vollschreiber, all ihr Schreibtischtäter / All ihr miesen Kleingeister mit Wachstumsschmerzen / All ihr Bibel-Zitierer mit eurem Hass im Herzen / All ihr Funktionäre mit dem gemeinsamen Nenner / All ihr harten Herdentiere, all ihr echten Männer / Kommt zusammen und bildet eine Front / Und dann seht zu, was kommt.»

Das ist eindringlich und geht unter die Haut. Ist es ein wenig alttestamentarisch, den Schwulenhassern dieser Welt mit Gewalt zu drohen? Vielleicht. Ist es pathetisch? O ja. Aber die Tatsache, dass heute noch schwule Fussballprofis um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie sich outen, rechtfertigt die Geste.

Zum Song gibt es einen Videoclip, einen neunminütigen Kurzfilm, den Marcus Wiebusch via Crowdfunding finanziert hat – mit Unterstützung zahlreicher Fankurven der deutschen Bundesliga: Die «Kampfansage» wird denn auch untermalt mit Aufnahmen von Augsburg-, Nürnberg-, Hamburg-, Schalke-, Bayern-München- und natürlich auch St.-Pauli-Fans, die den Text mitsprechen.

Allen gefiel das dann doch nicht. Ausgerechnet die deutsche Kulturzeitschrift «Spex» (so was wie das «Du» für Popkultur) schrieb: «Ein plattitüdenreicher und bieder moralisierender Text im Sinne von ‹Wir gegen die Doofen›.» Dies brachte dem Magazin einen virtuellen Shitstorm ein, der zuletzt den Chefredaktor dazu zwang, sich öffentlich zu entschuldigen: Es sei «falsch, dass ausgerechnet ein emanzipatorisches, linkes Magazin wie ‹Spex› dem Thema nicht angemessener begegnet ist». Dass diese Entschuldigung ausgerechnet via Kommentarspalten und Zuschriften aus den Fankurven erreicht wurde, lässt hoffen, dass Wiebusch vielleicht noch recht behalten wird.

Den Clip zum Song findet man auf 
www.marcuswiebusch.de. 
Etrit Hasler empfiehlt: Anschauen, Pathos geniessen und dem nächsten homophoben Kommentar entgegenschleudern: «Jeder liebt den, den er will, und der Rest bleibt still.»