Ernst Frick: Die Mühen der Anarchie

Nr. 43 –

Wegen «anarchistischer Umtriebe» mehrfach verhaftet und verurteilt, dann als Künstler aktiv: Mit Ernst Frick (1881–1956) wird eine in Vergessenheit geratene Schweizer Persönlichkeit wiederentdeckt.

In vielen künstlerischen Kreisen gehört es zum guten Ton, ein wenig «anarchistisch» zu sein. Seit einigen Jahren wird das auch von gut situierten, überaus rechtsliberalen Netzwerken in Anspruch genommen: Der rechtslibertäre Mäzen spricht wohlwollend zu «staatskunsthochschulisch» geweihten Werken – und wettert «anarchistisch» gegen alles, was Recht und Staat ist.

Dass es in der Kunstgeschichte ernsthafte anarchistische Figuren gab und gibt, wird gern vergessen. Umso erfreulicher ist das Erscheinen eines Buchs von Esther Bertschinger-Joos und Richard Butz über den Künstler, Anarchisten und Forscher Ernst Frick. Schon der Titel deutet es an: Frick lässt sich nicht in einer Schublade unterbringen – weder kunsthistorisch noch politisch oder wissenschaftlich.

1881 als viertes von acht Kindern in Knonau ZH geboren, verbrachte Frick seine Kindheit wegen der vielen Stellenwechsel seines Vaters, der als Buchhalter für Maschinenfabriken unterwegs war, in Hottingen, Rikon bei Illnau ZH, Mailand und Uzwil SG. Als 1895 der Vater an den Folgen eines Zugunfalls starb, blieb die Mutter mit den acht Kindern zurück. Die Halbwüchsigen mussten ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern beistehen. So auch der vierzehnjährige Ernst, der sich in Hottingen früh von benachbarten KünstlerInnen inspirieren liess und eine künstlerische Laufbahn einschlagen wollte.

Im Fokus der Zürcher Polizei

Als Giesserlehrling in der Maschinenbaufabrik Escher, Wyss & Cie. erlebte Frick den Wandel Zürichs zu einer multikulturellen Arbeiterstadt. Es waren die Jahre, in der Demonstrationen und Streiks zum Stadtbild gehörten. Auch lebten zu dieser Zeit dank der damals liberalen Asylpraxis viele revolutionäre Köpfe in Zürich.

Frick politisierte sich im Juni 1902, als rund 1200 ArbeiterInnen von Escher, Wyss & Cie. in einen Streik traten. In dieser Zeit kam er in Kontakt mit anarchosyndikalistischen Kreisen. Prägende Figuren waren der Arbeiter- und Flüchtlingsarzt Fritz Brupbacher, die Gewerkschaftssekretärin Margarethe Hardegger von der Gruppe und Zeitschrift «Der Weckruf», der Dichter Erich Mühsam und der Psychoanalytiker Otto Gross. Man kann vermuten, dass in dieser Konstellation von gewerkschaftlichen, künstlerischen und intellektuellen Persönlichkeiten bereits jene Mischung angelegt war, aus der Frick später in Ascona seine eigene Persönlichkeit und Gedankenwelt entfalten würde.

Bald betätigte sich Frick als Redaktor des «Weckrufs» und als Teilnehmer bei «direkten Aktionen». Befeuert durch Streiks und Revolten in Russland, legten in Zürich im Jahr 1905 rund 3000 Maurer die Arbeit nieder, um für kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen. Nachdem der Streik nach acht Wochen erfolglos geendet hatte, wurden am 1.-Mai-Umzug schwarze Fahnen mit dem Aufruf «Proletarier aller Länder, bewaffnet euch!» hochgehalten, worauf Frick und seine GenossInnen zunehmend in den Fokus der Polizei gerieten. Erstmals wegen anarchistischer Umtriebe für zwei Wochen inhaftiert wurde Frick im Juli 1905. Im August 1907 wurde er erneut verhaftet, nachdem ihn ein Zeuge als einen derjenigen identifizierte, die im Juni 1907 die Kaserne der Kantonspolizei überfallen hatten, um den russischen Revolutionär Georg Kilaschitzky zu befreien. Im Dezember 1912 wurde Frick in Ascona von Polizisten überrascht und nach Zürich überführt: Sein Bruder Paul hatte ihn in einem Brief als Mittäter bei einem politisch motivierten Überfall auf die Limmattaler Strassenbahn denunziert. Nach einem aufsehenerregenden Prozess wurde Frick zu «zwölf Monaten Gefängnis und Einstellung im Aktivbürgerrecht auf die Dauer von fünf Jahren» verurteilt.

Ein anarchistischer Autodidakt

Nach Ascona kam Frick zum ersten Mal 1906 durch Mühsam und Gross, um sich von einem Lungenleiden zu erholen. Damals versammelte sich auf dem Monte Verità eine illustre Schar: grossbürgerliche Dandys neben anarchistischen Aussteigerinnen, esoterische Veganerinnen neben exzessiven Bohemiens.

Fricks Neubeginn in Ascona im Jahr 1913 nach seiner einjährigen Haft in Regensdorf war schwierig. Stets musste er anarchistische FreundInnen, die von der Polizei verfolgt wurden, unterstützen. Erst mit der Zeit konnte er seine künstlerischen Ambitionen verfolgen. Zwischen 1916 und 1918 befand er sich unter den SchülerInnen von Arthur Segal. 1919 folgte die erste Teilnahme an einer Gruppenausstellung, 1924 war Frick Mitgründer der Malervereinigung «Der grosse Bär». Bis Anfang der vierziger Jahre folgten viele Ausstellungen im deutschsprachigen Raum. Danach begann der Autodidakt mit der Ausgrabung und der Erforschung der keltischen Befestigung Balla Drume in Ascona, die heute wissenschaftlich anerkannt ist.

Das Buch von Esther Bertschinger-Joos und Richard Butz ist neben seinem wohltuend profanisierenden Beitrag zur zuweilen gar sakralisierten Kulturgeschichte des Monte Verità (Butz) vor allem ein erhellender Beitrag zur Geschichte des Anarchismus in der Schweiz (Bertschinger-Joos). Gerade auch heutigen Künstlerinnen, Kunsttheoretikern und KunstmäzenInnen, die sich bei passender Gelegenheit anarchistisch schmücken, sei das sorgfältig recherchierte und mit zahlreichen Schwarzweissfotos bebilderte Buch empfohlen. Auf dass ihnen zu Bewusstsein komme, dass die anarchistische Praxis bei aller Schönheit, die in all den Ölbildern, Aquarellen und Kohlezeichnungen von Frick aufschimmert, mit nicht gar vorteilhaften Umständen verbunden ist.

Richard Butz liest aus dem Buch und spricht über Frick und den Monte Verità am Montag, 27. Oktober 2014, 17.30 Uhr im «Eisenwerk» in Frauenfeld.

Esther Bertschinger-Joos und Richard Butz: Ernst Frick. Zürich–Ascona, Monte Verità. Anarchist, Künstler, Forscher. Limmat Verlag. Zürich 2014. 380 Seiten. 48 Franken