Antirassismus: Eine Wahl zwischen Schwarz und Weiss

Nr. 40 –

Präsidentschaftswahlen in den USA werden seit jeher als dramatisches Duell zwischen DemokratInnen und RepublikanerInnen inszeniert. Diesmal verkörpern die beiden betagten Rivalen aber auch den Entscheid zwischen Demokratie und White Supremacy. Sechs Überlegungen zu einem geteilten Land.

Weisse US-Amerikaner­Innen schätzen, dass afroamerikanische Familien durchschnittlich zehn Prozent weniger Vermögen besitzen als Weis­se. In Wirklichkeit sind es über neunzig Prozent weniger: Essensverteilung in einer Kirche in Brooklyn, New York. Foto: Spencer Platt, Getty

Seit der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten am 25. Mai protestieren in den USA Millionen nicht nur gegen Polizeigewalt, sondern auch gegen eine Gesellschaftsordnung, in der Schwarze Menschen weniger wert sind als Weisse. Über 10 000 Black-Lives-Matter-Demos gab es diesen Sommer verteilt über das ganze Land. Dass für Breonna Taylors Tod durch Polizeigewalt niemand zur Verantwortung gezogen wurde, verstärkte die Entschlossenheit des Protests. Die meisten Kundgebungen verliefen bis vor kurzem so gewaltfrei, dass sie in den Medien kaum erwähnt wurden.

Einzelne gewalttätige Konfrontationen mit bewaffneten rechtsextremen Gegendemonstranten hingegen fanden grosse Beachtung. Nicht zuletzt deshalb, weil der amtierende Präsident den «Rassenkrieg» zum Kernstück seiner Wahlpropaganda gemacht hat. Donald Trump setzt auf White Supremacy, auf die Bereitschaft der hellhäutigen WählerInnen, die einen immer geringeren Prozentsatz der US-Bevölkerung darstellen, ihre Vorherrschaft gegenüber eingesessenen und neu ankommenden People of Color mit allen Mitteln zu verteidigen.

Und die andere Seite? Was eint eigentlich die Black-Lives-Matter-Bewegung? Anders als bei der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre gibt es bei BLM keinen Martin Luther King, keine kirchlichen (und männlichen) Führungsfiguren, die die Bewegung, gestützt auf das christliche Gedankengut der Schwarzen Kirchen, inspirieren und motivieren. Es gibt unter den BLM-AktivistInnen mehr Frauen als damals, mehr junge Menschen, mehr unkonventionelle Familien, mehr LGBTIQ*, mehr Personen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe.

Religion spielt eine erstaunlich grosse Rolle, aber die spirituellen Rituale kommen aus ganz verschiedenen Traditionen: Das Christentum trifft auf den Islam, das Judentum auf den Buddhismus. Auch traditionelle afrikanische Religionen haben ihren Platz. Und an immer mehr konfrontativen Demos mit faschistischen Bürgerwehren und gewaltbereiten Polizeikräften werden junge Antifa-AktivistInnen von einer «Wall of Moms» begleitet, einem Schutzwall aus mütterlichen Frauen in Velohelmen, die sich solidarisch mit an die Front stellen.

So vielfältig wie das Erscheinungsbild der bisher grössten sozialen Bewegung der USA, so verschieden sind die Beweggründe der einzelnen DemonstrantInnen. Doch jeder Protest stärkt und festigt den einen – zugleich inklusiven und radikalen – Ansatz des Antirassismus. Mit diesem Begriff aus der Kolonialismuskritik fordert die BLM-Bewegung die USA des 21. Jahrhunderts heraus. Die Gedanken und Thesen zum Antirassismus werden inner- und ausserhalb der USA laufend diskutiert und weiterentwickelt – wie hier in der WOZ.

1. «Nicht rassistisch sein» ist keine Option. Es gibt nur die Wahl zwischen Rassismus und Antirassismus

Das Weisse Knie im Nacken des Schwarzen Mannes war archetypischer Rassismus. Die Videos von George Floyds qualvollem Tod weckten in den USA Erinnerungen an die Sklaverei, an Lynchmorde und den Ku-Klux-Klan. Von dieser scheusslichen Geschichte wollen sich (fast) alle distanzieren. AfroamerikanerInnen berichten entnervt, dass sie zurzeit von wildfremden Menschen auf das Thema Rassismus angesprochen werden. PassantInnen beteuern ungefragt, sie seien «nicht rassistisch». VerkäuferInnen im Supermarkt sagen, sie selber hätten noch nie das N-Wort benutzt.

NachbarInnen versichern, ihr bester Freund sei Afroamerikaner, et cetera. Schwarze AktivistInnen ärgern sich über hellhäutige FreundInnen, die sich an ihrer Schulter ausweinen wollen, weil sie den brutalen Rassismus nicht mehr ertragen und voller Schuldgefühle sind. Doch in Sachen Rassismus gibt es keinen Trost, keine Absolution und auch kein Abseitsstehen. Man kann in der US-Gesellschaft nicht wirklich farbenblind sein. «Nicht rassistisch» ist keine Option. JedeR steht vor dem Grundsatzentscheid: Entweder setze ich den Rassismus fort – oder ich stelle mich auf die andere, die antirassistische Seite und bekämpfe das System.

2. Rassismus ist kein Schwarzes Problem. Rassismus prägt die ganze Gesellschaft

Seit über hundert Jahren gibt es in den US-amerikanischen Innenstädten immer wieder gewaltige soziale Proteste, sogenannte race riots». Unzählige ExpertInnenkommissionen haben sich mit dem Problem beschäftigt. Die entsprechenden Berichte, «The Negro in Chicago» (zu den Aufständen von 1919) oder «The Negro in Harlem» (Proteste von 1935), definierten die Sachlage schon im Titel als «Schwarzes Problem». Die Fachleute verfassten detaillierte sozioökonomische Studien zu den elenden Lebensbedingungen in den Ghettos und schlugen Verbesserungen vor. Ein Reformentwurf folgte auf den andern. Doch es fehlte der politische Wille zum Handeln.

Nach dem «langen heissen Sommer» in Detroit und in 150 anderen Städten ordnete Präsident Lyndon B. Johnson 1967 eine nationale Untersuchung der «Bürgerunruhen» an. Zu seinem Ärger stellte die von ihm beauftragte Kerner-Kommission nicht das Verhalten einzelner «Randalierer» ins Zentrum, sondern das Versagen der ganzen Nation: «Wenn wir über den Negro reden, reden wir nicht über ‹die anderen›. Wir reden über uns – denn die Freiheiten und Hoffnungen aller Amerikaner werden geschwächt und gefährdet, wenn sie gewissen Amerikanern vorenthalten werden.»

Der Kerner-Bericht wurde 1968 zum Bestseller. Die US-Bevölkerung schien bereit für eine offenere, ansatzweise bereits antirassistische Gesellschaft. Doch bald dominierten andere Themen, vorab der Vietnamkrieg und die neue Frauenbewegung, die politische Debatte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Feministinnen betonten, ihr Kampf um Gleichberechtigung, die Frauenfrage, gehe alle etwas an. Und die Friedensbewegung erinnerte daran, dass der Aggressionskrieg fernab vom eigenen Land im Namen aller US-AmerikanerInnen geführt wurde.

Trotz der gemeinsamen oder zumindest zeitgleichen Protestgeschichte werden Sexismus, Rassismus und Imperialismus in den USA bis heute nicht selbstverständlich zusammengedacht. Der sperrige Fachbegriff der Intersektionalität zeigt, dass diese wichtige Diskussion um mehrdimensionale Diskriminierung und Dominanz in der breiten Öffentlichkeit erst am Anfang steht.

3. Sich als Weiss zu definieren, ist ein moralischer Entscheid

Wer weiss ist, braucht nicht Weiss zu sein. Dieser Unterschied kann über die Rechtschreibung abgebildet werden: Für die unterschiedlichen Hautpigmentierungen steht weiss/schwarz (kleingeschrieben), für das soziale respektive politische Konstrukt «race» Weiss/Schwarz (grossgeschrieben).

In den USA denken afroamerikanische Intellektuelle seit Jahrzehnten in solchen Kategorien. Jetzt werden diese VorläuferInnen von Black Lives Matter auf der Strasse zitiert. Etwa der queere Schriftsteller James Baldwin, der 1984 in seinem Aufsatz «Weiss-Sein und andere Lügen» schrieb: «Niemand war Weiss, bevor er oder sie nach Amerika kam. Es brauchte Generationen und viel Zwang, bevor dies ein Weisses Land wurde.»

Weiss wurden EinwanderInnen aus Europa deshalb, um die Menschlichkeit der als Schwarz definierten Minderheit leugnen und ihre Unterwerfung rechtfertigen zu können. Weiss steht für Herrschaft, Privilegien und Ausbeutung aller Nichtweissen. James Baldwin führte die Korruptheit der US-Politik, das Fehlen einer starken ArbeiterInnenbewegung und den allgemeinen Mangel an moralischer Integrität auf diese eine grosse Lüge von der Weissen Nation zurück.

Fast dreissig Jahre später nahm Toni Morrison den Gedanken ihres Schriftstellerkollegen wieder auf: Wer in den USA Mitgefühl oder Verständnis für die «Fremden» (sprich Schwarzen) aufbringe, werde selber eine Fremde. Wer seine rassifizierte Stellung in der Gesellschaft aufgebe, verliere den eigenen, selbstverständlich gewordenen Sonderstatus und werde selber ein Stück weit «unamerikanisch», schrieb die Literaturnobelpreisträgerin 2016 in ihrem Essayband «Die Herkunft der anderen».

Heute, im Wahlherbst 2020, stehen alle US-AmerikanerInnen – nicht nur, aber vorab die hellhäutigen – vor dem «absolut moralischen Entscheid» für oder gegen das Weisssein. An einer Wahlveranstaltung im US-Bundesstaat Minnesota lobte Präsident Trump kürzlich die «guten Gene» seiner weissen AnhängerInnen und propagierte eine Art Herrenrasse, wie sie genau so im nationalsozialistischen Gedankengut zu finden ist.

Damit versuchte er, die mehrheitlich weisse Bevölkerung gegen die grosse Gruppe von Flüchtlingen aus Somalia vor Ort und gegen die BLM-AktivistInnen aufzuwiegeln, die seit der Ermordung von George Floyd in der Hauptstadt Minneapolis auf der Strasse protestieren. Nicht nur in Minnesota, sondern im ganzen Land werden die WählerInnen im November klar Stellung beziehen: Stimmen wir für oder gegen eine rassisch und rassistisch definierte Nation?

4. «Great America» ist ein Weisser Mythos. Der Antirassismus muss die Geschichte der USA neu erzählen

In den USA reagierte die Rechte auf den gesellschaftlichen Umbruch der sechziger Jahre, auf die Bürgerrechtsbewegung, den Antivietnamprotest und die Kritik am Patriarchat mit einem Backlash, einem konservativen Gegenschlag, den der republikanische Slogan für die Trump-Wahlen 2016 und 2020 treffend zusammenfasst: «Make America Great Again». Amerika soll wieder so gross, bedeutend und einzigartig werden wie «zuvor», in einer verklärten Vergangenheit, als die Welt noch in Ordnung war.

Seit einem halben Jahrhundert führt die US-Rechte deshalb ihren erbitterten «Kulturkrieg»; nicht nur gegen aktuelle gesellschaftliche Neuerungen wie die gleichgeschlechtliche Ehe oder gleiche Rechte für LGBTIQ*, sie kämpft auch gegen eine umfassendere Sicht auf die Geschichte der USA.

Im neusten HistorikerInnenstreit stehen sich das «1619 Project» der «New York Times» und die von Präsident Trump angedrohte «1776 Commission» gegenüber. «HistorikerInnenstreit» ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn es ist eher das Aufeinanderprallen von kritischer Geschichtsschreibung und Weissem Mythos.

Präsident Trump will «die Lehrkräfte dazu ermutigen, unseren Kindern das Wunder der amerikanischen Geschichte beizubringen. (…) Unsere Jugend soll Amerika von ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben lernen.» In der gleichen Rede im National Archive Museum erklärte Donald Trump Mitte September, dass die Gründung der USA, die 1776 mit der Unabhängigkeitserklärung von dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika begann, «die Erfüllung von Tausenden von Jahren westlicher Zivilisation» darstelle.

Jegliche Kritik an diesem schönen Weissen Amerika wies er kategorisch zurück, unverschämterweise sogar unter Berufung auf den 1968 ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King, der in seiner Kritik an den USA als Klassen- und Rassengesellschaft im Lauf seiner politischen Kampagnen immer radikaler geworden war.

Das «1619 Project» begann im August 2019 in der «New York Times» aus Anlass des 400. Jahrestags der Ankunft der ersten Sklavenschiffe aus Afrika an Virginias Küste. Die Institutionalisierung der Sklaverei sei für die Geschichte der USA ebenso bedeutsam wie 1776, argumentierte die Redaktion. Für einmal sollen die Folgen der Sklaverei und die Leistungen der Schwarzen AmerikanerInnen in den Mittelpunkt des nationalen Narrativs gestellt werden. «Die Gründungsideale unserer Demokratie waren unwahr, als sie niedergeschrieben wurden. Schwarze AmerikanerInnen haben dafür gekämpft, dass sie wahr werden können.» So leitete die für ihren Beitrag mit dem Pulitzerpreis gekrönte Journalistin Nikole Hannah-Jones die Texte ein, die die Entstehungsgeschichte der USA kritisch vertiefen, ergänzen und korrigieren sollen.

Die «1776 Commission» soll hingegen einfach die jahrhundertealte Kolonialgeschichte fortschreiben. Der «amerikanische Exzeptionalismus», noch so ein Glimpfwort für die Weisse Mehrheitsgesellschaft, soll vor jeglicher ideologischen und demografischen Verunreinigung geschützt werden. Das ist erklärtermassen rassistisch.

Der Antirassismus muss die Geschichte der USA unter Einbezug bislang vernachlässigter Daten und Erkenntnisse neu erzählen. So könnte sich das Land mit seiner ebenso spannenden wie spannungsreichen Vergangenheit in die internationale Gemeinschaft einreihen. Nicht mehr als leuchtendes Vorbild, sondern etwas bescheidener, aber auch solidarischer mit den «geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren». So wie es die Freiheitsstatue in New York seit 1886 verspricht.

5. Antirassismus ist Schwarze Aufklärung

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, der 1945/46 als USA-Korrespondent aus New York berichtete, benutzte als einer der ersten Intellektuellen den Begriff «Antirassismus». Bereits 1948 schrieb er in einem Vorwort zur französischen Anthologie afrikanischer Dichtung von Léopold Senghor: «Der Weisse hat 3000 Jahre das Privileg genossen zu sehen, ohne dass man ihn selbst sieht; er war reiner Blick. Jetzt beleuchten schwarze Fackeln die Welt.»

Die Black-Lives-Matter-Bewegung kann an Sartres damalige Weitsicht anknüpfen. Es stimmt, dass heute mehr «schwarze Fackeln die Welt beleuchten». Doch die Weissen müssen nun erst einmal respektvoll wahrnehmen, was da beleuchtet wird. Denn als dominierende Gruppe mussten sie nie so genau hinsehen. Seit jeher überschätzen Weisse US-AmerikanerInnen, wie gleichberechtigt ihre Schwarzen MitbürgerInnen bereits sind. In einer aktuellen Umfrage schätzten sie zum Beispiel, dass afroamerikanische Familien durchschnittlich zehn Prozent weniger Vermögen besitzen als Weisse. In Wirklichkeit sind es über neunzig Prozent weniger.

Für Schwarze Menschen hingegen ist es seit jeher überlebenswichtig, das Verhalten der Weissen genau abwägen zu können. Dieser scharfe Blick von unten war in der Sklavenhaltergesellschaft nötig. Und es braucht ihn heute noch, im Berufsalltag Schwarzer Haushaltshilfen ebenso wie etwa im Auftreten einer Spitzenpolitikerin wie Kamala Harris. In den USA versuchen Schwarze Eltern aus allen sozioökonomischen Schichten schon früh, ihren Kindern mit Rollenspielen beizubringen, wie sich eine Begegnung mit der Polizei abspielen muss und was sie auf keinen Fall tun dürfen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist.

An den BLM-Kundgebungen sprechen AfroamerikanerInnen nicht bloss über Polizeigewalt, sondern auch über den «weichen Rassismus» der Weissen Ignoranz. Sie erinnern an die Vorfahren des Schwarzen Befreiungskampfs. Oft singen sie Lieder, lesen Gedichte und vollziehen religiöse Rituale, die einigen DemonstrantInnen fremd sind. Doch diese lernen dazu.

6. Der Rassismus ist systemisch. Der Antirassismus muss ebenfalls ganzheitlich und vielfältig sein

Der Rassismus in den USA betrifft alle Lebensbereiche der Schwarzen. Die Polizei tötet mehr als doppelt so oft AfroamerikanerInnen. Schwarze werden öfter verhaftet und erhalten längere Gefängnisstrafen. Die Müttersterblichkeit Schwarzer Frauen ist grösser. Die Schulen sind schlechter, die Wohnverhältnisse beengter, die Löhne tiefer, die Aufstiegsmöglichkeiten geringer. Auch die auf den ersten Blick «nichtrassistische» Coronapandemie hat die afroamerikanische Bevölkerung härter getroffen; sie verzeichnete zweimal so viele Tote und fast fünfmal so viele Spitaleintritte wie Weisse AmerikanerInnen.

Diese Diskrepanz ist bei genauerem Hinsehen eine Folge des systemischen Rassismus: zu wenig Wohnraum, schlechtere Luft im Quartier oder am Arbeitsplatz, exponierte Jobs, schlechterer Zugang zur Gesundheitsvorsorge, was meist auch heisst, schon vor dem Virus eine schlechtere Konstitution zu haben. Die soziale und rechtliche Ungleichheit hat sich unter Präsident Trump noch verstärkt oder beschleunigt.

Es gibt in der Black-Lives-Matter-Bewegung viele und ganz unterschiedliche Argumente gegen diesen umfassenden Rassismus. Manche fordern das demokratische Versprechen der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ein: «Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind (…).» Andere begründen die Gleichwertigkeit aller Menschen mit ihrer Religion.

Ökonomisch Interessierte berechnen die Kosten des Rassismus für die Gesamtwirtschaft der USA. Und Kulturschaffende wünschen sich eine vielfältigere, vermehrt auch Schwarze Kunst, Literatur und Musik. Antifaschistische, antiimperialistische und autonome AktivistInnen debattieren die politische Räson für ihren Kampf gegen den US-Rassismus. Antirassismus als Klammer hat diese breite soziale BLM-Bewegung bis jetzt irgendwie zusammengehalten, sogar wenn es um die schwierige Frage von Gewalt und Gewaltfreiheit ging.

Der Weisse Mythos von der Gleichberechtigung aller US-BürgerInnen sei schwierig zu knacken, schreibt die afroamerikanische Sozialpsychologin Jennifer Richeson in der Septemberausgabe der US-Zeitschrift «The Atlantic». Das geschehe nur dann, wenn die Gesellschaft so zerstritten sei, dass der Riss zwischen Mythos und Realität für alle sichtbar werde.

Solche Momente – etwa nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 und wieder während der Bürgerrechtskämpfe der sechziger Jahre – seien selten, aber sie böten zumindest eine wichtige Chance zur gesellschaftlichen Veränderung. «Ich glaube, wir befinden uns jetzt wieder in einem solchen Moment», schreibt die Fachfrau für Fragen des Rassismus und des Antirassismus in den USA. «Dies ist eine Zeit, um mutige Schritte zur Überwindung des systemischen Rassismus zu wagen – Zeit für eine kühne, weitreichende Wiedergutmachung.» Doch, fügt sie hinzu, es sei auch eine Zeit, in der heute wie in den früheren Schwarz-Weissen Krisen mit heftigen Gegenreaktionen zu rechnen sei.