Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sagt rechtswidrig: Asbestopfer: Lausige Verjährungsfrist

Nr. 41 –

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat diese Woche einen runden Tisch gefordert, um endlich zu einer «umfassenden Lösung in der Asbest-Katastrophe» zu kommen. Tatsächlich hat sich die Politik mit diesem Thema in eine Sackgasse manövriert. Eine umfassende Lösung im Sinn der Opfer ist überfällig.

Zentral dabei ist die bislang lausig kurze Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen. Sie ist im März vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als rechtswidrig qualifiziert worden. Die Hinterbliebenen des Mechanikers Hans Moor hatten von dessen Arbeitgebern und der Suva Entschädigungen verlangt, weil diese nicht genügend Massnahmen zum Schutz vor Asbest ergriffen haben sollen. Moor war 2005 an einem Pleuramesotheliom gestorben, von dem er ein Jahr zuvor erfahren hatte. Dieser Krebs wird von Asbeststaub ausgelöst, mit dem Moor vor allem in den sechziger und siebziger Jahren in Kontakt kam. Die Schweizer Gerichte schmetterten die Klage deshalb ab.

Die tödliche Wirkung von Asbest zeigt sich meist erst Jahrzehnte später. Der SGB schätzt, dass in der Schweiz von 1945 bis 1985 10 000 ArbeiterInnen intensiv mit Asbest in Berührung kamen, rund 100 000 gelegentlich. In vielen Gebäuden ist nach wie vor Asbest verbaut, Um- und Abbrucharbeiten sind für Bauarbeiterinnen und Anwohner eine latente Bedrohung. Die Suva spricht von bislang rund 1800 Toten. Nicht darin enthalten ist die grosse Dunkelziffer.

Die jetzige Verjährungsregelung belohnt unsorgfältige Aufsichtsorgane, fahrlässige UnternehmerInnen und die Asbestindustrie, die bis zum Verbot von Asbest nicht müde wurde, gegen schärfere Bestimmungen zu lobbyieren. Da hilft es den meisten Opfern nichts, wenn die Frist jetzt auf zwanzig Jahre (gemäss Nationalrat) oder dreissig Jahre (gemäss Bundesrat) ausgedehnt werden soll – dazu ist die Frist bis zum Ausbruch einer asbestbedingten Krankheit meist zu lang. Laut EGMR müssen Opfer in jedem Fall die Möglichkeit haben, auf Schadenersatz zu klagen. Es braucht also eine Schadenersatzregelung, bei der erst dann die Frist zu laufen beginnt, wenn jemand von seiner Krankheit erfährt.