Wirtschaftsdemokratie: Nach 1:12 soll jetzt 50:50 die Bosse stechen
Setzen die JungsozialistInnen das politische Establishment erneut unter Druck? Dieses Wochenende entscheiden sie, ob eine «Volksinitiative für Demokratie am Arbeitsplatz und Wohlstand für alle» weiterverfolgt wird.
Die Juso-Idee für mehr Demokratie in der Wirtschaft ist bestechend einfach: Unternehmen ab einer gewissen (noch zu bestimmenden) Grösse müssen ihre ArbeiterInnen zur Hälfte am Unternehmensgewinn beteiligen und rechtlich dem Aktionariat gleichstellen.
Das soll über einen Fonds geschehen, über den die Angestellten frei verfügen können. Denkbar sei auch der schrittweise Erwerb eines Unternehmens. Vorgesehen sind ausserdem von der Belegschaft gewählte ArbeitervertreterInnen in den Gremien der Unternehmen.
Öffentliche Debatte
Damit soll der Wert der Arbeit erhöht und die Übermacht des Kapitals gebrochen werden. Im Fokus haben die JungsozialistInnen vor allem grosse Unternehmen, die heute nach Belieben Arbeitsplätze wegrationalisieren oder ins Ausland abwandern lassen können – zum Schaden der ArbeiterInnen. Wie diese Forderungen konkret umzusetzen sind, steht allerdings noch in den Sternen. Stimmen die Juso-Delegierten an diesem Wochenende in Solothurn der Idee zu, wird die Initiative im nächsten Jahr lanciert.
Juso-Präsident Fabian Molina traut diesem wirtschaftsdemokratischen Vorstoss ein ähnliches Potenzial zu, wie es die 1:12-Initiative entfalten konnte, die dem bürgerlichen Establishment das Fürchten lehrte. «Selbst wenn wir mit dieser Initiative an der Urne nicht durchkommen sollten, muss eine öffentliche Debatte über die undemokratischen Zustände in der Wirtschaftswelt geführt werden. Der grosse Teil dieser Wirtschaft, der die Werte schafft, nämlich die Arbeiterinnen und Arbeiter, hat heute nichts zu sagen. Das muss sich ändern», sagt Molina. Und dass die Juso eine ernst zu nehmende politische Kraft sei, habe die 1:12-Initiative hinlänglich bewiesen. Die Wirtschaftsverbände zogen bekanntlich mit zehn Millionen Franken in den Abstimmungskampf gegen die linke Jungpartei.
Ob es der Juso ein weiteres Mal gelingt, eine öffentliche Debatte in solchem Ausmass zu entfachen? Ohne Unterstützung aus dem linken Lager geht es wohl nicht. Die natürlichen Verbündeten sind Gewerkschaften und linke Parteien, allen voran die Mutterpartei, die SP.
Skepsis bei den Gewerkschaften
Die WOZ hat sich in Gewerkschaftskreisen umgehört. Öffentlich wollte sich keineR der angefragten GewerkschafterInnen äussern. Auch das ist eine Aussage. Kaum eineR der gestandenen FunktionärInnen glaubt zum heutigen Zeitpunkt an die Durchschlagskraft der Fifty-fifty-Idee, zumal deren konkrete Ausgestaltung noch völlig unklar ist. Basisnahe GewerkschafterInnen halten den Vorstoss strategisch nicht für besonders clever. Anders als bei der 1:12-Initiative, die eine Debatte in der Bevölkerung über exorbitante Managerlöhne aufgenommen und daher breite Bevölkerungsschichten angesprochen habe, werde diese Form der Mitbestimmung «höchstens in linken intellektuellen Kreisen» diskutiert. Die ArbeiterInnen und Angestellten beschäftigten vielmehr existenzsichernde Löhne, ihre stagnierende Kaufkraft und die latente Angst vor Arbeitslosigkeit. Ihre Rechte zu verteidigen, zu sichern und auszubauen, sei vordringlicher und konkret.
Anders als bei der 1:12-Initiative wird es für die JungsozialistInnen dieses Mal ein schweres Stück Arbeit, etablierte VertreterInnen ins Boot zu holen. Dass ausserdem eine «unternehmerische» Arbeiterschaft in den Gewerkschaften Ängste vor einem Machtverlust auslöst, streiten zwar alle von der WOZ angefragten GewerkschafterInnen ab – es liegt aber auf der Hand. Angestellte, die MitbesitzerInnen und damit in eine kapitalistische Logik eingebunden wären, würden den Einfluss von Gewerkschaften jedenfalls nicht stärken.
Was sagt die SP?
Wirtschaftsdemokratie ist ein zentraler Punkt im SP-Parteiprogramm, das im Oktober 2010 in Lausanne verabschiedet und in der Parteibasis breit abgestützt ist. Die Mutterpartei schläft zwar nicht – Anfang Jahr wurde eine von SP-Vizepräsidentin und Nationalrätin Barbara Gysi präsidierte Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um aus dem Parteiprogramm konkrete politische Forderungen abzuleiten. Aber die Jusos sind mit ihrer Initiativenidee fixer als die Mutterpartei.
Barbara Gysi sagt zum geplanten Juso-Vorstoss: «Die Stossrichtung entspricht dem Parteiprogramm.» Allerdings seien wichtige Fragen noch nicht beantwortet: «Wen gewinnen die Juso als Partner in einem Abstimmungskampf? Ausserdem müssen sie sich mit der konkreten Umsetzung vertieft befassen. Das wird bestimmt nicht einfach.» Klar ist für die Politikerin: Dieser Vorstoss sei ein «Frontalangriff auf die herrschende Wirtschaftsmacht». Grundsätzlich ist sie voll des Lobs über die Jungpartei. Sie habe es geschafft, politisch relevante Themen aufzugreifen, damit wichtige Debatten ausgelöst und politischen Druck aufgebaut.
Beschliesst die Delegiertenversammlung, der Juso, die Fifty-fifty-Initiative weiterzuverfolgen, präsentiert die Geschäftsleitung an der Jahresversammlung Ende März 2015 den Delegierten den Initiativtext, das Komitee sowie das Argumentarium.
Nachtrag vom 23. Oktober 2014 : Rote Köpfe
Was ist falsch daran? Firmenbelegschaften sollen die Hälfte der Gewinne einstreichen, die sie mit erarbeiten. Die Juso-Delegierten beauftragten am Wochenende an ihrer Delegiertenversammlung in Solothurn die Geschäftsleitung, diese Idee abstimmungsreif auszuarbeiten.
Dass die Gewerkschaften Mühe mit der «Fifty-fifty»-Idee bekunden, darüber berichtete die WOZ. Die gewerkschaftlichen Bedenken sind allerdings nicht grundsätzlicher, sondern strategischer Natur. Anders «SonntagsBlick» und «Blick». «Die Juso übertreiben!» titelte das Sonntagsblatt. Und «Blick» doppelte nach: «Molina sieht rot». Rot sah auch «Blick»-Chefredaktor René Lüchinger. Er knöpfte sich in einem Kommentar Juso-Präsident Fabian Molina vor. «Früher», schrieb Lüchinger, «enteigneten die Kommunisten die Fabrikbesitzer.» Ihre «Brüder im Geiste» schafften es heute an die Parteispitze.
Chefredaktor Lüchinger hat in der Geschichtsstunde nicht aufgepasst: Die Kommunisten hätten nämlich die Produktionsmittel enteignet und den ganzen Gewinn eingestrichen. Die Juso wollen bloss den Gewinn fifty-fifty aufteilen – zwischen BesitzerInnen und jenen, die den Gewinn erarbeiten. Und sie wollen Mitsprache. Von Enteignung keine Rede.
Ohnehin ist unklar, ob der «Fifty-fifty»-Vorschlag die interne Ausmarchung überlebt. Womöglich geben die Delegierten einem anderen wirtschaftsdemokratischen Vorstoss den Vorzug. Denn die Jungpartei funktioniert demokratisch. Anders als Grossunternehmen.