«Lynchjustiz in den USA»: Von «anständigen Bürgern» exekutiert

Nr. 45 –

Der Historiker Manfred Berg untersucht die Geschichte der Lynchjustiz in den USA – und insbesondere ihre wichtige Funktion für das Apartheidregime im Süden des Landes bis in die sechziger Jahre.

Erst fünfzig Jahre ist es her, seit die USA zumindest auf rechtlicher Ebene zu einer farbenblinden Nation wurden. Senatoren aus den Südstaaten hatten auch in einer 75 Tage andauernden Redeschlacht nicht verhindern können, dass am 2. Juli 1964 durch den Civil Rights Act jegliche Rassentrennung im gesamten Land für illegal erklärt wurde. Damit wurde mit einiger Verspätung die in den Südstaaten herrschende und in Staatsgesetzen kodifizierte rigide Segregation beseitigt – denn eigentlich war bereits 1869 infolge des Bürgerkriegs im 15. Verfassungszusatz verfügt worden, dass nach der Abschaffung der Sklaverei auch alle Bürgerrechte nicht länger «aufgrund der Rassenzugehörigkeit, der Hautfarbe oder vormaliger Dienstbarkeit verweigert oder beschränkt werden» dürften. Aktionen der Bundespolizei FBI und Anklagen nach Bundesrecht gingen nunmehr nach 1964 zuweilen auch die reale Basis der Segregation an: den Terror gegen AfroamerikanerInnen. Denn: «In letzter Instanz beruhte die weisse Vorherrschaft auf der allgegenwärtigen Drohung mit Gewalt», zeigt der Heidelberger Historiker Manfred Berg in seiner Geschichte der «Lynchjustiz in den USA».

«So amerikanisch wie Baseball»

Von den Ursprüngen der «popular justice» in den Ad-hoc-Tribunalen im Unabhängigkeitskrieg – von einem ihrer Befehlshaber, Charles Lynch, leitet sich der Name ab –, die Berg als «eine direkte Mitwirkung des Volkes an der Strafjustiz» bezeichnet, und der Zeit der Westexpansion im 19. Jahrhundert bis in die sechziger Jahre verfolgt Berg akribisch und unter Hinzuziehung einzelner Fallstudien diese Praxis, die angesichts der lange kaum präsenten Staatsmacht «so amerikanisch wie Baseball» gewesen sei. Und er verweist darauf, dass die häufig demokratisch begründete «gemeinschaftliche Verteidigung von Recht und Ordnung», obschon von Beginn an übermässig häufig gegen Aussenseiterinnen, Ureinwohner, Ausländerinnen und unter US-Herrschaft gekommene Mexikaner gerichtet, seit Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausschliesslich im Süden durchgeführt worden sei und sich dort überwiegend zur «unbeschreiblichen Barbarei» rassistischer Mobgewalt gewandelt habe.

Für mehr als ein Jahrhundert bildete die massenhafte Lynchjustiz eine zentrale Verteidigungslinie zunächst der Sklavenhalterordnung und später der Segregation gegen jeglichen Anspruch auf Gleichberechtigung. Exekutiert wurde sie von «anständigen Bürgern» mit oder ohne die weisse Kapuze des Ku-Klux-Klans, teilweise vor Tausenden von ZuschauerInnen durchgeführt und zumeist legitimiert durch den Verweis auf den Schutz weisser Frauen. Allein in den Jahren 1868 bis 1871 habe der 1865 gegründete Klan etwa 20 000 ExsklavInnen ermordet, schätzt Berg. «Lynchings» blieben, wenn auch mit abnehmender Tendenz, bis in die fünfziger Jahre an der Tagesordnung, wobei die Opfer zu fast achtzig Prozent AfroamerikanerInnen waren. Zu den Tätern gehörten häufig auch örtliche Sheriffs oder Richter, die sich stets auf die Zustimmung ihrer weissen Gemeinden stützen konnten und nie eine Verurteilung zu fürchten hatten.

Das dunkelste Erbe

Selbst die Kritik am Apartheidregime konnte tödlich enden. Gegner der Sklaverei könnten nur «auf eine Weise zum Schweigen gebracht werden: Terror und Tod», hatte schon 1835 einer der führenden Politiker Mississippis, John Henry Hammond, gedroht. Er hatte damit die Begründung für eine Tradition geliefert, die bis ins Jahr 1964 weiterlebte, als in einem der letzten spektakulären Fälle drei Bürgerrechtler, die AfroamerikanerInnen über ihre neuen Rechte aufgeklärt hatten, in Mississippi ermordet wurden.

Wie schwer Amerikas «blutrünstige Dämonen» (Berg) selbst heute noch auf dem Land lasten, deutete sich an, als der US-Senat sich erst 2005 und zudem nach langer Diskussion dazu durchringen konnte, das Lynchen zwar «als schlimmste Erscheinungsform des Rassismus in den Vereinigten Staaten» zu verurteilen, Entschädigungszahlungen allerdings ausgeschlossen wurden und bis heute werden. Auch das dunkelste Erbe der Lynchjustiz lebt bis heute fort. Denn ihr Ende sei laut Berg ausgerechnet durch die «drastische Ausweitung der staatlich exekutierten Todesstrafe» mitverursacht worden, die noch immer zu achtzig Prozent im Süden verhängt wird und deren Opfer fast zur Hälfte Schwarze sind.

Manfred Berg: Lynchjustiz 
in den USA. Hamburger 
Edition. Hamburg 2014. 
275 Seiten. Fr. 45.90