Alf Arnold: «Wir waren die Spinner aus den Bergen»

Nr. 2 –

Nächste Woche reicht der Verein Alpeninitiative das Referendum gegen den Bau einer zweiten Gotthardröhre ein. Gleichzeitig engagieren sich neue Kräfte für das alte Anliegen. Eine Wanderung durch den Kanton Uri mit Alf Arnold, dem Urgestein der Alpeninitiative, der Ende Jahr in Pension ging.

  • Alf Arnold vor dem Teufelsstein in der Schöllenenschlucht: «Die Alpen sind die grösste und biologisch reichste Biosphäre Europas. Wir dürfen sie nicht einer rücksichtslosen Globalisierung opfern.»
  • So ginge es ohne zweite Röhre - das Rezept der Alpeninitiative: Während der Sanierung des Strassentunnels könnte ein Verladeterminal den lokalen Verkehr schlucken. Karte: WOZ

Das Dorfzentrum von Andermatt wirkt ausgestorben an diesem grauen Wintermorgen, an dem wir zur Wanderung durch den Kanton Uri aufbrechen. In Andermatt müssten wir beginnen, hatte Alf Arnold am Telefon gesagt, und dann weiterwandern durch das Reusstal hinab Richtung Altdorf.

Jetzt steht der 64-Jährige an der Gotthardstrasse in Andermatt vor einem schmucklosen Bau aus den siebziger Jahren und versucht, sich zu orientieren. Er schaut um die Ecken des Hauses und sagt schliesslich: «Hier muss es gewesen sein, hier trafen wir uns zum ersten Mal.» Der Treffpunkt von damals, das Restaurant Helvetia, existiert nicht mehr. An seiner Stelle steht jetzt ein Apartmenthaus mit heruntergekommenem Nachtclub.

1987 war das, ein paar Linke und Grüne aus Uri, Graubünden, dem Wallis und dem Tessin kamen über die Berge und steckten die Köpfe zusammen, getrieben vom Ärger, dass immer mehr lärmende Lastwagen die Bergtäler hinaufkriechen und die Luft verpesten. Antikapitalistischer Aufruhr wühlte das Gemüt der BerglerInnen auf, etwas Verschwörerisches lag in der Luft. Die AlpenschützerInnen im Restaurant Helvetia hatten nicht die leiseste Ahnung, dass sie bald über Jahrzehnte hinweg die Schweizer Verkehrspolitik aufmischen würden.

«Niemand traute uns zu, dass wir etwas erreichen könnten», sagt Alf Arnold. Er trägt feste Schuhe, Jeans, eine rote Faserpelzjacke und darüber eine blaue Windjacke. Seine Glatze verbirgt er unter einer braunen Schiebermütze. Alf Arnold spricht leise, unaufgeregt, und lächelt dabei oft.

«Wir waren Nobodys», sagt er, «aber wir hatten einen starken gemeinsamen Willen. Wir wollten verhindern, dass die Alpen immer mehr als Transitkorridor missbraucht werden.» Der spätere Fernsehdirektor und FDP-Politiker Filippo Leutenegger war einer dieser politischen Nobodys, er kam als Vertreter des Verkehrsclubs (VCS) aus dem Tessin. Andrea Hämmerle aus Graubünden und Peter Bodenmann aus dem Wallis waren da, aber noch kaum national bekannte SP-Politiker.

Die Wanderung mit Alf Arnold durch den Kanton Uri ist eine Wanderung durch die Geschichte der Alpeninitiative zu den Orten, die für den Kampf dieser Bewegung wichtig sind. Seit 1994 verbietet der Alpenschutzartikel in der Bundesverfassung den Ausbau von Transitstrassen im Alpengebiet. Wegen der anstehenden Sanierung des Gotthardstrassentunnels hat das Parlament im September 2014 trotzdem beschlossen, eine zweite Röhre zu bauen. Dagegen hat der Verein Alpeninitiative zusammen mit rund vierzig Organisationen das Referendum ergriffen.

Pausenloses Dröhnen und Rauschen

Alf Arnold geht bis zur Felskante der Schöllenenschlucht und schaut sich um. Senkrechte Felswände, die tosende Reuss in der Tiefe, überspannt von der alten Teufelsbrücke. Hier lancierten 1989 vierzig AktivistInnen mit einem Happening die Alpeninitiative. Sie führten eine aktualisierte Fassung der alten Teufelssage auf, dramatisch und bildstark: Der Teufel dirigiert aus Rache für das entgangene Menschenopfer Lastwagen die Schöllenenschlucht hoch. Erfinder des Spektakels ist der Walliser Andreas Weissen, heute Ehrenpräsident des Vereins Alpeninitiative.

Auf dem Gruppenfoto von damals fehlt Alf Arnold. Der Umweltschützer musste sich zurücknehmen – aus Rücksicht auf seinen damaligen Arbeitgeber, den VCS. Der Verkehrsclub stand, wie die anderen grossen Umweltorganisationen auch, abseits, weil er nach dem Misserfolg früherer Volksinitiativen (Stopp Beton, Kleeblatt) nicht an den Erfolg der Alpeninitiative glaubte. «Wir waren die Spinner aus den Bergen», sagt Alf Arnold. Längst wissen wir es besser: 1994 wurde die Initiative der linken und grünen BerglerInnen vom Schweizer Volk angenommen.

Viele waren überrascht, auch Arnold: Nie hätte er erwartet, dass ihn die Alpeninitiative ein halbes Arbeitsleben lang beschäftigen würde. Das wird in Göschenen deutlich, am Fuss der Schöllenenschlucht. Alf Arnold steht zwischen dem Teufelsstein und dem Nordportal des Gotthardstrassentunnels und erinnert sich: «Immer wieder hat die Transitlobby versucht, den Alpenschutz auszuhebeln, immer wieder kam eine zweite Röhre aufs Tapet.»

Seit zwei Jahrzehnten verzögern Bundesrat und Parlament die Umsetzung des Alpenschutzes. Statt wie beschlossen 650 000 fahren immer noch jedes Jahr 1,2 Millionen Lastwagen über die Alpen, und die Alpentransitbörse zur Kontingentierung der Lkws wird ebenfalls nicht umgesetzt. «Das ist anstrengend und ermüdend», sagt Alf Arnold, «und es ist frustrierend: Wir können den Politikern nicht trauen.»

Diese Erfahrung befeuert Arnolds Widerstand gegen die zweite Gotthardröhre, die jetzt einmal mehr auf der politischen Agenda steht: Bundesbern will eine zweite Strassenröhre bauen, damit in fünfzehn Jahren eine Strassenverbindung offen ist, wenn der bestehende Tunnel saniert wird. Am Ende soll es vier Spuren geben, aber nur zwei sollen genutzt werden.

Auf dieses Bubentrickli dürfe man nicht hereinfallen, sagt Alf Arnold. «Niemand glaubt im Ernst daran, dass langfristig nur zwei von vier Spuren genutzt werden.» Schon vor 35 Jahren, bei der Eröffnung des Strassentunnels, habe der damalige Bundesrat Hans Hürlimann versprochen, der Tunnel werde kein Korridor für den Schwerverkehr, erinnert sich Arnold. «Das Gegenteil ist passiert.» Damals protestierten er und eine Handvoll UmweltschützerInnen gegen den Transittunnel; Alf Arnold im schwarzen Hochzeitsanzug seines Vaters und mit schwarzen Trauerfahnen.

Was der Transitverkehr anrichtet, wird weiter unten im Reusstal auf dem Weg nach Amsteg sichtbar. Dicht gedrängt zwängen sich die Schiene, die Autobahn und drei bis vier Hochspannungsleitungen durch die Talenge. Die schroffen Felswände an der sogenannten Nordrampe rücken immer näher, und die Verbauungen vor allem für die Autobahn werden immer mächtiger. Haushoch stehen die Stützmauern in der Landschaft. Wenn man mit dem Auto durchfährt, nimmt man sie nicht wahr, zu Fuss aber schon. Das Tal ist erfüllt vom pausenlosen Dröhnen und Rauschen der Lkws.

In den letzten Jahren sind entlang der Autobahn immer grössere Steinschlagnetze montiert worden, die auch schwere Felsbrocken zurückhalten sollen. Auf der Höhe von Gurtnellen steht die grösste Sicherungsanlage. 2006 stürzten hier grosse Felsbrocken auf die Autobahn, sie kippten einen Lkw auf die Seite und töteten ein deutsches Paar, das in diesem Augenblick auf der Autobahn unterwegs war. Jetzt steht hier ein rund 300 Meter langer hoher Erdwall mit Steinschlagnetzen obendrauf. Auch zurückversetzt im steilen Wald unterhalb der Felswände stehen reihenweise Dämme und Netze.

Alf Arnold verlässt den Weg, der hier Bahnwanderweg heisst, und steigt den Wald hinauf zu einer Lichtung mit Feuerstelle. Der Umweltschützer geht an den Rand einer Aussichtskanzel und weist mit ausladender Handbewegung auf die Aussicht. «Schön, nicht?», sagt er. Die Aussicht geht direkt auf die Autobahn. Hier bräteln AusflüglerInnen im pausenlosen Dröhnen und Rauschen der Autobahn.

Umweltschützer Arnold hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Mit Tag und Jahr erinnert er sich an die Ereignisse der letzten Jahrzehnte, und er ist extrem faktensicher. Das reizt seine politischen GegnerInnen im Kanton Uri, vor allem die FDP und die SVP. Er sei stur, werfen sie ihm vor, ein Flaschenhalsideologe, der die Entwicklung des Tals aufhalten wolle. «Die Alpen sind die grösste und biologisch reichste Biosphäre Europas», sagt Alf Arnold dazu, «wir müssen sie schützen, wir dürfen sie nicht einer rücksichtslosen Globalisierung opfern.»

Einer der prominentesten politischen Gegner von Alf Arnold ist der frühere FDP-Nationalrat Franz Steinegger, ein Befürworter der zweiten Röhre und Verwaltungsratspräsident einer grossen Tunnelbaufirma. Doch Steinegger nimmt Alf Arnold in Schutz. «Arnold ist nicht stur, er ist konsequent», sagt er und erzählt von gemeinsamen Kommissionssitzungen in den siebziger Jahren, in denen es ums Waldsterben ging. «Alf Arnold kam immer mit dem Velo, auch beim hässlichsten Wetter. Er hat bis heute meinen Respekt.»

UrnerInnen stehen zur Alpeninitiative

In Erstfeld weitet sich das Reusstal. Die Verkehrswege, die Landwirtschaft, die Industrie und die Siedlungsgebiete machen sich den knappen Talboden streitig. Bei der Neat-Baustelle steigt Alf Arnold auf einen Aussichtsturm. Man sieht die Portale des Neat-Basistunnels, wo nächstes Jahr die ersten Züge mit 200 Stundenkilometern durchsausen werden. Entfernt hinter einem Erdwall liegt das Schwerverkehrszentrum (siehe WOZ Nr. 22/2014 ). «Alle diese Installationen dienen der Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene», sagt Alf Arnold, «wenn man sie denn nur konsequent nutzen würde.»

Wir sind wieder beim Kernthema, dem Kampf gegen die zweite Röhre. Alf Arnold beschreibt und skizziert auf Papier und redet sich in Fahrt. «Hier vor unseren Füssen liegen die Alternativen», sagt er. Bei der Neat-Zufahrt möchte die Alpeninitiative während der Sanierung des Gotthardstrassentunnels einen Verladeterminal (Terminal Nord «Rynächt», vgl. Karte weiter oben) für den lokalen Schwerverkehr einrichten. Er ist Teil eines Gesamtsystems, bestehend aus dem Autoverlad in Göschenen und den Terminals für den grenzüberschreitenden Güterverkehr an den Landesgrenzen. Ein Komplettpaket, das die Alpeninitiative mit starken Argumenten untermauern wird: Warum sollen mit einem neuen Strassentunnel die milliardenschweren Investitionen in die Neat entwertet und so Volksvermögen vernichtet werden?

Altdorf, die letzte Station der Reise durch den Kanton Uri: Hier ist seit über einem Jahr ein Befürworterkomitee für die zweite Röhre aktiv, vor allem mit VertreterInnen der SVP und der FDP sowie Leuten aus Gewerbe und Industrie. Seither ist der Ton in Uri giftiger geworden, die Leserbriefe gehässiger. «Eine Mehrheit der UrnerInnen steht immer noch hinter der Alpeninitiative, aber den Gegenwind spüren wir schon», sagt Alf Arnold.

Generationswechsel

Wir besuchen die Büros der Alpeninitiative in einem alten Bürgerhaus im Zentrum von Altdorf. In einer Ecke steht ein himmelblauer Kachelofen. Die Böden knarren, die Einrichtung ist spartanisch. Regale biegen sich unter der Fachliteratur und den Dokumenten.

Die 51-jährige Lucia Lauener-Zwyer ist Nachfolgerin von Alf Arnold als Geschäftsführerin der Alpeninitiative. «Die Befürworter haben ihre Kampagne geschickt eingefädelt. Sie suggerieren, das Tessin befürworte eine zweite Röhre und eine solche sei für mehr Sicherheit nötig», sagt Lauener-Zwyer, «beides ist falsch». Die Alpeninitiative werde in den kommenden Debatten diese Argumente ins richtige Licht rücken. «Was die Befürworter wirklich wollen, sind vier Spuren. Das führt zur Kapazitätserhöhung für Transitlastwagen, der Alpenschutz wird überfahren. Punkt.»

Mehr Sicherheit im Gotthardstrassentunnel könne man schon heute etwa mit versenkbaren Mittelleitplanken erhalten, sagt sie, dafür müsse man nicht fünfzehn Jahre warten. Und es stimme auch nicht, dass die Tessiner Bevölkerung durchwegs eine zweite Röhre wolle. «Die Unterschriftensammlung für das Referendum hat gezeigt, dass sich viele TessinerInnen sehr engagiert gegen die zweite Röhre wehren.»

Alf Arnold ist erleichtert, das Amt des Geschäftsführers der Alpeninitiative abgeben zu können. «Der kommende Abstimmungskampf wird hart», sagt er, und gleichzeitig seien die Anforderungen in den letzten Jahren immer grösser geworden. Neue Kräfte treiben das alte Anliegen weiter, das achtköpfige Team in Altdorf ist stark verjüngt worden. So wird etwa der 31-jährige Manuel Herrmann künftig die Alpenschutzpolitik nach aussen vertreten. Auch im Verein mit 50 000 Mitgliedern und SympathisantInnen hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Seit dem letzten Jahr ist der 31-jährige Bündner SP-Präsident und Grossrat Jon Pult Präsident, und neu zum Vorstand gestossen ist auch der 27-jährige Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard.

Alf Arnold hat für seine Zukunft keine Pläne geschmiedet. Er werde nun einfach mehr Zeit haben für seine Familie, für seine Kinder, mehr Zeit für das Haushalten, und er könne nun auch wieder andere Bücher lesen als Fachliteratur oder Zeitungen. Und auf Abruf werde er weiterhin der Alpeninitiative beistehen und den GegnerInnen ihre widersprüchliche Politik um die Ohren hauen. «Wenn es uns nicht gäbe», sagt er, «hätten wir heute zwei Millionen Lastwagen in den Bergen, wir hätten eine zweite Röhre, und eine Schwerverkehrsabgabe gäbe es auch nicht.»

Alf Arnold

Als vor 25 Jahren die Alpeninitiative ins Leben gerufen wurde, war Arnold Gründungsmitglied und danach zwanzig Jahre lang Geschäftsführer dieser NGO in Altdorf. Als Geschäftsführer hatte er ein Pensum von sechzig bis siebzig Prozent, daneben war er Hausmann.

Nach der Matur lernte Alf Arnold Bibliothekar, arbeitete in Zürich als Dokumentalist, später war er Journalist und Mitarbeiter des VCS. Im Kanton Uri engagierte er sich in oppositionellen Gruppierungen. Auf nationaler Ebene sorgte er bei der Rothenthurm-Initiative für die Einhaltung der Finanzpläne, und bei den Zwillingen Atom- und Energie-Initiative (1984) war er Mitarbeiter im nationalen Sekretariat der Energiestiftung. Arnold ist Mitglied der links-grünen Fraktion im Urner Landrat (Kantonsrat).

Alf Arnold – das Kürzel Alf steht für Alfred – ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 15 und 18 Jahren. Er wohnt in Altdorf.