Wortgeschichten: Hochoffiziell: definitiv schweizerisch

Nr. 38 –

Im 21. Jahrhundert ist das «Schweizerische» definitiv zum parteiübergreifenden Kampfbegriff geworden. Im Oktober 2001 titelte die NZZ: «Schweizer Kunstturner ganz unschweizerisch». Im Untertitel erfährt man, dass die «Kunstturner» eigentlich Kunstturnerinnen waren und (was wohl das spezifisch Unschweizerische sein sollte) «dank Steigerung WM-Elfte» wurden.

Ja, es ist ein Zeugs mit dem Schweizerischen. Die Verwirrung darüber, was schweizerisch, unschweizerisch, schweizerisch unschweizerisch oder unschweizerisch schweizerisch ist, scheint immens. Noch komplexer wird es, wenn man den Historiker Edgar Bonjour beizieht. Dieser meinte, Bezug nehmend auf die urschweizerisch republikanische Qualität der Widerständigkeit, dass es eigentlich «unschweizerisch» sei, «schweizerisch zu sein».

In den letzten Jahren hat auch die schweizerische Sozialdemokratie das «Schweizerische» entdeckt – in der Hoffnung, der Rechten die Deutungshoheit streitig machen zu können. So etwa mahnte SP-Präsident Christian Levrat vor der Abstimmung zur 1:12-Initiative: «Lohnexzesse sind unschweizerisch!» Aber natürlich wird auch von ganz rechts die schweizerische Spreu exzessiv vom unschweizerischen Weizen getrennt: «Entwaffnungsinitiative ist unschweizerisch», warnt das Presseportal Pro Tell im Januar 2011. Und die nicht minder rechtsschweizerischen «Zeit-Fragen» belehren im Oktober 2013: «Der Lehrplan 21 ist unschweizerisch.»

Insgesamt aber scheint sich der bonjoursche Gedanke durchzusetzen – das Unschweizerische wird zum erfreulichen Charakterzug. Im Expo-Archiv findet sich der Hinweis: «Die Expo.02 wird auch im Ausland wahrgenommen. Etablierte Zeitungen zollen viel Lob – für eine Ausstellung, die erfreulich unschweizerisch ist.» Auch die Plattform www.78s.ch singt im Jahr 2010 ein entwaffnendes Hohelied auf das «Unschweizerische»: Das Album der Indieband My Heart Belongs to Cecilia Winter habe ein «dermassen hohes Niveau, dass das Adjektiv ‹unschweizerisch› unweigerlich kommen muss».

Dank Bundesrat Johann Schneider-Ammann herrscht nun aber seit letzter Woche hochoffiziell endlich wieder Klarheit darüber, was in Tat und Wahrheit «schweizerisch» ist. «Steuern optimieren» zum Beispiel.