Zweite Gotthardröhre: «Klar lässt sich das Projekt verhindern!»

Nr. 39 –

Das Parlament will einen zweiten Strassentunnel durch den Gotthard bauen. Ein irrwitziges Vorhaben. Das Referendum wird ergriffen, ab Oktober müssen Unterschriften gesammelt werden, sagt Remco Giovanoli vom Verein Alpen-Initiative.

Remco Giovanoli: «Kaum hatte Doris Leuthard das Departement übernommen, bekam die zweite Röhre Priorität.»

Nachdem der Ständerat bereits im Frühjahr Ja gesagt hatte, stimmte am Mittwoch der Nationalrat (nach Redaktionsschluss) über den Bau einer zweiten Röhre am Gotthard ab. Der alte Strassentunnel wurde 1980 eröffnet und muss in einigen Jahren saniert werden. Er wäre dann für geraume Zeit gesperrt – deshalb soll der zweite Tunnel gebaut werden. Dabei stört allerdings der Alpenschutzartikel, der unter anderem verlangt: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden.»

Der Verein Alpen-Initiative, der damals den Alpenschutzartikel lancierte, kämpft nach wie vor für dessen Umsetzung und jetzt zwangsläufig auch gegen die zweite Gotthardröhre. Remco Giovanoli, politischer Mitarbeiter des Vereins, nimmt Stellung.

WOZ: Herr Giovanoli, lässt sich die zweite Gotthardröhre noch verhindern?
Remco Giovanoli: Klar, davon bin ich fest überzeugt!

Am Freitag wird es in den Räten zur Schlussabstimmung kommen, da wird das Geschäft doch angenommen.
Davon gehen wir auch aus. Aber wir werden das Referendum ergreifen, und die Chancen sind gut, dass wir es auch gewinnen. Vor drei Jahren hat die Urner Bevölkerung an der Urne bereits deutlich Nein zum Bau eines zweiten Strassentunnels gesagt.

Aber die Tessiner sind vehement dafür.
Da wäre ich nicht so sicher. Man nimmt vor allem die Politiker wahr, die laut für den neuen Tunnel werben. Ich bezweifle, dass die Bevölkerung das gleich sieht. Es gab dort noch keine kantonale Abstimmung. Bei früheren ähnlich gelagerten nationalen Abstimmungen aber war die Bevölkerung – im Gegensatz zu den Politikern – jeweils dagegen. Die Ablehnung dürfte vor allem im südlichen Teil des Kantons gross sein, wo die Verkehrsprobleme bereits gravierend sind.

Bundesrätin Doris Leuthard verspricht, der zweite Tunnel dürfe später nur einspurig befahren werden. Warum soll das schlecht sein?
Die Macht des Faktischen! Wenn die Leute stundenlang im Stau stehen, aber wissen, da gibt es eine doppelspurige Strasse im Tunnel – da lässt sich das Versprechen nicht lange aufrechterhalten. Schon bald käme ein Vorstoss, der verlangt, in solchen Situationen beide Spuren zu öffnen. Dagegen kann man dann viel schlechter ankämpfen. Auch wenn Bundesrätin Leuthard ehrlich glaubt, sie werde das so durchziehen, dürfte es langfristig nicht möglich sein. Zudem werden bereits heute in staukritischen Bereichen immer mehr Pannenstreifen offiziell zu Fahrspuren umgenutzt.

Was wäre denn Ihre Alternative?
Der Neat-Bahntunnel durch den Gotthard ist bald fertig. Die Lastwagen können dann von Erstfeld nach Biasca auf den Zug verladen werden. Die Personenwagen kann man im Winter zwischen Göschenen und Airolo durch den alten Bahntunnel transportieren. Im Sommer während der Hauptreisezeit würde die Sanierung unterbrochen und der Strassentunnel offen bleiben. Diese Variante wäre nach unseren Berechnungen drei Milliarden Franken günstiger als der Bau eines neuen Tunnels. Übrigens hat Bundesrat Moritz Leuenberger 2010 einen ersten Grundlagenbericht zur Sanierung des Gotthardstrassentunnels vorgelegt. Die zweite Gotthardröhre wurde nebenbei erwähnt, aber die Weichenstellung lief damals eindeutig in die Richtung, die wir favorisieren. Danach übernahm Doris Leuthard das Departement, und plötzlich bekam die zweite Röhre Priorität.

Wäre es nicht sinnvoll, eine Maut, eine Tunnelgebühr zu erheben, um das Geld für den Bau wieder hereinzuholen?
Wir sind strikt gegen eine isolierte Maut am Gotthard. Das führt nur dazu, dass der Verkehr über die Passstrasse, den San Bernardino oder den Simplon ausweicht, das kann nicht die Lösung sein. Die Frage nach einer Maut zeigt deutlich, dass die Mittel grundsätzlich nicht reichen. Wenn die zweite Röhre gebaut wird, fehlen die Finanzen für andere, regionale Projekte. Vor allem Westschweizer Kantone wehren sich gegen die zweite Röhre, weil sonst ihre Umfahrungsprojekte nicht realisiert werden können. Die Verkehrsprobleme der Schweiz liegen nicht am Gotthard.

Es gibt Leute, die sagen: Baut die zweite Gotthardröhre – sie schadet weniger als all die neuen Strassen, die sonst mit dem Geld gebaut würden.
Das ist zynisch und würde den Alpen massiv schaden. Zudem ist es doch absurd, für viel Geld am Gotthard die Verkehrskapazitäten auszubauen, die dann nicht gebraucht werden dürften. Und zwischen Genf und St. Gallen reicht die Verkehrsinfrastuktur für den öffentlichen und privaten Verkehr nirgendwo hin.

Sie haben gesagt: «Wir werden das Referendum ergreifen.» Wer ist «wir»?
Es wurde bereits ein Verein «Nein zur 2. Gotthardröhre» gegründet. Dem gehören rund vierzig Organisationen und Parteien an. Der Verkehrs-Club der Schweiz und wir vom Verein Alpen-Initative werden aber eine tragende Rolle spielen. Voraussichtlich werden wir in der ersten Oktoberwoche mit der Unterschriftensammlung beginnen müssen.

Remco Giovanoli (34) ist politischer Mitarbeiter des Vereins Alpen-Initiative.