Energiestädte: Die gefährlichen Wohlfühllabels
Es ist ein Skandal, der sich vor aller Augen entfaltet, den aber partout niemand sehen will. Es agieren darin keine korrupten BösewichtInnen – es kommen darin nur Menschen vor, die Gutes wollen.
Letzte Woche wurden wieder einmal die «Energiestädte» ausgezeichnet. Gemeinden, die sich bemühen, sparsam mit Energie umzugehen, erhalten das Energiestadtlabel. Es sind inzwischen weit über 300. Die, die es noch ernster meinen, bekommen das Goldlabel. Und die, die es besonders ernst meinen, sind nun erstmals mit der Auszeichnung «Energiestadt auf dem Weg in die 2000-Watt-Gesellschaft» gewürdigt worden. Das sind Basel-Stadt, Lumino TI, Buchs SG und Zürich.
Man könnte also als BewohnerIn von Basel, Buchs, Lumino oder Zürich annehmen, dass man an einem fortschrittlichen Ort lebt. Doch das täuscht.
Das Problem beginnt schon bei den 2000 Watt. Die ETH Zürich hat das Konzept entwickelt und errechnet, dass in einer nachhaltigen Welt alle Menschen im Durchschnitt nicht mehr als 2000 Watt pro Person beanspruchen dürften. Inzwischen weiss man aber, dass es sogar nur um die 1000 Watt sein sollten – das entspricht 50 Sparlampen mit einer Leistung von je 20 Watt. Heute braucht die Schweizer Bevölkerung im Schnitt etwa 6000 Watt pro Kopf. Trotz aller Sparbemühungen geht der Energieverbrauch nicht zurück. Am Beispiel von Basel-Stadt lässt es sich zeigen, was falsch läuft mit den Energiestadtlabels. Die Regierung hat eine «Studie zu den energetischen Potenzialen des Kantons» publiziert. Darin steht: «Die vorliegende Broschüre weist den Weg in eine nachhaltige Energiezukunft. Das bedeutet: Der Kanton Basel-Stadt ist in der Lage, sich noch vor Ende dieses Jahrhunderts gemäss den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft zu einem erheblichen Teil mit erneuerbarer Energie zu versorgen.» Das klingt gut.
Axel Schubert hat die Studie analysiert und hält sie für gesellschaftspolitisch gefährlich (sein Papier findet sich im Anschluss an diesen Text). Schubert ist Architekt, Stadtplaner, beim Kanton Basel-Stadt angestellt und selber Mitglied der Energiestadtlabel-Kommission. Unter anderem kritisiert er, dass die graue Energie völlig ausgeblendet wird. Die graue Energie steckt in den Gütern, die nach Basel geliefert werden. Deshalb kämen nach Berechnung von Schubert pro Person nochmals 3900 Watt hinzu, die weggespart werden müssten, doch praktischerweise einfach unterschlagen werden.
Schubert kritisiert zudem, dass die vorgeschlagenen Massnahmen in der Studie sehr abstrakt formuliert sind: Damit bleibe die Studie konsensfähig – «zum hohen Preis, dass ihre Erkenntnisse nicht schmerzen und damit auch nicht zu einer gewissen gesellschaftlichen Entschiedenheit des Handelns anregen». Und das ist seine Hauptkritik: Die Studie bewirke eine trügerische Beruhigung. Sie vermittle das Gefühl, alles sei ohne grosse Veränderungen zu schaffen. Ein Gefühl, das entpolitisierend wirkt.
Will man wirklich eine ressourcengerechte Zukunft, muss man sagen, was eine 1000-Watt-Gesellschaft konkret bedeuten würde: Das wären pro Person noch zwanzig Quadratmeter Wohnraum, neun Kilometer Bahnfahrt pro Tag, kein Auto, keine Flugreisen und pro Jahr noch eine Bahnreise von 2000 Kilometern, eine Schiffsreise von 12 000 Kilometern und achtzehn Kilo Fleisch sowie eine Zeitung pro zehn BewohnerInnen. «Mit der entsprechenden Konkretisierung fällt wie Schuppen von den Augen, dass wir unsere heutigen Lebensstile viel grundlegender neu zu erfinden haben», konstatiert Schubert. Das braucht kein schlechteres Leben zu sein, aber es wäre völlig anders.
Das betrifft nicht nur die Umwelt, es betrifft die gesamte Ökonomie. Der Kapitalismus hat ein System geschaffen, das vieles hervorbrachte, was uns lieb und teuer ist, wie die Demokratie oder der Sozialstaat. Aber er ist auch dazu verdammt, sich selber zu vernichten, wie die Wirtschaftshistorikerin Ulrike Herrmann schlüssig darlegt. Es wäre klug, sich jetzt Gedanken zu machen, wie wir die Gesellschaft umbauen – und uns nicht länger mit Wohlfühllabels selber zu belügen.