Zürcher Stadtentwicklung: Figgi und Müli auf dem Hardturm
Nach fünfzehn Jahren Planung und zwei gescheiterten Projekten herrscht im Zürcher Stadionstreit politisches Chaos. Vor privaten Investoren und einer Grossbank knickt der links-grüne Stadtrat ein.
Bis zur Jahrtausendwende war in der Zürcher Fussballwelt alles in Ordnung: Hier die alte Langstrasse, das Milieu, die Prostituierten, die Säufer, der Kreis 4, ein schlechter FCZ, der alte Letzi, Bratwurstpapptellerfeuerchen auf den Stehrampen, 3500 Depressive und Raimondo Ponte (Trainer); ennet den Gleisen die Höngger in ihren heckenbewehrten Vorgärten mit den «Heugümper»-Fahnen, der alte Hardturm, GC der Rekordmeister, Werber Hermann Strittmatter (SP-Mitglied!) mit der FDP und Obergärtner Heinz Spross in den Logen, ein paar Kindergärtler vom Zürichberg und aus dem Reppischtal auf der Osttribüne und Romano Spadaro (Präsident). Alles berechenbar und wohlgeordnet.
Das politische Chaos
Heute, nach Elmar Ledergerber (Ex-Stapi), Doris Fiala (VCS-Feindin), nach zwei gescheiterten Projekten, einer Europameisterschaft, vielen politischen Querelen und ein paar finanziellen Krisen der Klubs herrscht in dieser Welt Chaos. Im September 2013 fand die letzte Abstimmung zum Thema statt: Die StadtzürcherInnen sagten ganz knapp Nein zu einem neuen Hardturmstadion, aber sehr deutlich Ja zu gemeinnützigen Wohnungen.
Seither würde wohl niemand mehr auf die Realisierung eines neuen Stadions wetten. Ob der Investorenwettbewerb, den der Stadtrat im September ausgerufen hat, zum Erfolg führt, ist so unsicher wie die finanzielle Zukunft der beiden Fussballklubs. Auf der Bühne dieser Tragikomödie zu Seldwyla stehen: die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site (SPS) als mächtigster möglicher Investor, Stadt- und Gemeinderat als Vertreter der Stadt, die seit 2009 Besitzerin des Areals ist, und die Credit Suisse, die als ehemalige Besitzerin ein Rückkaufrecht beanspruchen kann, falls es die Stadt nicht schafft, auf dem Areal ein Stadion zu bauen. Die Klubs selbst haben nicht mehr viel zu melden.
Die Bedingungen des Stadtrats sind eigentlich klar: ein Stadion mit 20 000 Plätzen, eine städtische Siedlung mit 156 Wohnungen zu Kostenmieten, ein «urbaner Stadtplatz». Die potenziellen InvestorInnen aber, darunter die Swiss Prime Site, Erbauerin des Prime Tower und mit einem 9,6 Milliarden Franken schweren Immobilienportfolio ausgerüstet, haben unter tatkräftiger Unterstützung der bürgerlichen Parteien im Gemeinderat (vor allem der Grünliberalen) und der Zürcher Tagespresse aufgeschrien: «Die städtische Siedlung killt die Rendite! Staatliches Korsett! Sturer Stadtrat!» Dass sich das Stimmvolk deutlich für den gemeinnützigen Wohnungsbau ausgesprochen hatte, ist ihnen egal.
Die Zange der GrosskapitalistInnen
Man würde es von einem rot-rot-grün dominierten Stadtrat nicht unbedingt erwarten, aber dieser reagierte auf den Druck aus der Immobilienbranche ziemlich servil und lockerte letzte Woche die Wettbewerbsbedingungen. Unter der Voraussetzung, dass die 14 000 Quadratmeter Gemeinnützigkeit irgendwo auf dem Areal doch noch gebaut werden, soll neu auch jener Teil des Areals, der der städtischen Siedlung vorbehalten geblieben wäre, im Baurecht an die InvestorInnen abgegeben werden. Weshalb gibt die linkste Regierung in einer Schweizer Grossstadt ein paar Immobilienmultis nach?
Erstens hat sie es mit einem Parlament zu tun, in dem es seit dem Aufstieg der Grünliberalen keine stabilen Mehrheiten mehr für eine linke Wohnungspolitik gibt. Und zweitens steckt der Zürcher Stadtrat auf dem Hardturm in einem Schraubstock der GrosskapitalistInnen: Er ist einerseits auf die Baufreudigkeit investitionsfähiger Immobiliengesellschaften angewiesen. Andererseits sitzt ihm die Credit Suisse im Nacken: Sie kann das Areal zurückfordern, wenn der Stadtrat kein Stadion baut.
Übrigens investiert die CS in Immobilienfonds, die von der Swiss Prime Site betrieben werden. Und deren Spitzenmanager, CEO Markus Graf, Finanzchef Peter Wullschleger und Investitionsschef Peter Lehmann sassen bis Ende 2012 in führenden Positionen des Immobilienmanagements bei der CS.
SPS-Investitionsschef Peter Lehmann sagt: «Das Umdenken des Stadtrats ist in allererster Linie ein Erfolg für ihn selbst. Und auch ein bisschen für uns. Allerdings hilft die Gemeinnützigkeit der Rendite nach wie vor nicht.» Lehmann möchte aus 8000 der 14 000 Quadratmeter Seniorenresidenzen machen. «Da sehen wir eine noch zu füllende Marktnische.»
Und was sagt die CS? Sie will über den bestehenden Vertrag mit der Stadt nicht mehr diskutieren. Spielt da jemand «Figgi und Müli» mit dem Stadtrat? Sicher ist: Die Hardturmbrache wird noch eine Weile weiterblühen.